Flachkuppel und Kassetten­decke

Jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge, Regensburg

Im Zentrum der denkmalgeschützten Regensburger Altstadt steht das Gebäudeensemble der jüdischen Gemeinde mit dem Synagogenraum als spirituellem Zentrum. Als weithin sichtbares Zeichen erkennt man seine flachgeneigte, metallgedeckte Kuppel. Die Kuppelschale besteht aus 20 vorgefertigten Brettsperrholzsegmenten. Das Novum dieser Konstruktion ist, dass die tragenden BSP-Segmente zum ersten Mal zweiachsig gekrümmt wurden.

Mitten in der zum Weltkulturerbe zählenden Regensburger Altstadt ist am 27. Februar 2019 das Jüdische Gemeindezentrum mit seiner neuen Synagoge feierlich eröffnet worden. Es steht genau an der Stelle, wo die Nationalsozialisten 1938 den Vorgängerbau niedergebrannt hatten und fügt sich harmonisch in die Struktur der denkmalgeschützten Altstadt ein. Die jüdische Gemeinde Regensburgs ist die älteste in Bayern. Als Anfang der 1990er-Jahre Staatsverträge den Zuzug aus den ehemaligen Ländern der Sowjetunion ermöglichten, stieg die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder in Regensburg wieder stark. Der Wunsch nach mehr Raum, auch mit vielfältigen Angeboten für alle Altersgruppen und für kulturelle Veranstaltungen, führte schließlich 2015 zu einem geladenen Architektenwettbewerb, den das Architekturbüro Staab Architekten aus Berlin für sich entscheiden konnte.

Konzept

„In der Regel befinden sich Synagogenräume im Erdgeschoss“, erklärt Projektleiter Florian Nusser von Staab Architekten. „In Regensburg haben wir die Synagoge nach oben gelegt und darunter einen Gemeindesaal im Erdgeschoss geplant.“ Dadurch gelingt es den Architekten, das Raumprogramm in einem dreigeschossigen neuen Baukörper kompakt zusammenzufassen und zugleich zwei Innenhöfe zu schaffen, einen öffentlichen Vorhof am Haupteingang und einen zweiten für die Gemeinde zwischen dem Neubau und dem Bestandsbau. Bei dem Altbau handelt es sich um die Gemeinderäume der alten Synagoge, die das Feuer von 1938 überstanden hatten. Hier befinden sich der alte Gebetsraum, die Hausmeisterwohnung, Büros und die Mikwe, das rituelle Tauchbad. Dieser denkmalgeschützte Altbau musste saniert werden und sollte mit dem neuen Gebäudetrakt barrierefrei verbunden werden. Die Synagoge befindet sich im Südosten des Gebäudeensembles. Als weithin sichtbares Zeichen erkennt man ihre flachgeneigte, metallgedeckte Kuppel. Besonders im Dunkeln wirkt sie wie eine Laterne in den Stadtraum. Dann fällt ein mystisches Licht durch die mit Streckmetallgewebe bekleideten Glasflächen. Während sich im Erdgeschoss der Gemeindesaal und eine öffentlich zugängliche Bibliothek am Haupteingang mit großen Glasflächen zum Stadtraum öffnen, ist der Synagogenraum introvertiert und nur von oben belichtet.

Synagogenraum

Das spirituelle Zentrum ist die Synagoge. „Sie ist gemäß dem jüdischen Ritus direkt nach Osten ausgerichtet, sodass sie im Grundriss noch einmal etwas verdreht zu den Außenmauern liegt“, beschreibt der Architekt die Position. Der Synagogenraum wächst über die Traufe des massiven Sockels heraus. Innen ist der zweigeschossige Raum (mit der Empore für die Frauen) mit einer Holzlamellenschale verkleidet, die von unten nach oben immer mehr Licht durchlässt und eine gedämpfte, von der Außenwelt entrückte Lichtstimmung erzeugt. Alle technischen Einbauten sind hinter dieser Holzschale verborgen. Die Sitzbänke und das zentrale Lesepult, die Bima, sind zur Ostwand ausgerichtet, in der sich der Thoraschrein befindet. Über allem scheint die flache Kuppel – noch einmal durch eine Lichtfuge von der Holzschale abgesetzt – zu schweben.

Kuppelkonstruktion als Novum

Die Kuppelschale wölbt sich über einem quadratischen Grundriss von 13,10 x 13,10 m und ist das Segment einer Kugel mit einem Radius von 25 m. Sie besteht aus 20 Brettsperrholzplattensegmenten (BSP) mit einer Stärke von 7 x 18 mm = 126 mm. „Das Novum daran ist, dass tragende BSP-Segmente zum ersten Mal zweiachsig gekrümmt wurden“, erklärt Tragwerksplaner Dr. Thomas Gollwitzer aus München, der das Kuppeltragwerk konzipiert hat. Die Untersicht der  Schale besteht aus einer weiß lasierten Furnierschichtholzlage aus hochkant angeordneten Furnierlagen (D = 15 mm). Es gibt fünf unterschiedliche Segmenttypen, von denen jeweils vier gleich sind. Ihre Abmessungen (max. 2,35  x 9,00 m) sind so, dass sie transportabel waren. „Eine besondere Herausforderung war das letzte Segment, weil es ganz genau eingepasst werden musste. Es musste von unten eingehoben werden, um die untere Sichtoberfläche am Schalenrand nicht nachträglich ergänzen zu müssen“, so der Statiker.

Gehalten wird die Holzschale durch vier Stahlbögen, die an den Ecken in 5,50 m hohen Stahl-Rundrohrstützen ein­gespannt sind. Diese lagern auf der ­Empore und werden zusätzlich in horizontaler Richtung am Betonflachdach gehalten. Statisch wirken sie so als 2,5 m lange Kragarme mit einer Einspannlänge von 3 m. Umlaufende Zugstäbe schließen den Horizontalschub. Auf den BSP-Segmenten sind zwei Lagen Aussteifungsschalung überkreuz vernagelt, darüber radial und quer Brettschichtholz-Sparren mit Dämmung. „Die Brettschichtholzsparrenlage benötigen wir zur zusätzlichen Aussteifung, weil die Montagestöße der BSP-Elemente wie Scharniergelenke wirken und sich sonst verformen und ausbeulen könnten“, erklärt Thomas Gollwitzer. Die Wetterhaut ist eine Metalldeckung aus Aluminium-Stehfalz-Profiltafeln.

STB-Kassettendecke zwischen Synagoge und Gemeindesaal

Der Gemeindesaal unter der Synagoge öffnet sich mit großen Glasflächen zum Innenhof und zur Stadt. Darüber befindet sich eine Stahlbetonkassettendecke, die, der Ostung des Synagogenraums folgend – leicht im Grundriss verdreht ist. „Aufgrund der geringen Geschosshöhe des Bestands war die mögliche Kassettenhöhe sehr begrenzt. Zur Reduzierung der Biegeschlankheit der Kassettendecke wurde diese in die Stahlbetonaußenwände des Gemeindesaals eingespannt. Im Bereich der großen Glasfronten mussten wir die Lasten der Kassettendecke nach oben in die Stahlbetonwandscheibe abtragen. Durch den Umstand, dass diese Wandscheibe auch das lastabtragende Element für die Emporendecke ist, hat die Belastung der Emporendecke auch unmittelbar einen Einfluss auf die Beanspruchung der Kassettendecke und umgekehrt. Dies konnte nur mit einem aufwändigen, räumlichen Gebäudemodell realitätsnah erfasst werden“, sagt Thomas Oswald von den Tragwerksplanern IB Drexler + Baumruck aus Straubing. „Die Kassetten der Decke dienten sowohl zur Reduzierung des Eigengewichts der Decke als auch als Aussparungen für die Installation der Beleuchtung des Gemeindesaals. Da jede Kassette mit einer Beleuchtung ausgestattet wurde, ist eine Vielzahl von Leerrohren in die Platte der Kassettendecke eingebaut. Damit die darüber liegenden Sitzbänke der Synagoge in der Platte der Kassettendecke noch verankert werden konnten, ohne die Leerrohre zu tangieren, musste die Platte der Kassettendecke konstruktiv um 3 cm stärker ausgeführt werden“, fährt er fort.

Sichtziegelmauerwerk mit Zulassung im Einzelfall

„Im Stadtbild von Regensburg dominieren Putzfassaden. Nur der Dom hat eine Natursteinfassade“, führt der gebürtige Regensburger Architekt Nusser aus. „Im Wettbewerb hatten wir eine reguläre, vorgehängte Natursteinfassade vorgeschlagen. Wir wollten jedoch eine Fassade mit einem speziellen Charakter für diese besondere Bauaufgabe.“ Schließlich hat man sich für einen stehend vermauerten, sandfarbenen Sichtziegel entschieden, der auch zur Putzfassade des Altbaus passt. Weil dieses Mauerwerk aufgrund des zu geringen Überbindemaßes nicht der Norm entsprach, benötigte es eine Zustimmung im Einzelfall. „An der RWTH Aachen prüfte man u. a. Klinker und Mörtel, errichtete Musterwände, um die Biegezug- und Druckfestigkeit zu prüfen“, erinnert sich der Projektleiter. „Das Ganze hat ein halbes Jahr gedauert.“ Mit dem Ergebnis sind alle sehr zufrieden. Manch einen erinnert die Struktur an Buchrücken, andere erkennen darin textile Strukturen. Am Ende war der Termindruck die größte Herausforderung. Denn der Eröffnungstermin stand fest, weil sich im Februar die erste Vertreibung von Juden aus der Stadt zum 500. Mal jährte. Mittlerweile haben schon viele Veranstaltungen im neuen Gemeindezentrum stattgefunden.⇥Susanne Kreykenbohm, Hannover

Die elegante flache Holzkuppel, bestehend aus vorgefertigten Brettschichtholzsegmenten, scheint über dem Gebäude zu schweben und zeigt dadurch, mit welcher spielerischer Leichtigkeit so ein Tragwerk die ihm gestellten Aufgaben zu bewältigen vermag. Die Komplexität bleibt charmant verborgen, erfordert aber in der Planung und Realisierung größte Expertise. ⇥
DBZ Heftpate Knut Stockhusen, sbp, Stuttgart

Baudaten

Objekt: Jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge

Standort: Am Brixener Hof 2, Regensburg

Typologie: Sakralbau

Bauherr und Nutzer: Jüdische Gemeinde Regensburg

Architekt: Staab Architekten GmbH, Berlin,
www.staab-architekten.com

Mitarbeiter (Team Wettbewerb): Petra Wäldle, Jacob Steinfelder, Sönke Reteike,
Paulin Sensmeier

Mitarbeiter (Team Realisierung): Per Pedersen (Projektkoordination), Florian Nusser (Projektleitung), Jacob Steinfelder, Dirk Wischnewski, Claudia Trott, Dirk Brändlin, Dirk Richter, Sabine Zoske, Alexander Braunsdorf, Daniel Unterberg, Roger van Well, Manuela Jochheim

Bauleitung: ERNST2 Architekten AG, Stuttgart, www.ernst2-architekten.de

Bauzeit: August 2016   – Februar 2019

Fachplaner

Tragwerksplaner: IB Drexler + Baumruck, Straubing, www.ib-drexler-baumruck.de

Tragwerksplanung Holz-Dachschale: Dr.Gollwitzer – Dr. Linse Ingenieure Beratende Ingenieure im

Bauwesen mbB, München, www.gl-i.de

TGA-Planer (LPH 2–4): WBP Winkels Behrens Pospich, Münster, www.koester-bau.de

TGA-Planer (LPH 5–9): Melzl Planung GmbH, Pentling, www.melzl.com

Lichtplaner: Licht Kunst Licht AG, Bonn,

www.lichtkunstlicht.com

Akustikplaner: ARUP Deutschland GmbH, Berlin, www.arup.com

Landschaftsarchitekt (LPH 2–5): Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin, www.levin-monsigny.com

Landschaftsarchitekt (LPH 6–9): Wamsler Rohloff Wirzmüller FreiRaumArchitekten GbR, Regensburg, www.freiraumarchitekten.com

Energieplaner und - berater: ARUP Deutschland GmbH, Berlin, www.arup.com

Brandschutzplaner: ASW Wolf + Partner Architekten mbB, Regensburg, www.asw-partner.de

Kunst am Bau: „Gemeinsam“ von Tom Kristen (Gedicht: Rose Ausländer), www.tom-kristen.de

Projektdaten

Grundstücksgröße: 951 m²

Grundflächenzahl: 0,74

Geschossflächenzahl: 2,11

Nutzfläche gesamt: Altbau: 752 m²;

Neubau: 954 m²; Gesamt: 1 706 m²

Nutzfläche gesamt: 1 265 m²

Technikfläche gesamt: 41 m²

Verkehrsfläche gesamt: 400 m²

Brutto-Grundfläche: Altbau: 1 084 m²; Neubau: 1 350 m²; Gesamt: 2 434 m²

Brutto-Rauminhalt: Altbau: 3 270m³; Neubau: 5 436 m³; Gesamt: 8 706 m³

Baukosten (nach DIN 276)

Gesamt brutto: Altbau 2,5 Mio €; Neubau: 6,5 Mio €

Hauptnutzfläche €/m² Altbau: 3 324 €; Neubau: 6 813 €

Brutto-Rauminhalt €/m³ Altbau: 765 €; Neubau: 1 195 €

Hersteller

Sichtziegelfassade: ABC-Klinkergruppe,

www.abc-klinker.de

Fassade Altbau: KEIMFARBEN GMBH,

www.keim.com

Fenster Neubau: Annen GmbH + Co.KG,

www.annen.eu

Sonnenschutzrollos außen: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de

Blendschutzrollos Altbau: MHZ Hachtel GmbH & Co. KG, www.mhz.de

Sichtschutzrollo Neubau Saal: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de

Dachdeckung Kuppel: Zambelli GmbH & Co. KG, www.zambelli.de

Dachdeckung Flachdach: Paul Bauder GmbH & Co. KG, www.bauder.de

Holztragwerk Kuppel (gekrümmtes Brettsperrholz): ZÜBLIN Timber GmbH, www.zueblin-timber.com

Pfosten-Riegel-Fassade Synagoge: RAICO Bautechnik GmbH, www.raico.de

Lamellen-Fenster Synagoge: HAHN Lamellenfenster GmbH, www.hahn-lamellenfenster.de

Streckmetallbekleidung Synagoge: Metalltech Srl, www.metalltech.it

Vorhänge Bibliothek + Saal Neubau: Kvadrat GmbH, www.kvadrat.de

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