Die Kraft der Farbe
Synagoge in Mainz

Die neue Synagoge in Mainz weckt das Interesse: mit einer skulpturalen Form und einer Fassade, der man beim Verändern zuschauen kann. Bei Sonnenschein entfachen die glasierten Keramikfliesen ein faszinierendes Licht- und Farbspiel.

Blaugrün schimmern Keramikfliesen durch die hohen Bäume der Mainzer Neustadt. Erst nach und nach erfasst man die Silhouette der neuen Synagoge. Mit ihrem vieltürmigen Dach erscheint sie wie eine kleine Stadt in der Stadt. Zickzackförmig windet sich der Neubau über das Grundstück, schirmt zur Rückseite einen Gartenhof ab und umfasst zur Neustadt einen Vorplatz mit dem Haupteingang. Neugierde weckt auch die geriffelte Oberfläche der Fassade, die je nach Wetterlage, manchmal fast minütlich ihre Farbwirkung ändert.

Trotz seiner skulpturalen Form fügt sich der Trakt aus Gemeindehaus, Synagoge, Schulungs- und Verwaltungsräumen sowie zwei Wohnungen für Hausmeister und Rabbiner in seinen Dimensionen angenehm zurückhaltend in das Wohnviertel ein. Die Synagoge greift den Blockrand der angrenzenden Straßen auf und bleibt weit­gehend niedriger als die benachbarten sechsgeschossigen Gründerzeitbauten. Einzig das trichterförmige Oberlicht des Gebetsraums überragt die Nachbarhäuser um 1 m.

Zur stärker frequentierten Hindenburgstraße knickt das Gebäude ab, so dass ein weitläufiger, schwarz asphaltierter Quartiersplatz entsteht. Am Rand des Platzes erinnern zwei Spolien an die 1938 von den Nationalsozialisten zerstörte alte Hauptsynagoge. Es ist der einzige Hinweis auf den Holocaust. Der Neubau macht stattdessen die Geschichte des Mainzer Judentums im Mittelalter zum Thema.

Kraft der Diaspora

Mainz hat eine der traditionsreichsten jüdischen Gemeinden Europas. Obwohl Juden hier fast regelmäßig vertrieben und ermordet wurden, fanden sie immer wieder den Mut, sich neu anzusiedeln. „Das Gebäude ist kein Mahnmal, sondern verweist auf die schöpferische Kraft der Diaspora“, sagt Architekt Manuel Herz. Den Gegensatz von provisorischer Stiftshütte und dauerhaftem Tempel, wie ihn die neuen Synagogen in Dresden und München thematisieren, sucht man in Mainz vergeblich.

Stattdessen greift Herz die Schrift, allen voran den Talmud, als Entwurfsthema auf. „Im Gegensatz zu anderen Religionen gibt es im Judentum keine richtige Tradition des Bauens, dafür aber eine Tradition des Schreibens religiöser Texte. Schrift wurde zum Ersatz für räumliche Heimat.“ Manuel Herz hat diesen Gedanken auf den Neubau übertragen. Die fünf Buchstaben des Wortes Keduschah – hebräisch für Erhöhen und Segnen – prägen in abstrahierter Form die Silhouette des Gebäudes.

Die Keramikfassade verweist auf den Prozess des Inskribierens bzw. Einritzens in den Stein. In endlosen konzentrischen Rechtecken legt sich ein Muster aus parallelen Linien um die unregelmäßig eingeschnittenen Fenster und verleiht den lotrechten Wänden eine verblüffende Tiefe. Das Gehirn nimmt die parallelen Linien als dreidimensionale Körper wahr, dadurch gewinnt die Fassade Plastizität.


Changierendes Farbkleid

Verstärkt wird dieser Effekt durch die unterschiedlichen Farbtöne der Glasur. Die Fliesen sind im Querschnitt dreieckig. Die Glasur wird am obersten Grat aufgetragen und läuft dann herab, so dass die Farben nach dem Brennen leicht unregelmäßig erscheinen. Bei bewölktem Himmel wirkt die Fassade dunkelgrün, fast schwarz, bei Sonne erstrahlt sie in einem Feuerwerk aus Grün-, Gelb-, Rot- und Blautönen.

Auch im Innenraum spielen Farbe und Schrift eine wichtige Rolle. Den bis zu 27 m hohen Gebetsraum schmückt ein Relief aus rund 1 Mio. dichtgedräng­ten hebräischen Buchstaben. Die Buchstaben stehen jeweils 2 bis 3 mm vor, die Oberfläche ist an einigen Stellen rau, an anderen glatt ausgeführt. Je nach Lichteinfall und Blickwinkel des Betrachters changieren Wände und Decken zwischen gold-, bronze- und champagnerfarben, erscheinen glänzend oder stumpf, heller oder dunkler. Nur an wenigen Stellen lichtet sich das Buchstabenmeer und gibt Texte frei, die Mainzer Rabbiner im Mittelalter schrieben.

Mit viel Gespür für die jüdische Kultur gelöst wurde auch die Lichtführung: Das Fenster des Oberlichts weist nach Osten, nach Jerusalem. Gleichzeitig fällt das Licht genau auf die Mitte des Raumes, wo aus der Bibel gelesen wird. Der riesige Lichttrichter verweist auf die „Shofar“, ein Widderhorn, das die Verbindung zwischen Menschlichem und Göttlichem symbolisiert.

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