Kreuzzug oder was
„Die Vergangenheit, von der dieses Buch handelt, ist nicht wirklich vergangen.“ So startet die großformatig umfangreiche Arbeit über ein Kapitel europäischer Städtebaugeschichte, das der spanische, sich 1936 an die Macht putschende General und Diktator Francisco Franco wesentlich geschrieben hat. Städte wurden – wie auch im nationalsozialisten Deutschland, im faschistischen Italien oder in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken – umgebaut, neue Siedlungen wurden strategisch und nach strikten, ideologisch bestimmten Grundsätzen neu gegründet. Es gab Umsiedlungen und gigantische Siedlungs- und Stadtplanungen, die häufig nur in Ansätzen realisiert wurden. Unter Franco wuchs das längst vorhandene nationalistisch katholizistische Potential zu einem Basso continuo mit schmerzhafter Verzerrung im Diskant: Überwachung, Verfolgung, Verhaftung, Ermordung. Kann eine solche, die Gesellschaft durchdringende Haltung architektonische Form finden? Und kann diese Entwicklung eines gebauten Ausdrucks von heute aus gesehen nachvollziehbar gemacht werden? Wer sehen will, kann das alles im heutigen Spanien sehen – jedenfalls dann, wenn er oder sie um die Geschichte weiß.
Die Autoren schauen auf den Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg, nach Gernica, Brunete, Belchite, aber auch Madrid oder Barcelona. Es werden spezielle, von der Diktatur und ihres Apparats bevorzugte Typologien untersucht: Schulen, Universitäten, Industrie. Man schaut auf die Infrastruktur der Unterdrückung, auf die Binnenkolonisation und immer wieder auf das sich entwickelnde Politikfeld Städtebau, das die spanische Gesellschaft bis heute spaltet.
Die Arbeit geht den genannten Aspekten in bester wissenschaftlicher Manier nach; wir lesen und verstehen. Und können Fragen stellen, ohne dass diese durch eine Leerstelle in der Darstellung folgen: Wir können tiefer schauen, Zusammenhänge bilden. Dabei stützt uns ein reichhaltiges Abbildungsmaterial, historische und zeitgenössische Fotografien, Pläne, Modelle, Grafik. Übersichtlich thematisch gegliedert, sind auch Quereinstiege und damit direkte Zugriffe möglich. Ein gut sortierter Anhang macht die Arbeit, die im Zusammenhang mit früheren Arbeiten zum Städtebau unter Stalin, Mussolini und Salazar zu sehen ist, rund. Ob der Städtebau unter Franco allerdings als ein Kreuzzug (gegen die Andersgläubigen?) zu verstehen ist, das ist dem Rezensenten suspekt. Die Texte können diese Titelthese nicht schlüssig stützen. Be. K.