Buchrezension: Manuale zum Städtebau 1870–1950

Die Systematisierung des Wissens von der Stadt

„Schon wieder ein Buch über den Städtebau!?“, dieser Gedanke schleicht sich einem ins Gehirn, schon wieder ein historischer Rückblick auf ein Fachgebiet zwischen Kunst und Wissenschaft, der natürlich auch auf die Geschichte der Stadtplanung geht. Der städtebauliche Entwurf sei beides – Kunst und Wissenschaft –, so jedenfalls kann man in der Einleitung zu dem vorliegenden, großformatigen und ziemlich schwergewichtigen Buch lesen. Genauer noch: Bevor er Kunst werde, sei er Wissenschaft. Uff. Was nun?

Die Herausgeber setzen ihrer Forschung zu den Manualen des Städtebaus eine zeitliche Grenze in der Vergangenheit: zweite Hälfte 19. Jahrhundert. Erst ab dann hätten die großen Stadterweiterungen die Begründung des modernen Städtebaus als eigenständige Disziplin „forciert“. Dass davor Städte nicht erweitert, sondern gegründet wurden, in Menge ab dem 13. Jahrhundert in Europa, lassen die Herausgeber unberücksichtigt. Und erklären den Startpunkt ihrer Sammlung städtebaulicher Manuale durchaus nebulös als „sofort nachvollziehbar": In dieser Zeit um 1870 wären ja auch die ersten Theorien des modernen Städtebaus erschienen. Welche das sind und was an ihnen das „moderne“ ist wird nicht weiter erläutert. Auch das Ende des Untersuchungszeitraums – 1950 – wird nicht näher erläutert, möglicherweise sind die Handbücher zum Städtebau, die danach kamen, andere Kaliber, radikalere Manifeste und teils sehr theorielastige, transdisziplinäre Arbeiten mit einem gehörigen Maß an Sperrigkeit. Aldo Rossis höchst einflussreiche Publikation L'architettura della città von 1966 hätte der Schnittpunkt sein können, der läge dann 16 Jahre nach dem hier vorgenommenen.

Dann also die Manuale, dreizehn an der Zahl, das erste von Jean-Charles Adolphe Alphand: Les Promenades de Paris (1867-1873), das letzte von Ludwig Hilberseimer: The New City (1944). Dazwischen echte Klassiker wie Josef Stübbens „Der Städtebau“ oder „Das Handbuch des Städtebaus“ von Cornelius Gurlitt. Aber auch der „Staedtebau“ von Paul Schultze-Naumburg, dessen unwissenschaftliche und eher einem Gefühl und subjektivem Erleben folgenden Untersuchungen in dieser Reihe überraschen und eigentlich nur ein Exkurs sein sollten. Immerhin ist die Untersuchung des „Staedtebau“ mit Hinweisen auf die „problematische“ Figur gut gefüllt, dass in ihr die sonst meist vorhandenen Untersuchungen zur Rezeption und Wirkung komplett fehlen, stört dann aber doch.

Alle Bücher werden über Bilder (außen, innen) in ihrer Machart vorgestellt, die meisten recht detailliert als Buchobjekt beschrieben. Ihre Autoren werden recht ausführlich biografisch vorgestellt, es wird auf ihre Systematik, den Aufbau eingegangen, auf Begriffe, die verwendet und möglicherweise neu erfunden werden usw. Ihre Relevanz für einen städtebaulichen, die Zeiten übergreifenden Diskurs muss man selbst herauslesen, hier wäre eine Rückbindung des Einzelnen auf das Gesamte schön gewesen.

Möglicherweise helfen die sechs Essays zu übergreifenden Themen wie vom Skizzenbuch zum Manual oder zum Wissenstransfer über das gedruckte Werk im theoretischen Städtebau. Der Band schließt mit einer Übersicht über die Manuale in Kurzportraits, mit einem Literaturverzeichnis und Namensregister und lässt einem am Ende ein wenig ratlos zurück: Was war noch das Anliegen der Herausgeber gewesen? Überraschen tut auch die Auswahl, die natürlich immer beschränkt sein muss, hier aber einen einseitig konservativen Fokus hat. Wer unbedingt fehlt ist der Übervater Le Corbusier oder auch ein Spezialist, wie Martin Wagner einer war. Und am Ende fehlt tatsächlich die Darstellung der langen Linie, die der Städtebau seit der Erfindung der Stadt bis hinein in die kommenden Jahrzehnte genommen hat und noch nehmen wird. Da hätte der eine oder andere Essay gerne weichen können.

Was wir haben: Eine schön gemachte Darstellung dessen, was für die Darstellung ausgewählt wurde. Anschaulich, sauber gestaltet, einladend zum Lesen und Blättern. Was man dann findet, liegt vielleicht in jedem Selbst. Ob das aber reicht, berechtigterweise ein „Systematisierung des Wissens von der Stadt“ im Untertitel zu führen? Wohl nicht. Be. K.

Manuale zum Städtebau. Die Systematisierung des Wissens von der Stadt 1870–1950. Hrsg. v. Vittorio Magnago Lampugnani / Katrin Albrecht / Helene Bihlmaier / Lukas Zurfluh. DOM Publishers, Berlin 2017, 432 S., 250 sw- und Farbabb., 98 €, ISBN 978-3-86922-539-5

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