Leseaufwand? Muss sein!
„Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“ heisst es und tatsächlich werden nur die den sehr ins Grundsätzliche gehenden Band verarbeiten können, die des konzentrierten Lesens mächtig sind. Aber nicht nur des Lesens von seitenlangen, bilderlosen aber dennoch erstaunlich übersichtlich gestalteten Texten, man sollte auch Pläne lesen können: Grund- und Aufrisse, Isometrien oder Schnitte.
In der lesefreundlich gemachten Habilitationsschrift geht es um den Gebäudeentwurf, genauer, um die Gebäudelehre an Hochschulen und in den grundlegenden Publikationen zu diesem Thema weltweit. Der Autor möchte den Entwurf (und die Realsierung) von Gebäuden als einen Prozess verstanden wissen, der auf der Lehre beruht aber auch auf einem intuitiven Wissen über Typologien und den Topos. In drei längeren Texten zu „Tektonik“, „Typus“ und „Topos“ untersucht der Autor vier der insgesamt zwölf Typologien Theater, Museum, Bibliothek, Staat, Büro, Freizeit, Religion, Einzelhandel, Fabrik, Bildung, Kontrolle und Krankenhaus. Die insgesamt 144 ausgewählten Beispiele – sämtlich Ikonen der älteren bis neuesten Architekturgeschichte – stellt der Autor exemplarisch auf je einer Doppelseite mittels Planzeichnungen und einem kurzen Erläuterungstext vor. Letzterer ist immer ein Zitat aus sekundärer Literatur. Hier offenbart sich den Lesern das Grundlegende im kollektiven Wissen von Architektur, von welchem aus über Wandlungsprozesse die Entwurfslinien in die eigene Arbeit münden.
Texte und Exkurse umkreisen die Entwurfsprozesse als ein das Baukulturelle übergreifendes Kulturhandwerk, das sich in Lehre, Forschung, Bauwirtschaft und der Philosophie einen ganz eigenen Stellenwert erobert hat.
Die Behauptung von solcherart Zusammenhängen ist nicht neu, neu und erstaunlich ist allerdings die hohe Disziplin, mit welcher das alles in eine kompakte wie zugleich tiefschürfende Betrachtung eingeflossen ist, die zudem einen gestalterischen Rahmen findet, der dieses Buch weit über eine reine Planungshilfe für Entwerfer oder über ein Handbuch für StudentInnen hinaushebt.
Einen Haken allerdings hat die Arbeit: Sie muss gelesen werden, Absatz für Absatz, Seite für Seite, Bild für Bild. Dann gelingt möglichweise auch, dass man als LeserIn der zunehmenden Fragmentierung des architektonischen Diskurses eine komplette Idee entgegen zu setzen hat, die in der Vergangenheit schon gedacht und bis heute „nur“ variiert wurde. Be. K.
Andreas Lechner, Entwurf einer architektonischen Gebäudelehre. Park Books, Zürich 2018, 492 S.,
58 €, ISBN 978-3-03860-068-8