Mit System in die
Länge gebautIllwerke Zentrum
Montafon, Vandans/AT
Montafon, Vandans/AT
Ein Hybridbau in Holzsystembauweise – so lang wie das längste DFB-Fußballfeld und fast zu einem Viertel im See verankert: So lassen sich die Illwerke Montafon in Kürze charakterisieren. Das macht sie zum perfekten Vorbild für das – derzeit im Bau befindliche – höchste Holzhaus der Welt.
Die Illwerke Zentrum Montafon, kurz IZM, sind mehr als nur ein Holzbau. Sie sind ein sichtbarer Beweis dafür, dass Gebäude in Holzsystembauweise schall- und brandschutztechnisch optimiert, sicher, schnell und einfach realisiert werden können. Voran gegangen ist dem 120 m langen, 16 m breiten und 21 m hohen Mehrgeschosser ein Forschungsprojekt der Cree GmbH in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Hermann Kaufmann ZT GmbH. In dessen Fokus stand die Entwicklung eines großvolumigen und in punkto Brandschutz genehmigungssicheren Mehrgeschossers in Holzbauweise. Daraus resultierte ein Bausystem mit Holzbetonverbunddecken, die der Brandschutzklasse A1 entsprechen und Brandüberschlag über verschiedene Geschosse hinweg verhindern.
„Bis zum Zeitpunkt der Forschungsarbeit hatten wir unsere Holzbauten brandschutztechnisch über Abbrand dimensioniert bzw. mit Kapselung gearbeitet“, erklärt Christoph Dünser, Projektleiter im Büro Hermann Kaufmann. „Derartige Konstruktionen bleiben aber brennbar und weisen in der Regel Hohlräume auf, über die sich ein Brandherd unsichtbar verbreiten kann. Dank der Holzbetonverbunddecken kann dies ausgeschlossen werden“, fährt der Architekt fort. „Letztere ermöglichen darüber hinaus hohe Schallschutzwerte, ohne dass Beton im Nachgang eingebracht werden muss. Die Bauweise bleibt trocken. Jedes Material wird entsprechend seiner Eigenschaften optimal eingesetzt. Holz übernimmt die Zug-, Beton die Druckkräfte.“
Das serienreife Bausystem sicherten die Kreativen zunächst mit einer Systemgarantie und setzten es 2012 mit dem Life-Cycle-Tower, dem LCT One (DBZ 12|2012), erstmals in die Realität um. Im Zuge des für den Neubau der Illwerke Zentrum Montafon ausgelobten, geladenen Wettbewerbs mit fixem Kostenrahmen boten die Planer ihre Entwicklung erstmals unter Konkurrenzbedingungen an – und gingen als Sieger hervor.
Sechs Wochen Bauzeit für 10 000 m² Fläche
Mit 10 000 m² Fläche ist der Neubau eines der größten Holzgebäude Europas. Binnen sechs Wochen wurde das komplett vorgefertigte Baukastensystem vor Ort installiert. Das Material Holz hatte der Energiekonzern als Bauherr des Wasserkraft Kompetenzzentrums schon während des Wettbewerbs vorgegeben. Die Illwerke wollten ein Projekt umsetzen, das energetische Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellt. So wurde der Baukörper als Passivhaus konzipiert und wird mit Hilfe von Wärmepumpen beheizt. Für deren Betrieb stehen sowohl kaltes Wasser aus den Bergen als auch Kühlwasser zur Verfügung. Eine eigene Turbine liefert den benötigten Strom.
„Parallel dazu stand die Nutzung von Holz als nachhaltigem Baumaterial im Mittelpunkt der Wettbewerbsvorgaben. Zudem sollte die Wertschöpfung im Land bleiben“, erläutert Dünser. Die Hauptrolle übernahm dabei der „Brotbaum der Region“, die Fichte. Aus ihrem Holz wurde das Baumaterial für den Komplex gewonnen. Sämtliche Bauteile wurden im Werk vorgefertigt.
Der daraus entwickelte Verwaltungsbau bietet Platz für rund 270 Mitarbeiter – direkt am und sogar auf dem See. Der dem Architektenwettbewerb zugrunde liegende Masterplan hatte eine Einbeziehung der Topographie vorgesehen, sodass die Höhenerstreckung nach Latschau bei der Planung ebenso berücksichtigt werden musste wie die Bauplatzsituation der Wasserauffangbecken Rodunds. Der Neubau ragt daher zu gut einem Viertel seiner Länge ins Wasser hinein. „Weil man aber nur zu limitierten Zeiten am und in den See hinein bauen darf, kann ein solches Projekt nur mit einem komplett vorgefertigten Baukastensystem realisiert werden“, betont Dünser.
Reibungsloser Aufbau dank System
Decken und Betonkerne gewährleisten die Gebäudeaussteifung des Riegels. Stahlstützen tragen die aus Ortbeton gegossene Decke des Erdgeschosses. Oberhalb dieser Ebene beginnt das Holzhybridsystem, wobei die Lasten der Geschossdecken über Doppelstützen aus Leimbindern in der Fassadenebene nach unten abgetragen werden. Die seitliche Weiterleitung der Kräfte übernehmen Sturzträger aus Beton, die mittels eines vor Ort eingegossenen Dorns an den Doppelstützen anschließen. In der Mittelachse lagern die vorgefertigten Deckenelemente auf Trägern auf, die wiederum auf Stahlstützen aufliegen.
„Für den Einsatz im IZM haben wir das ursprünglich entwickelte Holzhybridsystem ohne Anpassungen umgesetzt, lediglich das Achsraster wurde aus architektonischen Gründen von 2,70 auf 3,00 m geändert“,
erzählt Marcus Weber, Projektleiter des IZM auf Seiten des Generalübernehmers Cree. Entsprechend problemlos verliefen die Vorfertigung und das Aufstellen des Gebäudes. „Das Holzbauunternehmen Sohm Holzbau kam gut mit dem System klar. Die Montage ging schnell und reibungslos vonstatten“, konstatiert er weiter. „Das Holzhybridsystem hat sich sehr gut bewährt.“
Auch die Architekten sind zufrieden. Die Zusammenarbeit mit den Bauunternehmen und dem Tragwerksplaner sei vorbildlich gewesen, sagt Dünser. „Man kennt sich einfach in Vorarlberg“, lächelt er. „Zudem haben wir im Projekt ja etwas angewandt, was vorher einmal prototypisch durchgespielt worden war. Und wir haben die Gesichtspunkte des Zimmerers sehr früh ins Spiel gebracht. Dies ist im Holzbau sehr wichtig, da das Zusammenspiel entscheidend für das Gelingen des Projekts ist.“
Seitens der Bauherren waren darüber
hinaus sämtliche systemimmanenten Grenzen von Anfang an vorgegeben bzw. durch das System selbst definiert. „Dieses bringt beispielsweise von vornherein 90 Minuten Brandwiderstand mit“, erläutert Dünser. Das mache die Handhabung des Gebäudes sehr einfach, was die Erreichung von statischen Anforderungen und Brandschutz betreffe.
Nächstes Ziel: 18-Geschosser in Vancouver
Um den in Vorarlberg geltenden Brandschutzanforderungen zu genügen, wurde das Material Holz grundsätzlich sichtbar verbaut. „Wenn es also zu einem Brand kommen sollte, dann passiert das ebenfalls sichtbar – und zwar mit einer Geschwindigkeit von 0,7 mm pro Minute“, sagt der Architekt. „Daraus folgt auch: Wo Rauch ist, ist Feuer, aber eben nur dort.“ Nachdem die Decken hohlraumfrei konstruiert wurden, kann sich ein etwaiger Brandherd somit auch nicht versteckt verbreiten. Darüber hinaus ist der Komplex mit einer Vollsprinklerung ausgestattet. Und für den Ernstfall steht die aufgrund der dort betriebenen Kraftwerke am Standort sowieso erforderliche Werksfeuerwehr bereit. Sie wird per Brandmeldeanlage automatisch alarmiert.
Ein derart durchdachtes Konzept kommt an: „Wenn der Bauherr oder wir heute Besuchergruppen durch die Büros führen, sind alle von der durch das Holz geprägten angenehmen Atmosphäre begeistert“, fasst Dünser zusammen. Damit habe sich der Wunsch des Auftraggebers erfüllt. Dessen Zielvorgabe war nämlich eine Arbeitsumgebung gewesen, die Arbeitnehmer anspricht. „In einem Land, in dem der Nachwuchs an Ingenieuren aufgrund der nicht vorhandenen Universität eher spärlich ist, braucht es Anreize, um Stellen problemlos besetzen zu können.“
Auch der GÜ hat von der Systembauweise profitiert. „Wir haben das System mittlerweile auch bei anderen Projekten verbaut. Es sind Gebäude mit allen Längen und Breiten möglich, wobei aus unserer Sicht Gebäude mit 25–30 Geschossen wirtschaftlich und technisch
realistisch sind. Geschwungene Ausführungen folgen nicht dem Systemgedanken und sind daher unwirtschaftlich, jedoch ebenfalls ausführbar“, erzählt Weber. Das nächste Ziel für den Holzbau ist bereits in Arbeit: Gerade realisiert Hermann Kaufmann in Zusammenarbeit mit Acton Ostry Architekten in Vancouver einen 18-Geschosser – und damit das höchste Gebäude der Welt in Holzbauweise.
Christine Ryll, München
Weiterer passender Artikel: Treet: Ein (Hoch-)Haus wie ein Baum
Tragwerksplaner: merz kley partner GmbH, Dornbirn/AT, www.mkp-ing.com
Nutzfläche gesamt 9 900 m²
Brutto-Grundfläche: 11 497 m²
Brutto-Rauminhalt: 44 881 m³
Hauptnutzfläche: 2 624 €/m²
Brutto-Rauminhalt: 578 €/m³
U-Wert Bodenplatte = 0,26 W/(m²K) U-Wert Dach = 0,09 W/(m²K) Uw-Wert Fenster = 0,72 W/(m²K)