Modellprojekt mit Realitätsbezug in Neu-Ulm
Ein Gespräch mit Ruben Lang, o5 Architekten, Frankfurt a. M., www.o5-architekten.de

„Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es unabdingbar …“ Diese quasi-PräambeI und längst Floskel gewordene Erkenntnis liest man mittlerweile häufig dort, wo es ums Bauen geht. So auch in der Auslobung eines offenen Wettbewerbs nach RPW im Jahre 2012, in welchem Teams aus Universitäten, Architekten, Energieplanern und Bauingenieuren aufgefordert waren, das Ei des ­Kolumbus für die energetische Sanierung des Wohnbestandes der Republik zu liefern. Am Beispiel einer Zei­lenbebauung aus den Dreißigern des vergangenen ­Jahrhunderts in Neu-Ulm sollten die beiden aus diesem Wettbewerb erfolgreich hervorgegangenen Teams jeweils die zwei Mittelhäuser der Bestandszeile auf „Plusenergiestandard“ sanieren. Die Fertigstellung war für 2013 geplant, doch wohl erst Ende 2014 werden die sechs Häuser im Rahmen eines zweijährigen Monitorings in den abschließenden Wettbewerb eintreten. Welches Konzept wird überzeugen? Mit einem Architekten der beiden Teams, mit Ruben Lang von o5 Architekten, Frankfurt (mit den Partnern Joachim Raab und Jan-Henrik Hafke) trafen wir uns vor Ort in Neu-Ulm und schauten gemeinsam auf den Projektzwischenstand.

Herr Lang, wie oft sehen die Neu-Ulmer den Frankfurter?

Nachdem der Wettbewerb entschieden war, also ganz zu Anfang, waren Isabelle von Keitz als Projektarchitektin und ich sicherlich alle zwei Wochen hier, um mit dem Bauherren das Projekt zu besprechen und zu konkretisieren. Dann kam die Ausführungsplanung, da wurde die Präsenz reduziert. Aber jetzt in der Bauphase schauen
wir wieder alle zwei Wochen vorbei. Obwohl wir die ­Bauleitung [an Linder + Partner, Günzburg; Be. K.] ­untervergeben haben.

Wie hat sich das von Ihnen genannte Team formiert, wie hat o5 Architeken die Partner ins Boot geholt?

Zur Wettbewerbszeit gab es die Kooperation mit der TU Darmstadt, Fachgebiet Entwerfen und Energieeffizientes Bauen von Prof. Hegger, der ina Planungsgesellschaft, die ein Spin-off des Fachgebiets ist, und unserem Büro. Diese Konstellation ergab sich aus meiner wissenschaft­lichen Mitarbeit aus den letzten vier Jahren an der TU Darmstadt. Das Team nach der Wettbewerbsentscheidung wurde dann noch einmal neu zusammengestellt. Hier hatten wir als Generalplaner zu bestimmen, wen wir als Fachplaner mit ins Boot holen.

Gab es durch die Hinzuziehung der Fachplaner eine wesentliche Korrektur am ersten Entwurf?

Nein. Die größten Umplanungen, die wir vornehmen mussten, ergaben sich aus veränderten Budget-Vorgaben, die unseren Wettbewerbsbeitrag in einer 1:1 Um­setzung unmöglich gemacht hatten.

Mussten Sie gestalterisch reagieren, wurde im Detail nachjustiert?

Das architektonische Konzept mussten wir zum Glück nicht oder nur in ganz geringen Teilen verändern. Es gab Veränderungen im Grundriss, die einen stärkeren Bezug zur Bestandsstruktur herstellen mussten. Hier sollten Kosten gespart werden. Mehr Umbau im rohen ­Bestandsbau bedeutet eben mehr Kosten.

Aber wo sich vor allem Änderungen ergeben haben war im Bereich der Technik. Hier hatten wir relativ viele technische Innovationen angeboten, die nicht marktgängig waren und damit zunächst einmal deutlich mehr kosten. So wollten wir beispielsweise Dünnschicht-PV-Module auf beiden Dachseiten, um dem Bestand ein homogenes Äußeres zu geben. Und unter den PV-Modulen angeordnete Absorber, die den geplanten Eisspeicher für die Sole-Wasser-Wärmepumpe wieder auftauen sollten. Das und Weiteres mussten wir reduzieren und so optimieren, dass wir am Ende eine intelligente Kombination von auf dem Markt vorhandener Standards erreicht haben.

Wenn Sie sich zurück erinnern: Was war das Ziel der Auslobung, was musste Ihr Entwurf wesentlich leisten? Stichwort Modellvorhaben!

Ich würde es an drei oder vier Stichworten festmachen. Wir mussten den Nachweis führen, dass wir mit unserem Konzept den PlusenergieStandard erreichen, erstmals für ein Mehrfamilienhaus im Bestand. Als Realitätsbezug sahen wir den sehr engen Kostenrahmen, und dann kommt noch das schmale Zeitfenster hinzu. Die Verzögerungen haben sich aus dem Abstimmungsbedarf nach dem Wettbewerbsentscheid ergeben. Die richtige Planung begann Anfang 2013.

Modellvorhaben, Pilotprojekt: Wie dokumentieren Sie diese besondere Sanierung für Nachahmer? In einer Art Leitfaden?

Neben einem Bautagebuch, das die Bauleitung natürlich anlegt, haben wir ja die Planungsphase, auf die Sie hier wohl abzielen. Hier ­haben wir mit dem Bauherren in unseren 14-täglichen Jours fixes
die Planungsentwicklung sehr dicht dokumentiert. Das Besondere ist wohl, dass wir hier in einer recht großen Runde zusammen saßen. So war der Energieplaner aus der Wettbewerbsphase lange Zeit noch mit dabei. Und wir hatten die Gebäudetechnik mit im Boot. Dieser integrale Planungsprozess war hier sicherlich entscheidend für das, wie wir hoffen, gute Ergebnis.

Wie sieht es mit BIM Building Information Modeling aus, wurde das intensiver praktiziert?

Wir haben den Informationsfluss, glaube ich, recht konventionell ­abgewickelt. Man muss ja auch sehen, dass dieses Bauvorhaben doch recht überschaubar ist.

Ist dieses „überschaubare Vorhaben“ für o5 Architekten wichtig?

Es hat auf jeden Fall eine besondere Stellung bei unseren Projekten. Wir haben uns mit unserem Büro schon das Standbein Bauen im ­Bestand geschaffen. Aus unserer Sicht ist das die Bauaufgabe der Zukunft. Gerade aus energetischer Sicht ist das absolut sinnvoll. Den Bestand als Ressource erkennen, um den Wert der grauen Energie wissen, alles das ist wichtig, wenn man über energetische Sanierung oder über Verantwortung redet.

Man kann sagen, dass ein Investor den Rohbau fast für umsonst erhält. Und im hier geplanten Sanierungsvorhaben war der Kostenrahmen so gesetzt, dass die Erreichung des PlusenergieHauses im Bestand soviel Geld kostet, wie ein Neubau, der gerade mal EnEV-Standard hätte.

Gibt es in Neu-Ulm etwas, das über den Wert grauer Energie noch etwas anderes hat, was erhaltenswert ist? Geschichte, Patina?

Ja, das gibt es. Und wir wollten mehr erreichen als nur die physische Nutzbarmachung von Raum. Die Eingriffe, die wir vorgeschlagen haben, gehen sehr behutsam mit dem Bestand um. Die Zeile wird nicht durch gravierende Eingriffe unkenntlich gemacht, im Gegenteil soll sie als solche neu herausgearbeitet und gestärkt werden. So erhalten wir das Dach, in welches sich nun die Wohnungen im Obergeschoss über eine Galerie öffnen.

Gibt es einen guten Wettbewerb mit dem Team um Werner Sobek?

Ich kann mir vorstellen, dass der wirkliche Wettbewerb im zweijährigen Monitoring stattfindet, das an die Fertigstellung anschließt. Schon jetzt aber ist es interessant zu sehen, dass zwei sehr unterschiedliche Konzepte zum gleichen Ergebnis führen, führen sollen. In der Planungsphase hatten wir einen sehr kollegialen Umgang.

Wird es gegenseitige Einladungen vor der Übergabe geben? Oder herrscht in der Pfuhler Straße 4-14 absolute Geheimhaltung?

Ich würde mir eine Einladung sehr wünschen und sie gerne auch aussprechen. Wir hatten in der Vergangenheit gemeinsame Termine und haben die gemeinsam wahrgenommen … von daher wird es solche Besuche auch zukünftig geben.

Gentrifizierung durch Modernisierung: ein Thema für o5 Architekten?

Gute Frage, ich denke, dass wir mit unserem Auftraggeber Glück gehabt haben. Denn die Auseinandersetzung mit diesen Themen, beispielsweise die Sozialvertäglicheit der Baumaßnahme, hat schon im Vorfeld stattgefunden. Natürlich wird es einen Preissprung in der Miete geben, aber eben von einem extrem niedrigen Niveau aus. Zielgruppe ist ganz klar der Normalbürger. Wir hoffen, dass die Projekte eine Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus entwickeln, also Leitbilder und Standard für die Masse der breiten Mitte werden. Wir wollen definitiv kein elitäres, kein Elfenbeinturmprojekt haben.

Stichwort „Strahlkraft“: Wie wird das Neu-Ulmer Projekt auf die künftige architektonisch Haltung von o5 Architekten strahlen?

Wir haben natürlich im Team unterschiedliche Vorlieben und Hintergründe. Mit diesem Wettbewerb sammeln wir ganz besondere Erfahrungen, die wir in Zukunft sicher auch wieder anwenden werden. Ich denke, was uns allen nicht fremd war, ist die Einbindung der Fachplaner und der integrale Planungsprozess von Anfang an. Der sich hierin ausdrückende Teamgedanke ist bei uns immer schon sehr stark ausgeprägt gewesen.

Mit Ruben Lang sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 14. Februar 2014 vor der Baustelle Pfuhler Straße 12 in Neu-Ulm.

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