Multifunktionale Mini-Stadt aus gestapelten Quadern: Timmerhuis von OMA
www.oma.eu, timmerhuisrotterdam.nl
In den letzten Jahren hat sich „mixed use“ zu einer Architekturformel entwickelt, die lebendige Stadtzentren mit hoher Dichte und energieeffiziente Gebäudekonzepte verspricht. Das niederländische Office for Metropolitan setzte mit der Eröffnung des Timmerhuis im Dezember 2015 in Rotterdam einen neuen Meilenstein dieser Typologie, der mit einer exzellenten BREEAM-Zertifizierung im nachhaltigen Bauen neue Maßstäbe setzt. In zentraler Innenstadtlage bietet die Stahlkonstruktion auf 48 400 m² Nutzfläche eine urbane Mischung aus Kultur, Gastronomie und Handel mit Verwaltungsräumen und Apartments.
Nur wenige Schritte von der Einkaufsmeile Coolsingel fügt sich der Erweiterungsbau der Stadtverwaltung Rotterdam mit seiner komplex geformten Glashülle geschmeidig ein in das Laurensquartier mit denkmalgeschützten Gebäuden wie dem Rotterdamer Rathaus, dem Stadstimmerhuis wie auch dem Wohn- und Geschäftshaus von Willem M.
Dudok. Die Glasfassade schließt die Sockelgeschosse zu einer klaren Gebäudeflucht entlang den Straßen Rodezand und Zandstraat. Erst über den Traufkanten der Umgebung entfaltet die Stahlkonstruktion wie ein Spiel mit gestapelten Quadern seine expressive Gestalt. Über 80 Apartments formen eine terrassierte Dachlandschaft, die trotz einer Höhe von bis zu 60 m den Maßstab der Umgebung berücksichtigt. Vollwandige Glasfelder mit zimmerhohen Öffnungsflügeln bieten Panoramaausblicke auf die Stadt.
Das Timmerhuis erzeugt mit seinen Geschäften, der Gastronomie und dem Rotterdam Museum in den unteren Geschossen eine urbane Qualität, die lange unter Verwaltungsgebäuden der 1970er-Jahre begraben war. Deren Abbruch im Jahr 2010 schaffte nicht nur Raum für den Neubau, sondern legte auch die Qualität des 1953 fertiggestellten Stads-timmerhuis offen. Als Sitz des Stadtplanungsamtes von J.R.A. Koops ist das Denkmal ein bedeutender Ort des Wiederaufbaus im kriegszerstörten Rotterdam. Nach einer denkmalgerechten Sanierung schließt die Stahlkonstruktion des Timmerhuis mit Stegen und Büroebenen an den Altbau an. Durch die Verzahnung der Gebäudeteile wandelt sich die historische Außenwand mit ihrem feingliedrigen Dekor in eine effektvolle Innenwand.
Industrielle Materialien wie Drahtglas im Neubau formen zusammen mit den rauen Oberflächen der freigelegten Betonkonstruktion im Altbau eine zeitgemäße Authentizität.
Bereits im Wettbewerb im Jahr 2009 wurde die wechselseitige Anziehungskraft zwischen dem historischen Stahlbetonbau und der elementierten Stahlkonstruktion deutlich. Rastermodelle illustrieren Bezüge zu den visionären Stadtmodellen der Metabolisten oder den Skulpturen des Künstlers Sol Lewitt. Nach dem Wettbewerb wandelte sich unter der Leitung von OMA-Partner Reinier de Graaf der ambitionierte Entwurf zu einem technisch versierten Gebäude, das trotz vielfältiger Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit seine ihm innewohnende Leichtigkeit bewahrte. Zwei überdachte Atrien versorgen das Innere des Gebäudes mit Tageslicht wie auch Frischluft und sind mit einer Wärme-/Kältespeicherung im Boden verbunden. Weitere Aspekte wie die Dreifachverglasung der Gebäudehülle, das Erschließungssystem und ein innovatives Abfallmanagement im Lebenszyklus ergänzen das Nachhaltigkeitskonzept.
Der Zugang in das Timmerhuis erfolgt über eine öffentliche Passage in Verlängerung der Straßenflucht zwischen Rathaus und Postgebäude. Die Wohnungen und Verwaltungsräume werden durch zwei Aufzugstürme erschlossen. Eine Treppenanlage führt aus der Passage hinauf in die Räume der Stadtverwaltung mit 1 295 flexiblen Arbeitsplätzen für 1 800 Mitarbeiter. Die fünfstöckige, offene Bürolandschaft wird durch eine Vielzahl von individuell gestalteten Besprechungsinseln geprägt, die wenige Wochen nach dem Einzug bereits intensiv angenommen werden.
Vor allem in den Atrien wird die enge Verknüpfung der Nutzungen in diesem nachhaltigen Spiel mit Raum-Quadern deutlich. Die offene Stahlkonstruktion ermöglicht die unkomplizierte Umgestaltung der Büroflächen oder auch die immer neue Verbindung von verschieden großen Apartments. Vor allem in der fünften Etage greifen Wohn- und Büronutzung ineinander und ermöglichen spätere Umnutzungen.
Die aktuellen OMA-Projekte in Rotterdam illustrieren das Entwicklungspotential von „mixed-use“, das ambitioniert in eine vielfältige Zukunft weist. Bettina Schürkamp, Köln