Nationalparkzentrum am Ruhestein/Schwarzwald
Der Andrang beim offenen Wettbewerb 2015 war groß: Aus über 160 Entwürfen wählte die Jury jenen des eher kleinen Büros Sturm+Wartzeck aus Hessen. Erfahren im Holzbau, realisierte es ein dem Wald zwar verwandtes, doch gerade deshalb konstruktiv sehr anspruchsvolles hybrides Bauwerk, in dem innovative Holzwerkstoffe und Stahl die Hauptrolle spielen.
Die Baustelle glich lange einem notdürftig stabilisierten Unfall: Da hingen mächtige Fachwerkträger höchst prekär in der Schwebe, ein paar davon schienen schräg den Hang hinabzurutschen. Oberflächlich betrachtet, trug das Gebilde Züge eines ungehemmten Dekonstruktivismus. Sollte das der tiefere Sinn sein hinter dem Werbeslogan des Nationalparks – „Eine Spur wilder“? Die Collage erweist sich keinesfalls als zufallsgeneriertes Hirngespinst, sondern ist für den Zweck maßgeschneidert.
Das Raumprogramm passt mit seiner linearen Abfolge von Ausstellungsräumen in die röhrenförmigen, 5 m starken „Baumstämme“. Und dass die Ausstellung die Stockwerke des Waldes veranschaulichen sollte, vertrug sich gut mit dem Bild herabrutschender Baumstämme.
Der Kontakt mit dem Wald ist großartig gelungen: Ganz nah rücken die baumschlanken Riegel an bestehende Stämme heran. Einen davon fädelten die Architekten gewissermaßen waagerecht durch die Kronen hindurch bis zu einem scheinbar stehengebliebenen „Baum“: Skywalk und Turm waren erfunden.
Ist man die Stufen von der Passstraße hinabgestiegen und über die einzige Öffnung ins Foyer vorgedrungen, wähnt man sich schon halb im Wald: Ein breites Panoramafenster zeigt die nahen Stämme, die planungsbürokratisch tatsächlich Bäume und kein Wald mehr sind, denn sonst hätte man nie im Leben so nah an sie heranrücken dürfen. Vom Foyer zweigen die Wege ab: Nach oben zu Schulungs- und Büroräumen führt ein skulpturaler Treppenblock, links lockt der Shop, daneben das geräumige Kino. Um dieses herum windet sich der Weg sanft hinab zur Dauerausstellung. Und vorwärts, durch die Sonderausstellung, geht es geradewegs auf den Skywalk. Hier hebt der Besucher ab. Steigt er auf den Turm, ist er auf Wipfelhöhe und kann die Wälder ringsum überblicken.
Kraftakt im Wald
Doch wenn tote Baumstämme übereinander fallen ist das etwas anderes, als wenn Hunderte Besucher in luftiger Höhe stabil durch den Wald geführt werden sollen. „Dieses Entwurfskonzept erforderte ein anspruchsvolles Tragwerk“, resümiert Michael Werwigk von sbp.
Das Ganze, in drei Dimensionen schräg verschachtelte, kühn auskragende Bauwerk an einem extremen Standort mit Anhäufungen von maximal 4 m Schnee und 200 Nebeltagen im Jahr wurde zum konstruktiven Kraftakt. Hinzu kam der mögliche Anprall von Bäumen und die Lage in einer Erdbebenzone. „Die Kombination aus anspruchsvoller Geometrie, weiter Auskragung und hohen Lasten machte dies schon zu einer ‚wilden‘ Aufgabe“, sagt Werwigk. „Im Grunde war dies eine sehr spezielle Brückenbaustelle voller Sonderlösungen.“
Das auf einer nach Süden abfallenden Fläche am Waldrand errichtete Bauwerk besteht aus acht ineinandergeschobenen Baukörpern. Vier davon liegen waagerecht einigermaßen parallel zum Hang und sind deshalb statisch noch recht einfach aufgebaut: Riegel E und F bilden das Erdgeschoss und verankern als betonierter Massivbau (kombiniert mit Holzständerwänden) die gesamte Konstruktion im Erdreich – tragfähiger Baugrund war hier erst in 3-5 m Tiefe zu finden.
Leicht verschoben bilden Riegel G und H darauf das Obergeschoss: Sie lagern nur zur Hälfte auf E und F und überspannen dann das Foyer bis zu Riegel D, der in Shop und Foyer noch auf Erdreich ruht, dann aber zum Skywalk mutiert und eine Brücke zum Turm schlägt. Der Vorgabe folgend, möglichst viel heimisches Holz zu verwenden, bestehen die imposant sichtbar belassenen, raumhohen Fachwerkträger aus BauBuche (G, H) und Weißtanne (D).
Hybride Tragwerke
Riegel A, B und C sind die Sonderfälle. Sie formen den abfallenden Parcours der Dauerausstellung. A und B kragen 40 m weit in den Wald hinaus. Um den Waldboden zu schonen, ruhen die bis zu 65 m langen Riegel auf nur wenigen, zumeist punktförmigen Auflagern (Betonpresspfähle, Treppenhaus). Obwohl die Hülle der Riegel aus relativ leichten Hohlkastenelementen aus Brettsperrholz gefügt ist, die zugleich der Aussteifung der Röhren dienen, belasten 500 t das zur Lastabtragung berechnete, diagonal über die Riegel A und C streichende Zugpendel. Das ließ sich nur in Stahl verwirklichen.
Da die Ausstellung als Black Box konzipiert ist, verschwindet die Wandkonstruktion hier hinter Einbauten. So war eine dem Lastverlauf angepasste hybride Bauweise möglich: BauBuche-Binder mit stehenden Pfosten und Zugstangen-Auskreuzung gehen über in Stahlfachwerkträger in V-Geometrie.
Riegel B setzt in spitzem Winkel seitlich an Riegel A an. Er hängt an einem stählernen Ausleger, der die Last durch den darunterliegenden Riegel C in ein vorgespanntes Betonfundament ableitet. Wandträger und Ausleger bilden ein biegesteifes Dreieck. Um Verformungen auszugleichen, ruhen die Riegel beweglich auf Gleitlagern. Wer aufmerksam durch das Gebäude geht, sieht deshalb an vielen Stellen Dehnfugen.
Die komplexe Geometrie brachte die Planer zeitweise arg ins Schwitzen: „Jede Verschiebung, jede Änderung der Dämmstärken stellte das zulässige Gefälle der Ausstellungsräume in Frage“, erinnert sich Jörg Sturm. Für ihn und seine Partnerin Susanne Wartzeck sowie das fünfzehnköpfige Team war dies der bislang anspruchsvollste Auftrag, in dem kein Anschlusspunkt dem anderen gleicht.
Auch an Skywalk und Turm ergänzen sich Holz und Stahl. Am Skywalk schützt eine hinterlüftete Konstruktion aus Holzverschalung und Blechverwahrungen die Fachwerkträger aus Weißtanne-Brettschichtholz. Querträger, Aussteifungen und Gitterroste sind aus feuerverzinktem Stahl. Am 34 m hohen Turm, der als Brettsperrholzkasten um 15 Grad geneigt im Erdreich eingespannt ist, helfen Stahlelemente in den am stärksten belasteten Zonen nach. Auf insgesamt 300 t summiert sich der Stahlanteil im Gebäude.
Logistik und Montage
Die Konstruktion zwischen den Bäumen am Steilhang zu montieren erforderte eine ausgeklügelte Logistik. Die Röhren wurden im Vorfeld der Baustelle soweit gefügt, dass sie der Kran abschnittweise durch die Baumwipfel einheben konnte. So wurde vom Skywalk zunächst ein 35 m langer, 11 t schwerer Teil als Kasten vormontiert und dann zwischen Riegel D und ein Hilfsgerüst eingehoben. Der Rest wurde vom Turm aus montiert, der selbst in zwei Abschnitten einschwebte: erst der den Skywalk tragende Stumpf, dann der darüber hinausragende Aufbau. An allen Schnittstellen waren Passgenauigkeit, aber auch Möglichkeiten zum Toleranzausgleich gefordert. Zugleich mussten die Holzbauteile stets vor der Witterung geschützt werden.
In das Fachwerkgerippe funktionierende Räume einzupassen war gar nicht so leicht. Leider verschloss die Ausstellung auch die „Anschnitte“ der Röhren. So geht der Bezug zum Gegenstand, der im Foyer so überwältigt, unterwegs verloren und taucht erst im schlichten „Raum der Stille“ wieder auf. In den übrigen Räumen liegt die Passivhaus-Hülle hinter dem Tragwerk, das auf diese Weise umso mächtiger wirkt – und Fläche beansprucht. Christoph Gunßer, Bartenstein
Anmerkung:
Das Nationalparkzentrum öffnet wegen der Pandemie voraussichtlich schrittweise ab dem kommenden Frühjahr.
Näheres unter: www.nationalpark-schwarzwald.de
Baudaten
Objekt: Besucherinformationszentrum
Standort: Ruhestein Schwarzwald
Bauherr: Land Baden-Württemberg vertreten durch die Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Pforzheim
Nutzer: Nationalpark Schwarzwald
Architektur: Sturm und Wartzeck GmbH, Dipperz,
www.sturm-wartzeck.de
Bauleitung: Baumeister Architekten, Stuttgart,
www.baumeisterarchitekten.de
Planungs- und Bauzeit: 2015–2020
Fachplaner
Tragwerksplaner: schlaich bergermann partner sbp GmbH, Stuttgart, www.sbp.de
TGA-Planer: EWT Ingenieure GmbH, Grebenhain, www.ewt-ingenieure.de
Brandschutz: Assel Brandschutz, Fulda, www.assel-brandschutz.de
Bauphysik: Ing.-Büro Dr. Schäcke + Bayer GmbH, Waiblingen,
www.ib-schaecke.de
Bauphysik thermische Simulation: Brüssau Bauphysik GmbH Fellbach, www.bruessau-bauphysik.de
Freianlagen: (f)landschaftsarchitektur GmbH, Solingen,
www.landschaftsarchitektur.net
Projektdaten
Brutto Grundfläche: 5 250 m²
Nutzfläche: 3 700 m²
Fläche Dauerausstellung: 1 050 m²
Fläche Wechselausstellung: 240 m²
Baukosten (Nach DIN 276)
Gesamt: 35,5 Mio. €
Das im preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag formulierte Bildmotiv der Totholzstapel wurde aus Nadel- und Laubholz mit konstruktiver Raffinesse mitten im Schwarzwald umgesetzt. Kompliment an alle Beteiligten für den enormen Aufwand in der Planung und Ausführung. Es hat sich gelohnt!«
⇥DBZ Heftpartner Prof. Dr.-Ing. Jürgen Graf und
Prof. Stephan Birk, TU Kaiserslautern