Solaraktive Außenhaut

Neues Rathaus im Stühlinger, Freiburg im Breisgau

Für das Rathaus der Solarhauptstadt Deutschlands entwarfen ingenhoven architects eine Solarfassade. Die Fassadengestaltung ist mit ihrem Wechsel von Holz-, Glas- und Photovoltaik-Elementen einzigartig und ein integraler Bestandteil des ganzheitlichen Energiekonzepts.

Rahmenbedingungen für das weltweit erste öffentliche Netto-Plusenergie-Gebäude

Freiburg im Breisgau gilt als die „Grüne Hauptstadt Europas“. Der Stadtverwaltung schien es im Herbst 2012
bei der Auslobung eines Architekturwettbewerbs für
den Neubau eines städtischen Verwaltungszentrums am Standort Fehrenbachallee um genau die Etablierung dieses Anspruchs zu gehen. Darüber hinaus ist es erklärtes Ziel, bis 2030 im ganzen Stadtgebiet bis zu 40 t an CO2- Emissionen einzusparen. Daher sollte das neue Gebäude den Netto-Plusenergie-Standard (Raumklima nach EN DIN 15 251) erreichen. Dies bedeutet, dass mehr Energie über regenerative Quellen gewonnen als für Heizen,
Kühlen, Lüften und Beleuchten benötigt wird. Die überschüssige Energie soll ins Stadtnetz eingespeist werden.

2013 gewannen ingenhoven architects den interna-
tional ausgeschriebenen Wettbewerb, der in drei Bauabschnitten realisiert werden soll. Erstmalig werden alle Mitarbeiter der Stadtverwaltung nicht mehr an über 16 Standorten verteilt arbeiten, sondern an einem Ort vereint. Gezielt verlangte der Auslober ein „Low-Tech-Konzept,“ wobei einfache statt komplexe Lösungen einen ökonomischen wie auch ökologischen Betrieb gewährleisten müssen. Darüber hinaus ist der Neubau des Verwaltungszentrums im Rahmen der Rathauserweiterung für die Stadt Freiburg Impulsgeber für eine städtebauliche und stadtgestalterische Aufwertung des Stadtteils Stühlinger und fördert die Vernetzung des Grüngürtels zwischen Eschholzpark und Univer-sitätsklinikum. Das Siegerkonzept von ingenhoven architects folgt den Prinzipien von Offenheit und Transparenz, sowie der Idee eines „Grünen Campus“, der drei Gebäudetrakte und eine Kindertages-
stätte vereint.

supergreen® – ein ganzheitlicher Planungsansatz

supergreen® ist ein von ingenhoven architects geprägter und patentierter Begriff. Er definiert mit seinen stringenten Anforderungen das Gebäudedesign, den Materialeinsatz einschließlich der Fragen des Ressourcenverbrauchs sowie den Prozess der Konstruktion und die Ausführung bis zur Gebäudeausrüstung. Der Energie- und Ressourcenverbrauch wird anschließend über die gesamte Lebensdauer des Bauwerks gemessen.

Der Entwurf für den ersten Bauabschnitt umfasste einerseits das sechsgeschossige Rathaus (BGF 24 215 m²) mit dem ellipsoiden Grundriss, in dessen begrünten Innenhof sich im Erdgeschoss das Bürgerservicezentrum befindet und andererseits eine kreisrunde
Kindertagesstätte (BGF 1 900 m²). Letztere befindet sich unmittelbar
neben dem Hauptgebäude und wurde als Passivhaus geplant und
realisiert. Das Rathaus steht im alleinigen Fokus dieses Beitrags. Auch hier galt es die strengen Regeln und Normen des Passivhausstandards zu erfüllen, wobei der Primärenergiebedarf des öffentlich zugänglichen Verwaltungsbaus bei nur etwa 45 kWh/m²a liegen durfte, was gleichbedeutend mit einer 40-prozentigen Reduzierung des Bedarfs im Vergleich zu einem regulären modernen Bürobau ist. Die für das Gebäude notwendige Energie wird thermisch über Saug- und Schluckbrunnen und Solarthermie im Zusammenhang mit Wärmepumpen sowie elektrisch über Photovoltaik auf dem Dach und an der Fassade erzeugt. Die Energie für die Kühlung und Heizung wird aus Erdwärme gewonnen. Die Heizung nutzt thermische Bauteilaktivierung und kann individuell in den Büros geregelt werden. Alle öffentlichen Bereiche verfügen über ein Heiz- und Kühldeckensystem sowie eine Teilklimaanlage mit Wärmerückgewinnung.

Entwicklung des Fassadenkonzepts

Die Fassade ist integraler Bestandteil des gebäudetechnischen und bauphysikalischen Gesamtkonzepts und wurde zusammen mit dem Generalfachplanungsbüro DS-Plan unter der Berücksichtigung folgender Fragen und Kriterien bzgl. Energie und Ökologie abgestimmt: Ein- oder Zweischaligkeit; Lage und Art des Sonnen- und Blendschutzes; Tiefe der Fassadenkonstruktion (Konstruktionsfläche); Fassadenbefestigung in Bezug auf Gebäudekonstruktion; Reinigungs- und Wartungssystematik, was auch für die Lichthofüberdachung des Bürgerservicezentrums gilt.

ingenhoven architects und DS-Plan verbindet eine über 20-jährige Zusammenarbeit in der Konzeption und Ausarbeitung ganzheitlicher Energiekonzepte für innovative, energie- und ressourcenschonende wie nachhaltige Gebäude. Prof. Dr.-Ing. Michael Bauer, Geschäftsführer des Bereichs Engineering, Drees & Sommer Advanced Building Technologies, weist darauf hin, dass der Bauherr das Rathaus allerdings nicht von Anfang an als Netto-Plusenergie-Gebäude angedacht hatte, allenfalls als Passivhaus. Die Ausreizung des energetischen
Potentials basierte somit allein auf den beidseitigen Ambitionen von Architekt und Fachplaner, wie Prof. Bauer weiter ausführt: „Wir hinterfragten gezielt, wie der Energiebedarf zu reduzieren sei, z. B. mit Hilfe der Gebäudehülle, einer hohen Tageslichtausnutzung und der Solarenergieanwendung. Dann rechneten wir dagegen, was die verschiedenen Energieerzeugungssysteme unter bestimmten Rahmenbedingungen erreichen können. Wir wussten beispielsweise, dass wir Grundwasser zum Heizen und Kühlen verwenden konnten und wieviel elektrischen Strom wir benötigen, um das Gebäude zu betreiben. All das setzten wir ins Verhältnis zu den benötigten Photovoltaikflächen in Fassade und Dach.“

Allerdings prüfte man auch eingehend, ob sich z. B. der Einsatz von Photovoltaik lohnt, denn am Ende der energetischen Gleichung steht immer ein gesamtwirtschaftliches Konzept. Mit anderen Worten: Das Energiekonzept würde nicht aufgehen, ohne gleichzeitig die Nutzung, das Fassadenkonzept und die Raumklimasysteme mit entsprechenden Temperaturniveaus zu berücksichtigen. Erst nach dieser wirtschaftlichen Unterlegung des Gesamtkonzepts übernahm der Bau-

herr die von Architekten und Fachplanern gesetzten, ehrgeizigen energetischen Ziele.

Der Spagat zwischen Design, Planung, Fertigung und Nutzung

Das Fassadenbild, insbesondere der Wechsel der von Nord-Ost
über Süd nach Nord-West platzierten Photovoltaik-Elemente (ca. 13 000 m²) mit normalen Glasscheiben, stellen ein Charakteristikum des neuen Freiburger Rathauses dar. Diese abwechselnde Holz-Glas-Konstellation ist ein absolutes Novum. Die energetisch optimierte Aluminium-Pfosten-Riegelfassade mit ihren prägenden, für die natürliche Lüftung nach außen gefalteten PV-Elementen wurde speziell dafür von ingenhoven architects entworfen.

Die Lärchenholzfassade wurde aus nachwachsendem Rohstoff der Region gefertigt. Sie ist ein eindrucksvolles Beispiel einer Synthese aus Ästhetik und Funktionalität, wobei der Wetter- und Sonnenschutz, die Nachtauskühlung sowie die Integration der Photovoltaik eine gleichberechtigte Rolle spielen. Rund 880 Solarpaneele in versetzt angeordneten, senkrecht auskragenden Modulen (3,5 m lang x 0,7 m breit, fast 100 kg Gewicht, mit einer Leistung von 215,6 kWp) sind in die Fassade integriert. Der 7 mm-Abstand der Solarzellen zueinander erzeugt eine hohe Transparenz zum dahinterliegenden Holzelement. Jeweils fünf Module stehen in gleicher Ausrichtung pro Geschoss übereinander. Fest in Stahlrahmen montiert, können sie aber nicht der Sonne nachgeführt werden – eine Beschränkung, die aus Kostengründen auferlegt wurde. Die Verglasung besteht aus einer 3-fachen Wärmeschutzisolierverglasung mit außenliegendem Sonnenschutz als Lamellenraffstore und optional innenliegendem Blendschutz. Die manuell zu öffnenden Lüftungsflügel sind als hochwärmegedämmte Paneelflügel konstruiert. Auch hier wurde Wert auf einfache techni-sche Lösungen und eine hohe Wirtschaftlichkeit im Betrieb gelegt.

Als fünfte Fassade gehört auch das Dach optisch wie funktional zum energetischen Gesamtkonzept. Auf dem Flachdach, ohne Aufzugüberfahrten und haustechnische Anlagen, befindet sich eine ca. 500 kWp Photovoltaik-Anlage mit ca. 10 % Neigung. Torsten Röder von der Firma a2-solar, die die Module für Fassade und Dach lieferte, ergänzt: „Eine Strahlungssimulation wurde von DS-Plan durchgeführt, was dazu führte, dass wir jedes Modul mit einem Leistungsoptimierer ausrüsteten, um der jeweiligen Ausrichtung zum Sonnenstand hin gerecht zu werden, als auch der individuellen Position in der Gebäudehöhe. So erreichten wir, dass jedes Modul zum jeweiligen Zeitpunkt und Ort immer den maximal möglichen Energieertrag liefert.“

Auf der Baustelle errichtete man zur Erprobung der Fassade ein 1:1 Modell, bei dem ästhetische, aber auch funktionale Belange erprobt wurden. Dadurch gelang es, die Belegungsflächen mit Photovoltaik noch weiter zu verbessern, das Verhältnis von Innen- und Außenwirkung anzupassen, den Materialwechsel in den horizontalen Schwertern aus Gewichtsgründen und zur Verbesserung des Bauablaufs von Stahl auf Aluminium zu ändern und das Farbkonzept von Anthrazit auf Bronze umzustellen. Dank dieser Vorgehensweise wurde aus optischen und nachhaltigen Gründen Holz als das Trägermaterial der Photovoltaikpaneele bestimmt.

Innovation pur
Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) bescheinigte dem Projekt (www.ise.fraunhofer.de/de/forschungsprojekte/netto-nullenergiegebaeude-rathaus-freiburg.html), dank der innovativen Solarfassadenelemente ein „netzdienliches Netto-Nullenergie Bürogebäude“ zu sein. „Ein Ziel des Projekts ist es, von Planung und Ausschreibung über Bau und Inbetriebnahme bis zu einem fortlaufenden Energiemonitoring, Werkzeuge zur integralen Planung und Erfolgskontrolle einzusetzen bzw. weiterzuentwickeln. Im Betrieb stehen die dynamischen Lastprofile von Bedarf und Erzeugung im Fokus, neben der Betriebsüberwachung wird auch die Interaktion mit den Versorgungsnetzen untersucht und Möglichkeiten eines netzdienlichen Betriebs erarbeitet.“

Die mit dem Energiekonzept verbundenen Mehrkosten sollten sich in ca. zehn Jahren amortisieren. Wie hoch die Energieausbeute genau ausfallen wird, kann man erst nach dem ersten Nutzungsjahr wissen: Seit September 2017 ist man in der Einregulierungsphase. Das Projekt ist für die nächsten zwei Jahre in ein Forschungsvorhaben der Universität Freiburg eingebunden. Christian Brensing, Berlin

Projektdaten

Objekt: Rathaus Freiburg, Fehrenbachallee 12, Freiburg
Bauherr: Stadt Freiburg im Breisgau, vertreten durch das Gebäudemanagement Freiburg
Architekt: ingenhoven architects, Düsseldorf, www.ingenhovenarchitects.com
Team: Christoph Ingenhoven, Hinrich Schumacher, Barbara Bruder, Rudolf Jonas, Ursula Koeker, Bibiana Zapf
Bauleitung: ingenhoven architects / Ernst² Architekten, Hannover,

www.ernst2-architekten.de

Fachplaner

Tragwerksplaner: Mohnke Höss Bauingenieure, Freiburg,

www.mh-bauingenieure.de
Energieplaner/Energiekonzept, PV, Gebäudetechnik/Fassadentechnik/Akustik:

DS-Plan, Stuttgart, www.ds-plan.com
Brandschutzplaner: BPK Brandschutz Planung Klingsch, Frankfurt a. M.,

www.bpk-fire.de

Baudaten

Nutzfläche: 14 964 m²; Technikfläche: 1 578 m²; Verkehrsfläche: 6 001 m²
BGF: 24 215 m²; BRI: 99 139 m³

Energiekonzept

Niedertemperaturheizung und Hochtemperaturkühlsysteme, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, Grundwassernutzung mit Wärmepumpe/Heizbetrieb und Plattenwärmetauscher/Kühlbetrieb; hocheffektive Photovoltaikkollektoren auf Dach und Fassade, Energiemanagement-System (EMS)
Gebäudehülle 
U-Wert Fassadenpaneel = 0,6 W/(m²K)
U-Wert Bodenplatte = 0,19 W/(m²K) U-Wert Dach = 0,08 W/(m²K) Uw-Wert Verglasung = 0,90 W/(m²K)
g-Wert Verglasung = 0,48

Haustechnik
Kälteerzeugung zu 100 % über freie Kühlung mittels Grundwasser (Brunnen), Wärmeerzeugung über Wärmepumpen (Wasser/Wasser) und Spitzenlast-Heizkessel mit Biogas. 13 000 m² PV-Anlage auf Dach und Fassade, Bauteilaktivierung mit Heiz-Kühldeckensegeln, Heiz-Kühldecken, partiell Fußbodenheizung-/kühlung, vollflächige Teilklimaanlagen mit hocheffizienter WRG und FU-geregelter Ventilation, LED-Beleuchtung mit Tageslicht- und Präsenzregelung

Hersteller

Kompaktdach: Paul Bauder GmbH & Co. KG, www.bauder.de

Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de
Photovoltaik: A2-solar Advanced and Automotive Solar Systems GmbH,

www.as-solar.com
Türen: Hörmann KG Verkaufsgesellschaft, www.hoermann.de
Trockenbau: Saint-Gobain Rigips GmbH, www.rigips.de
Beleuchtung: Zumtobel Lighting GmbH, www.zumtobel.com

Energiebedarf

Was ist das Supergreen Konzept?


supergreen® – ein Begriff, den ingenhoven architects geprägt haben und patentieren ließen – meint ein umfassendes Konzept von Nachhaltigkeit. Es misst dem Energie- und Ressourcenverbrauch grundsätzliche Bedeutung beim Bauen und Planen bei – vom Gebäudedesign über den Materialeinsatz und dem Prozess der Konstruktion und Ausführung bis zur Gebäudeausrüstung. supergreen® schließt auch die Frage des Ressourcenverbrauchs für die gesamte Lebensdauer des Gebäudes ein, wobei die Primär- und Sekundärbilanzen der verwendeten Materialien, Baustoffe und Bauarten in die Betrachtung einbezogen werden.
Das Konzept supergreen® spiegelt auch den wachsenden Anspruch der Menschen im Hinblick auf die gesundheitlichen Faktoren ihrer täglichen Umgebung wider. Dies fängt mit entsprechend klimatisierten Arbeitsräumen an und hört bei lärmgeschützten Wohnräumen nicht auf. Die Versorgung mit frischer, natürlich temperierter Luft, ein gesundheitsförderndes Raumklima, Helligkeit, Ruhe, der unverstellte Ausblick vom Arbeitsplatz, all dies gehört ebenso zu den für das Wohlbefinden relevanten Faktoren wie ein ansprechendes Interior-Design, das Ästhetik mit Funktionalität verbindet. Der ganzheitliche Ansatz von Nachhaltigkeit spiegelt letztlich die Verantwortung wider, die Architekten und Planer heutigen Problemen wie dem Klimawandel und dem globalen Ressourcenverbrauch gegenüber haben. Angesichts eines Ressourcenverbrauchs durch Gebäude, der in entwickelten Industrienationen wie Deutschland ein Drittel des Gesamtverbrauchs ausmacht, versteht sich supergreen® als eine Antwort der Architektur auf aktuelle Umweltprobleme.
Nachhaltige Architektur, die heute einen hohen Grad an Komplexität aufweist, ist kein abgeschlossenes Konzept, sondern befindet sich im Zustand kontinuierlicher Weiterentwicklung. In den Worten von Christoph Ingenhoven: „Wir haben überall auf der Welt Gebäude nach den höchsten umweltschonenden und energiesparsamsten Maßstäben realisiert, aber wir zielen mit der Idee einer grünen Architektur weiter: Die Herausforderung liegt darin, mehr zu tun, als der aktuelle Mindeststandard von uns verlangt. Neben der Energiesparsamkeit sind auch Fragen der Gesundheitsqualitäten unserer Gebäude zu beantworten. Das Thema Raumpsychologie und Fragen, wie Räume beschaffen sein müssen, damit Menschen in ihnen gesund leben und sich sicher und gut fühlen, leiten unsere Konzepte für eine nachhaltige Architektur nicht weniger als die neueste Technologie in Fragen ressourcenschonendes Bauen.“
www.ingenhovenarchitects.com/supergreen-de

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