Paulinum in Leipzig, ein Besuch
erickvanegeraat.com, www.uni-leipzig.de

Das Zeichenhafte von Architektur wird immer dann besonders deutlich, wenn Gebautes ein Zeichen sein soll. Entweder, weil ein – immer öffentlicher – Bau für eine Haltung, ein gesellschaftspolitisches Bekenntnis beauftragt wird oder weil man einem Bau ein solches Bekenntnis im Nachhinein unterstellt. Dass solche Mechanismen des Zeichenhaften am deutlichsten in absolutistischen Gesellschaften funktionieren, zeigen die Bauten der heroischen Moderne ebenso wie die des Staatssozialismus der ehemaligen DDR.

In Leipzig, einer protestantisch geprägten Universitäts- und Verlegerstadt, wurde die vom Krieg 1939–45 glücklich verschonte Universitätskirche St. Pauli als ein Zeichen für bürgerliche Dekadenz 1968 gesprengt. Auch um Platz zu machen „für die neue Zeit“. Ein Hochschulgebäude dieser neuen Zeit kam auf den Platz des 1543 säkularisierten Dominikanerklosters mit Kirche, ab diesem Zeitpunkt bildete dessen Gebäudeensemble die Universität Leipzig, die 1974 mit einem Neubau auf dem Abriss als „Karl-Marx-Universität“ wiederum ein Zeichen war. Spätestens mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden Stimmen immer lauter, die von Martin Luther als evangelische Universitätskirche geweihte Pauliner Kirche wieder neu aufzubauen. Was in Dresden mit der Frauenkirche möglich sein sollte, musste in Leipzig doch auch gelingen?!

Doch es kam anders, angesichts des nahenden 600-jährigen Jubiläums der Universität im Jahr 2009 musste alles sehr schnell gehen. So wurde für den innerstädtischen Campus am 27. August 2001 vom Freistaat Sachsen in Zusammenarbeit mit der Universität und der Stadt Leipzig ein EU-weiter Realisierungswettbewerb in zwei Phasen zur Neu- und Umgestaltung des innerstädti-schen Universitätskomplexes am Augustusplatz ausgeschrieben. Mit dem Ziel einer „funktionalen und gestalterischen Neu- und Umgestaltung des innerstädtischen Universitätskomplexes, eines Vorentwurfs für den Neubau eines Institutsgebäudes mit kommerziellen Bereichen, einer Aula, eines gro-ßen Hörsaals und einer Mensa sowie der baulichen Integration von Haupt-, Seminar- und Hörsaalgebäude“. Von Kirche stand da nichts.

Aber von einer Aula, die eine „lebendige Begegnungsstätte und zentraler Ort akademischer Veranstaltungen, der Universitätsgottesdienste und der universitären Musikpflege“ werden sollte. Die Jury-Entscheidung fiel für den Entwurf von behet + bondzio, Münster (2. Preis, ein erster wurde nicht vergeben). Dem Wettbewerb folgte – wohl auf Druck der Öffentlichkeit – ein Qualifizierungsverfahren: Neues Augusteum und Paulinum. Das gewann am 24. März 2004 der Entwurf des Rotterdamer Architekturbüros Erik van Egeraat associated architecs EEA. Schon Ende 2004 begannen die Arbeiten für den neuen innerstädtischen Campus, ab Februar 2007 wurden das Hauptgebäude und die Mensa abgerissen. Während bis 2009 die meisten Universitätsbauten realisiert wurden und 2012 das Neue Augusteum fertiggestellt wurde, dauert es beim Paulinum bis heute. Am 26. Februar 2016 nahm eine Expertenkommission die große Orgel in der Aula ab und eigentlich wäre alles bereit für eine Inbetriebnahme von Aula mit Andachtsraum; gäbe es nicht Probleme mit der Verglasung der Rundpfeiler. Hier funktioniert der Anschluss des Glases an die Rippen des Gewölbes nicht, für pragmatische Lösungen ist der Architekt nicht zu haben. Eine Eröffnung der Aula mit Andachtsraum hinter Kunstglaswänden ist jetzt für 2017 geplant.

Egeraats Entwurf hat unterschiedlich kontroverse Diskurse ausgelöst, die von juristischen Auseinandersetzungen über persönliche Attacken bis hin zu begeisterter Zustimmung reichen. Doch wie auch immer: Die Leipziger Kultur wird profitieren! Be. K.

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