Planen im Bestand – die mitzuverarbeitende Bausubstanz nach der HOAI 2021
Honorarthemen werden von ArchitektInnen/IngenieurInnen oft vernachlässigt, manchmal mit den schlimmsten Folgen. Besonders relevant wird dies, wenn bereits vorhandene Bausubstanz konstruktiv und gestalterisch in die Planung integriert werden muss.
Die Verantwortung von PlanerInnen wächst enorm. Da die Baukosten dann nicht automatisch mitsteigen, steht einem meist höheren Arbeitsaufwand des Planers/der Planerin ein relativ geringes Honorar gegenüber. PlanerInnen, die sich hierüber – meist um den Auftrag zu bekommen – keine Gedanken bei Vertragsschluss machen, erhalten dann nur zu oft nicht das angemessene Honorar für ihre Leistung. Ein Grund mehr, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen.
Sah der § 10 Abs. 3a HOAI 1996 noch vor, dass die mitzuverarbeitende vorhandene Bausubstanz bei den anrechenbaren Kosten zu einer erheblichen Honorarerhöhung führte – unabhängig vom vereinbarten Umbauzuschlag – wurde diese Norm mit Einführung der HOAI 2009 gestrichen. Stattdessen wurde in der HOAI 2009 eine Erhöhung des Umbauzuschlags vorgesehen. Dies führte allerdings zu dem Problem, dass PlanerInnen hiervon nicht oft Gebrauch machten bzw. ein angemessenes Honorar in Vertragsverhandlungen nicht in fairer Höhe durchsetzen konnten. Mit dem § 4 Abs.3 iVm § 2 Abs.7 HOAI 2013 schuf der Verordnungsgeber eine der § 10 Abs.3a HOAI 1996 stark ähnelnde Regelung. Diese Regelung gilt auch nach der Reform für die aktuelle HOAI 2021. Gemäß § 4 Abs.3 HOAI ist der Umfang der mitzuverarbeitenden Bausubstanz bei den anrechenbaren Kosten angemessen zu berücksichtigen. Hier müssen ArchitektInnen/IngenieurInnen aber selbst aktiv werden.
Die mitzuverarbeitende Bausubstanz
Die mitzuverarbeitende Bausubstanz ist der Teil des zu planenden Objekts, der bereits durch Bauleistungen hergestellt ist und durch Planungs- oder Überwachungsleistungen technisch oder gestalterisch mitverarbeitet wird, vgl. § 2 Abs.7 HOAI. Dieser Begriff ist weit auszulegen. Die vorhandene Bausubstanz muss im Ergebnis nicht körperlich umgestaltet werden. Eine Berücksichtigung der vorhandenen Bausubstanz findet allerdings ihre Grenze dort, wo PlanerInnen diese lediglich zeichnerisch darstellen, ohne sich mit ihr planerisch zu befassen. Sofern die Darstellung der mitzuverarbeitenden Bausubstanz einem Planungszweck dient, liegt ein „Mitverarbeiten“ iSv. § 2 Abs.7 HOAI vor. Im Ergebnis bleibt es aber oft eine Einzelfallbewertung, ob ein „Mitverarbeiten“ vorliegt. Diese Regelung bildet daher nicht selten ein Einfallstor für Rechtsstreitigkeiten.
Die angemessene Berücksichtigung der mitzuverarbeitenden Bausubstanz
Die HOAI bestimmt in § 4 Abs. 3 nämlich lediglich, dass die mitzuverarbeitende Bausubstanz im Rahmen der anrechenbaren Kosten angemessen zu berücksichtigen ist. Was allerdings angemessen ist, verrät die HOAI nicht. Durchgesetzt hatte sich eine Berechnungsformel, die die anrechenbaren Kosten aus der mitzuverarbeitenden Bausubstanz (AmvB) aus der Menge (M) der mitzuverarbeitenden Bausubstanz, dem Wertfaktor (W) für die mitzuverarbeitende Bausubstanz sowie dem Leistungsfaktor (L) für den Grad der Mitverarbeitung der vorhandenen Bausubstanz ermittelt: AmvB = M * W * L.
Wie die einzelnen Werte ermittelt werden, ist weiterhin höchst umstritten und Gegenstand vieler Gerichtsprozesse. Dass sich dieses kurzfristig ändern wird, ist nicht zu erwarten.
Der Wertfaktor berechnet sich nach dem objektiven Wert der vorhandenen Bausubstanz im tatsächlichen Erhaltungszustand. Zur Ermittlung haben sich die Kubikmetermethode (Bruttorauminhalt x aktuelle Preise – Abzug für Alter und Abnutzung), die Grobelementemethode (Mengenmäßige Erfassung nach den Grobelementen: Außen-/Innenwänden, Boden-/Deckenflächen) und die Vergleichsmethode (Anknüpfung an Vergleichsobjekte, die bereits nach der DIN 276 ausgewertet wurden) etabliert.
Der Leistungsfaktor wird seit der HOAI 2013 stets objektbezogen ermittelt. Er legt fest, in welchem Umfang der Bestand durch Planungs- oder Bauüberwachungsleistungen mitverarbeitet wird. Der Objektbezug wird für die Honorarberechnung aller Leistungsphasen einheitlich zum Ende der Leistungsphase 3 ermittelt. Damit wurde der aufwandsbezogene Ansatz aus der HOAI 1996 nicht weiter verfolgt.
§ 4 Abs.3 Satz 2 HOAI 2021 sieht nicht nur eine Ermittlung des Umfangs und des Wertes der mitzuverarbeitenden Bausubstanz am Ende der Leistungsphase 3 vor, sondern auch eine Vereinbarung zwischen PlanerIn und AuftraggeberIn in Textform (ohne Unterschrift – E-Mail, SMS, Whatsapp, etc.). Die HOAI 2013 verlangte hier noch die strengere Schriftform. Für die HOAI 2013 wurde vertreten, dass diese Regelung keine Anspruchsvoraussetzung für ein höheres Honorar darstellt, sondern lediglich der Beweissicherung dient. Mit dieser Regelung sollten in erster Linie Honorarstreitigkeiten vermieden werden. Wurde eine solche Einigung vergessen, konnten die Kosten der mitzuverarbeitenden Bausubstanz über die zwingend geltenden Mindestsätze durchgesetzt werden. Die mitzuverarbeitende Bausubstanz war Teil der Mindestsätze und ein Honorar konnte grds. nicht unter die Mindestsätze fallen. Dem hatte der EuGH mit Urteil vom 4.7.2019 (Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verstoßes des zwingenden Preisrechts der HOAI 2009/2013 gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie) einen Riegel vorgeschoben. Die Rechtslage für Altfälle ist derzeit (noch) vollkommen ungeklärt. Spätestens aber für Verträge, die ab dem 1.1.2021 geschlossen wurden, gibt es kein zwingendes Preisrecht und damit auch keine Mindestsätze mehr. PlanerInnen können sich dann nicht mehr auf die Mindestsätze berufen, wenn in ihrer Honorarvereinbarung die vorhandene Bausubstanz keinerlei Berücksichtigung fand. Zwar gibt es jetzt Basishonorarsätze, die auch eine Auffangfunktion haben, sofern keine Honorarvereinbarung mindestens in Textform geschlossen wurde. Sofern aber eine Honorarvereinbarung geschlossen wurde, nur keine Regelung über die mitzuverarbeitende Bausubstanz, kann sich nicht auf den Basishonorarsatz berufen werden, wenn die Honorarvereinbarung diesen unterschreitet. Eine gesetzliche Vermutung, wie bei dem Umbauzuschlag, wurde nicht aufgenommen oder schlichtweg vergessen. Auch hier werden erst wieder Gerichte etwas Licht ins Dunkel bringen.
Es ist daher dringend anzuraten, für die mitzuverarbeitende Bausubstanz eine ausgewogene Regelung zu treffen. Diese sollte zumindest vorgeben, dass und wie sich das Honorar durch die mitzuverarbeitende Bausubstanz erhöht. Hierzu sollte auch festgelegt werden, nach welcher Methode die mitzuverarbeitende Bausubstanz zu ermitteln ist (Umfangberechnungsmethode und Leistungsfaktor). Nach der neuen HOAI 2021 könnte aber auch eine Pauschale gebildet werden oder ein Aufschlag – ausdrücklich neben dem Umbauzuschlag – zum Honorar von x % vereinbart werden.
Die HOAI 2021 birgt daher für die Berücksichtigung der mitzuverarbeitenden Bausubstanz neue Risiken, aber auch Chancen. Es gilt der Verhandlungsgrundsatz. AuftraggeberInnen und AuftragnehmerInnen sollen eine Honorarvereinbarung treffen, die auch diesen Punkt berücksichtigt. Hierüber sollte immer ein Protokoll geführt und zur Grundlage des Vertrages gemacht werden. Denn auch bei der Vorgabe von neuen Regelungen, die keinerlei Preisrecht mehr beachten müssen, besteht letztlich immer noch die Gefahr einer Unwirksamkeit der Regelung nach einer AGB-Kontrolle.