PreisträgerLandesarchiv NRW in Duisburg
Architektur
Das Landesarchiv NRW zeigt sich zur Autobahn und zum Innenhafen als markante ziegelrote Baufigur. Das vorhandene Speichergebäude aus den 1930er Jahren wird durch einen Archivturm im Zentrum ergänzt. Das Archivgut des Landes kann nun prägnant sichtbar und in Gänze aufgenommen werden. Die Öffnungen und die Dachflächen des bestehenden Speichers werden geschlossen. Der neue Speicherturm setzt sich mit feiner Reliefierung von der alten Klinkerstruktur ab. Das Gebäude nimmt Archivalien in insgesamt 148 km Länge auf.
Das Foyer liegt im Schnittpunkt des Speichers und der Büroflächen. Es entsteht ein angemessener Eingang für das neue Landesarchiv. Das Foyer und die öffentlichen Bereiche öffnen sich zur Uferpromenade.
Im Inneren des Foyers blickt man über große Öffnungen in das gesammelte Archivmaterial. Von hier aus wächst der Neubau nach Osten in das Baufeld hinein. Im fünfgeschossigen Anbau, der sich mäandernd entlang des Innenhafens erstreckt, sind Foyer, Verwaltung und zusätzliche Funktionen untergebracht. Der Platz am Schwanentor wird zum Straßenraum hin mit einer Kante hervorgehoben.
Klima-, Energie- und Gebäudetechnikkonzept
Für das Archivgut ist die Einhaltung einer konstanten relativen Feuchte wichtig. Kurzzeitige Schwankungen sind unbedingt zu vermeiden. Die Archivbereiche werden nicht konventionell klimatisiert. Als bewährtes Prinzip wird die passive Konditionierung eingesetzt. Eine feuchtigkeitsregulierende schwere Konstruktion (in diesem Fall die freiliegenden Betondecken und die Kerne) stabilisieren die relative Feuchte. Das vorhandene Gebäudekonzept bietet hervorragende Randbedingungen:
Die gebäudetechnischen Maßnahmen reduzieren sich auf ein einfaches Heizsystem zur Regulierung der Temperatur. Die Heizung im Archivbereich erfolgt über eine statische Heizungsanlage im Brüs-tungsbereich. Die Warmwasserleitungen befinden sich ausschließlich im Randbereicht der Fassade. Die Verrohrung erfolgt mittels eines „Rohr-in-Rohr-Systems“, das mit einem automatischen Leckwarnsystem ausgestattet ist, so dass eine mögliche Beschädigung des Archivguts durch einen Havariefall ausgeschlossen werden kann.
Tragwerksplanung
Beim Neubau des Archivturms des Landesarchivs NRW zeigt sich eindrucksvoll, dass hohe gestalterische Qualität das Ergebnis einer gemeinsamen Motivation und konsequenten Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren ist. Der am Duisburger Innenhafen gelegene verklinkerte Stahlbeton-Getreidespeicher der Rheinische-Westfälischen-Speditions-Gesellschaft mbH (RWSG-Speicher) entstand 1936. Auf 10 Geschossen wurde Getreide als Schüttgut gelagert. Das präszise ausgeführte Stahlbetonskelett macht den Speicherbau zu einem Beispiel des armierten Betonbaues par excellence. Schon im Wettbewerbsentwurf entwickelten die Architekten von Ortner & Ortner Baukunst gemeinsam mit den Ingenieuren von osd-office for structural design die zentrale Idee , einen „Speicher im Speicher“ zu bauen und den Neubau als Turmbauwerk in das bestehende Gebäude zu integrieren. Ursprünglich sollten hierzu die vorhandenen Stahlbetonstützen durch eine nachträgliche Ummantelung verstärkt und die neuen Stützen das aufgehenden Turmbauwerks auf diesen aufgesetzt werden. Da das vorhandene Gebäude bis zuletzt als Getreidespeicher genutzt wurde, konnte davon ausgegangen werden, dass die Decken auch für die Archivlasten ausreichend dimensioniert waren.
Im Zuge der weiteren Planungen wurden durch die Wahl des Archivsystems allerdings die Verformungsbegrenzungen auf l/1000 erhöht, wodurch das Konstruktionssystem geändert werden musste. Statt der ursprünglich vorgesehenen reinen Stahlbetonkonstruktion wurde das Tragwerk aufgeteilt in einen äußeren Stahlbetonturm, welcher die Horizontallasten abträgt und die Funktion der Gebäudehülle übernimmt sowie eine innere Stahlbetonkonstruktion zur Abtragung der Archivlasten und Einhaltung der hohen Verformungsbegrenzungen. Im Unterschied zu einer inneren Stahlbetonstruktur, die zeit- und lastabhängigen Formänderungen durch Schwinden und Kriechen ausgesetzt ist, sind bei einer Stahlkonstruktion die Verformungen wesentlich genauer zu prognostizieren und die hohen Anforderungen von l/1000 mit entsprechend größerer Sicherheit zu gewährleisten. Außerdem wurde bei der Planung der Stahlkonstruktion der Einbau hydraulischer Pressen vorgesehen, um eine spätere Nachjustierung zu ermöglichen.
Um die Lasten aus dem neuen Turmgebäude in den Baugrund abzuleiten wurde von den Architekten und Ingenieuren in enger Zusammenarbeit eine vom Bestandsgebäude unabhängige Lastabtragung entwickelt. Im 6. OG wurde hierzu eine pyramidenförmige Übergangskonstruktion konzipiert, welche die Lasten aus den Stahlstützen des Turmbauwerks auf so genannte „Vierendeelstützen“ überleitet. Diese umschließen zwar formal die Bestandsstützen aus Stahlbeton, sind aber statisch nicht mit ihnen verbunden, sondern leiten die Lasten des Archivturms direkt – an den Bestandsstützen vorbei – in die Bodenplatte. Hierdurch werden ungleichmäßige Setzungen und Schiefstellungen vermieden. Die gemeinsame Gründung von bestehendem Speichergebäude und Turmbauwerk wurde als so genannte Kombinierte-Pfahl-Plattengründung (KPP) ausgebildet. Zu deren Herstellung wurden zunächst in dem vorhandenen Untergeschoss zirka 500 bis zu 12 m lange Mikropfähle gesetzt. Anschließend wurde das Untergeschoss komplett mit Beton verfüllt und als neue Stahlbetonbodenplatte ausgebildet, welche die alten und neuen Lasten aufnimmt.