Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen in Hall, Tirol/AT
Glasfaserbeton eignet sich aufgrund seiner Bewehrung aus Kurzfasern für filigrane Bauteile. Für das neue Sammlungs- und Forschungszentrum in Hall in Tirol entwickelten die Architekten von Franz&Sue gemeinsam mit dem Fassadenhersteller eine handwerklich originelle Lösung, die zeigt, wie man Glasfaserbeton gezielt für ein Projekt formen und einsetzen kann.
Der Bauplatz am Stadtrand von Hall hätte nicht besser gelegen sein können. Imposant ragt die schneebedeckte
Tiroler Bergkette hinter der idyllischen Stadtsilhouette auf. Trotzdem ahnt man beim ersten Blick auf den unscheinbaren, monolithischen Baukörper nicht, was für ein Faszinosum sich hinter der Fassade verbirgt. 151 Beiträge wurden 2013 beim europaweit offen ausgeschriebenen Wettbewerb für ein von den Tiroler Landesmuseen verwaltetes Sammlungs- und Forschungszentrum eingereicht. Von Artefakt-Imitationen bis zum Büroriegel war im
Wettbewerb alles vertreten, um die klaren Vorgaben für optimale Lagerungsbedingungen und reibungslose Arbeitsabläufe umzusetzen. Allein die Depoträume für unterschiedliche Sammlungsgegenstände müssen vieles leisten. Klimatische Standards wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Schutz vor UV-Stahlung, aber auch die Sicherheit der unschätzbaren Kulturgüter mussten bedacht werden. Die vorrangige Anforderung war, die bis dahin auf elf Einzeldepots an acht verschiedenen Standorten verteilten Exponate an einem zentralen Ort zu vereinen. Zusätzlich lag der inhaltliche Fokus der Architekten auf der Planung der Werkstätten, Labore und Arbeitsplätze der Mitarbeiter und auf den temporären Arbeitsplätzen für Forscher, die von der Restaurierung bis zu Forschungsanfragen aus der ganzen Welt alles bearbeiten.
„Je komplexer das Thema, desto simpler muss die Lösung sein“, lautete der pragmatische Entwurfsansatz von Franz&Sue, mit dem die Architekten den Wettbewerb eindeutig für sich entscheiden konnten. Ein paar einfache Striche umreissen die Idee, das große Volumen unter die Erde zu bringen und nur einen flachen, nahezu quadratischen Monolith aus dem Boden herausragen zu lassen. Die geschlossene Fassade erscheint außerhalb der Betriebszeiten als hermetisch abgeriegelter Baukörper, dessen Zugang Nichteingeweihte lange suchen müssen. Kleine rote Punkte auf der akkurat gesetzten Fläche aus vorgehängten, quadratischen Betonplatten zeigen die Kontaktpunkte für die Tore des Haupteingangs und der Öffnung für die LKW-Schleuse, die sich wie von Geisterhand öffnen können. Und trotzdem zeugt
ein sichtbares Symbol vom Schatz, der im Inneren lagert: Das Motiv eines Faustkeils bekleidet in unregelmäßiger Anordnung die Hülle. Geformt aus einer dünnen Schicht aus Glasfaserbeton steht der Betonkeil auch für die Neuinterpretation des Handwerks.
Grundriss als Layer-Architektur, Topografie nutzen
Die gewählte Grundrissform verbindet auf einfache Weise zwei zentrale Anforderungen. Das räumliche Konzept folgt dem Prinzip der Zwiebelschichten. Der äußere Ring fasst 7 500 m2 über Schleusen begehbare Depotflächen entlang der geschlossenen Fassade, während sich, abgetrennt durch einen umlaufenden Erschließungsring, entlang eines Atriums die Arbeits- und Atelierräume der Mitarbeiter befinden. Über drei Ebenen lagern sich die verschiedenen Funktionen an den von außen unsichtbaren Freiraum an und bieten einen gut belichteten, durch kurze Wege kompakt gehaltenen Arbeitsbereich.
Der großzügige, mit heimischer Flora bepflanzte Innenhof dient den WissenschaftlerInnen als Freiluftgegenpol zu ihrer konzentrierten Forschungsatmosphäre. Lediglich die hauseigene Schreinerei, die für die Tiroler Museen u. a. die Ausstellungsmöbel fertigt, liegt direkt an der äußeren Fassade. Ein zweites verstecktes Rolltor dient der unkomplizierten Anlieferung; von außen unsichtbar öffnen sich tagsüber die Klappläden vor den 23 Fenstern, die eine optimale Belichtung in der Schreinerei und den dazu gehörenden Nebenräumen ermöglichen. Mit dem Absenken des Volumens unter die Oberfläche wird der Forderung nach gleichbleibenden klimatischen Bedingungen Rechnung getragen. „Die größte Herausforderung war, für die Millionen an heiklen Kulturgütern das notwendige konstante Klima zu schaffen“,
erklärt Projektleiterin Corinna Toell. „Wir nutzen die konstanten Temperaturen der Erde – im Jahresmittel bei 14 °C – und schaffen so mit wenig zusätzlicher Technik im klimatisch autarken Depotbereich ein jahreszeitunabhängiges Klima von 19 °C und 50 % Luftfeuchtigkeit.“
B4-Beton optimiert Austrocknungszeit und Luftfeuchtemanagement
Das Sammlungszentrum ist weit mehr als eine zentrale Lagerstätte. Im zweitgrößten regionalen Sammlungsbestand Österreichs finden sich viele interessante Spuren der Vergangenheit. Von Artefakten aus der Steinzeit bis zu einer Noten- und Instrumentensammlung ist alles vertreten. „Das ist mehr als ein Depot. Hier wird Expertise einziehen“, freut sich Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen. Auch die Leiterin der Abteilung Sammlungsmanagement, Annette Lill-Rastern, findet deutliche Worte: „Die Arbeitssituation hat sich im Gegensatz zu den früheren Flächen im Ferdinandeum erheblich verbessert. Die Ateliers liegen gegenüber den jeweiligen Depots und es ist möglich, auf kurzen Wegen die Exponate unkompliziert anzusehen.“ Diese Gedanken der Arbeitsqualität und informellen Kommunikation sind im ganzen Gebäude ablesbar. Sei es durch die einfache Schiene, die auf den Fluren in den Beton eingelassen wurde, um aktuelle Projekte zu präsentieren, oder die gerundeten Ecken der Betonwände, die weniger als gestalterische Komponente, sondern pragmatisch aus dem Bewegungsradius der Transportwagen entwickelt wurden. Die sichtbar belassene Betonoberfläche bildet den notwendigen Kontrast zu den Kostbarkeiten, die sich hinter den Schleusen befinden. Für den Rohbau wurde ein B4-Beton verwendet, da die Beton-Rezeptur auf eine möglichst kurze Austrocknungszeit optimiert werden musste. Denn anders als bei Bürogebäuden oder funktionalen Anlagen vertragen die sensiblen Exponate keine Klimaschwankungen und der Einzug der ersten Sammlungsgegenstände musste zeitlich genau berechnet und überprüft werden. Als roter Faden zieht sich das Orientierungssystem durch die verschiedenen Ebenen und Erschließungsbereiche und startet oder endet in der roten Eingangszone, die den Besucher magisch hineinzuziehen scheint.
719 einzigartige Beton-Elemente
Für die Fassade wurde bewusst ein Material und ein Farbton gesucht, die den Kontrast zum Inhalt verstärken und die raue Umgebung der Gebirgslandschaft wetterfest vertragen. Man entschied sich für vorgehängte, glasfaserverstärkte Betonplatten in einer Plattengröße von 60 x 60 cm. Öffnungselemente und Lüftungsschlitze passen sich exakt in das vorgegebene Raster ein. Der dunkelgraue Farbton erzeugt zusammen mit der Haptik der Oberfläche eine ungewohnte Anziehungskraft. Je nach Tagesstimmung und Sonneneinfall wirkt die Hülle abweisend oder anziehend wie eine schimmernde Schatzkiste. Gemeinsam mit einem Fassadenhersteller haben die Architekten aus einer 13 mm dünnen Plattenware eine Reliefplatte aus Glasfaserbeton entwickelt, die den industriellen Herstellungsprozess mit einer handwerklichen Komponente verbindet. Das älteste Artefakt der Sammlung, ein Faustkeil, erscheint als abstraktes Relief und dient so als Synonym für das Bewahren und Konservieren.
Über die stilisierte Matrize dieses Faustkeils aus extrudiertem Polystyrol wird Glasfaserbeton aufgetragen, der beim Aushärten den gewünschten Abdruck entstehen lässt. Die unregelmäßige Anordnung von glatten und geformten Elementen auf der Fassadenfläche mit metaphorischem Bezug auf die geographischen Fundstätten in Tirol generiert eine einzigartige Wirkung, die dem monolithischen Volumen eine wohltuende Lebendigkeit und feine Poesie verleiht.
„Wir fanden, dass das Gebäude Selbstbewusstsein und Beständigkeit ausstrahlen muss, sicher und solitär wirken soll“, beschreiben die Architekten ihre einfache Botschaft. Dass dies gelungen ist, zeigt die
Begeisterung der Nutzer ebenso wie die Neugier der vorbeikommenden Passanten. Eva Maria Herrmann, München
Baudaten
Objekt: Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen
Standort: Dr. Krajnc-Straße 1, 6060 Hall, Tirol/AT
Typologie: Forschungszentrum, Sammlung
Bauherr: Land Tirol, www.tirol.gv.at
Nutzer: Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m.b.H., PD Dr. Wolfgang Meighörner
Architekten: Franz&Sue, www.franzundsue.at (Christian Ambos, Michael Anhammer, Robert Diem, Harald Höller, Erwin Stättner)
Mitarbeiter (Team): Corinna Toell (Projektleitung), Joseph Suntinger, Arnim Dold, Wolfgang Fischer, Theresa Wauer, Susann Murtezani, Diana Nemeth, Eveline Leichtfried
Bauleitung: Amt der Tiroler Landesregierung, Gruppe Bau und Technik, Abteilung Hochbau, www.tirol.gv.at/verwaltung/abteilungen/gruppe-bau-und-technik/
Generalplaner: Franz&Sue
Bauzeit: April 2015 – Dezember 2016
Fachplaner
Tragwerksplaner: petz zt-gmbh, Wien/AT, www.petz-zt.at
TGA-Planer: DI Dieter Schwaninger, HG Engineering, Innsbruck/AT
Lichtplaner: Pokorny Lichtarchitektur, Wien/AT, www.pokorny.info
Landschaftsarchitekt: Idealice Landschaftsarchitektur, Wien/AT, www.idealice.com
Energieplaner: Schöberl & Pöll GmbH, Wien/AT, www.schoeberlpoell.at
Brandschutzplaner: FSE Ruhrhofer & Schweitzer GmbH, St. Pölten/AT, www.fse.at
Leitsystem: Lichtwitz Leinfellner visuelle Kultur KG, Wien/AT, www.lichtwitz-leinfellner.com
Thermische Gebäudesimulation: IPJ Ingenieurbüro P. Jung GmbH, Köln, www.jung-ingenieure.de
Museumsplanung: Prevart GmbH, Winterthur/CH, www.prevart.ch
Kultur- und Wassertechnik: Dipl.-Ing. Schattovits Ziviltechniker GmbH, Wien/AT, www.zt-schattovits.at
Örtliche Bauaufsicht: Gelmini & Baumgartner GmbH, Innsbruck/AT, www.diebauleiter.at
Projektdaten
Grundstücksgröße: 11 987 m²
Grundflächenzahl: 0,39
Geschossflächenzahl: 1,17 inkl. unterirdischer bzw. 0,39 nur oberirdische Geschosse
Nutzfläche: 10 820 m²
Technikfläche: 413 m²
Verkehrsfläche: 1 448 m²
Atriumfläche: 530 m2
Brutto-Grundfläche: 14 030 m²
Brutto-Rauminhalt: 63 460 m3
Baukosten
KG 200 (netto): 82 700 €
KG 300 (netto): 11,8 Mio. € (Rohbau / Ausbau)
KG 400 (netto): 5,3 Mio. €
KG 500 (netto): 385 000 €
KG 600 (netto): 2,69 Mio. €
Baukosten (netto): 20,3 Mio. €
KG 700 (netto): 3,6 Mio. €
Errichtungskosten (netto): 23,9 Mio. €
Hauptnutzfläche: 1 590 €/m²
Hersteller
Dach: Optigrün, www.optigruen.de
Fenster: Schüco International KG, www.schueco.com
Fassade: Fa. Rieder, www.rieder.at
Fassadenplatten: Rieder Smart Elements GmbH, www.rieder.cc
Wand: Fa. Peri, www.peri.com
Trockenbau: Saint-Gobain Rigips GmbH, www.rigips.de
Decke: Knauf AMF GmbH & Co. KG, www.knaufamf.com
Boden: IBOD Wand & Boden - Industrieboden GmbH, www.ibod.at
Epoxybeschichtungen: RCR Flooring Products GmbH, www.rinol.de
Sonnenschutz/Blendschutz: Warema, www.warema.de
Türsysteme: Jansen / Tortec, www.jansen.com, www.tortec.at
Tapetentore: Otto Platter GmbH, www.metallbau-platter.at
Heizung: Caverion Österreich GmbH, www.caverion.at
Lüftung: Ing. G. Trenkwalder GmbH, www.g-trenkwalder.at
Zutrittssysteme/Sicherheit: SALTO Systems GmbH, www.saltosystems.com; Honeywell International Inc., www.security.honeywell.de
Außenbeleuchtung: Bega, www.bega.de