Schallschutzlösungen für mehr Wohnqualität
in Ballungszentren

Die Wohnungssituation in deutschen Großstädten ist seit Jahren prekär. Insbesondere die Stadtzentren haben zunehmend mit Platzmangel zu kämpfen. Thilo Ostermann zeigt, wie mit Schallschutzmaßnahmen lärmbelastete Stadtgebiete zu architektonischen Rückzugsorten umgewandelt werden können.

Deutschland braucht mehr Wohnungen. Vor allem in gefragten Großstädten und Ballungszentren kann der Bestand die Nachfrage längst nicht mehr decken. Nach Schätzung des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes (ZDB) wurden 2018 rund 300 000 Wohnungen neu gebaut – doppelt so viele wie 2010. Doch angesichts der anhaltend hohen Nachfrage vor allem nach günstigem Wohnraum ist das nicht ausreichend. Die Notwendigkeit, mehr Wohnungsbauten zu errichten, wird Architekten und Planer sowie Wohnungsbaugesellschaften noch lange beschäftigen.

Viele Städte und Kommunen setzen sich das Ziel, den bestehenden Wohnraumbedarf im Rahmen der Innenentwicklung zu decken. Denn in der Regel ist es günstiger, die innerstädtische Entwicklung voranzutreiben und bestehende Gebiete aufzuwerten und auszubauen – anstatt verstärkt neues Bauland außerhalb der Zentren zu erschließen. Ein wesentlicher Vorteil von Nachverdichtungsgebieten ist das Vorhandensein einer intakten Infrastruktur mit Straßen, Fußgängerwegen sowie Kindergärten, Schulen, Nahversorgung und weiteren für die Bürger wichtige Einrichtungen.

Allerdings ist die Nachverdichtung nicht immer unproblematisch. Da neue Wohngebäude in Ballungszentren häufig direkt an Hauptverkehrsstraßen oder gar Bahngleisen entstehen, gehen sie wegen der höheren Lärmbelastung mit einem niedrigeren Wohnkomfort einher. Doch nicht nur Straßen- und Schienenverkehrslärm werden als störend empfunden, sondern natürlich auch Flug- und Schiffsverkehr. In Industrie- und Gewerbegebieten mindert zudem der Lärm durch Produktionsstätten die Wohnqualität.

Gesunder Wohnraum

Zweifellos hat die jeweilige Wohnsituation einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden der Menschen. Und durch Lärm fühlen sich wohl die meis-ten gestört. Bei dieser „Belästigung“ handelt es sich nicht bloß um ein subjektives Empfinden. Lärm kann Stressreaktionen auslösen und sogar ein Vorläufer für gesundheitliche Beeinträchtigung sein. Laut einer Umweltbewusstseinsstudie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beeinträchtigt chronischer Lärm nicht nur generell die Lebensqualität auf vielen Ebenen, sondern belas-tet auch das Herz-Kreislauf-System. Schlafstörungen sind ebenfalls eine häufige Folge von zu viel Lärm.

Um gesunde Wohnverhältnisse an allen Standorten zu sichern – also auch dort, wo eine starke Lärmbelastung herrscht –, stehen Architekten und Planer vor der Herausforderung, effektive Schallschutzmaßnahmen zu planen. Dabei gilt es, nicht nur den Lärm von draußen gut abzuschirmen, sondern auch innerhalb des Gebäudes. Zudem werden Lärmarten auch unterschiedlich gemessen: Geräusche, die vom Gewerbe herrühren, werden einen halben Meter vor der Fassade gemessen, Verkehrslärm hingegen in den Innenräumen. Grundsätzlich gilt, dass sich der notwendige Schallschutz nach den Umständen des Einzelfalls richtet. Für jedes Bauvorhaben wird individuell ein Gutachten erstellt.

Richtlinien für Schallschutzmaßnahmen

Es gibt zwei Normen, die Architekten und Planern im Hinblick auf unterschiedliche Schallwerte Orientierung geben. Beide unterscheiden Tag- und Nachtlärm, da gerade eine ungestörte Nachtruhe von großer Wichtigkeit für das gesundheitliche Wohlbefinden ist. Dementsprechend sollte der Pegel während der Schlafenszeit niedriger sein als am Tag.

Die DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“ regelt die Anforderungen an den Schutz gegen Luft- und Trittschallübertragung zwischen Wohn- und Arbeitsräumen, gegen Außenlärm und gegen Lärm-Emissionen von haustechnischen Anlagen sowie baulich verbundener Betriebe. Diese Norm schreibt die Festsetzung sogenannter „Lärmpegelbereiche“ im Bebauungsplan vor. Im Bereich der Geräuschquelle sind für Neu-, Um- und Anbauten bauliche Vorkehrungen zum Lärmschutz zu treffen. Dabei bezieht das Regelwerk ausdrücklich passive Schallschutzvorkehrungen mit ein. Das heißt: Sie berücksichtigt auch solche Schutzmaßnahmen, die unmittelbar an der Gebäudefassade umgesetzt werden.

Die zweite wichtige Norm im Hinblick auf die städtebauliche Schallschutzplanung für Architekten ist die DIN 18005 „Schallschutz in der städtebaulichen Planung“. Sie weist in Abhängigkeit von der jeweiligen Gebietsausweisung Orientierungswerte aus und unterscheidet dabei unter anderem die Emittentenarten Straßen- und Schienenverkehr, Schiffsverkehr, Sport- und Freizeitlärm sowie Industrie und Gewerbe. So werden für reine Wohngebiete an Straßen beziehungsweise Schienenverkehr  tagsüber (von 6 – 22 Uhr) 50 dB und in der Nacht (22 – 6 Uhr) 40 dB als Richtwert angegeben. Der Industrie- und Gewerbelärm sollte den Innenraumpegel von 50 dB tagsüber und 35 dB bei Nacht nicht überschreiten.

Leitfaden Lärm

Zusätzlich zu den europäischen Normen haben einige deutsche Großstädte eigene Leitfäden formuliert, die planerische Instrumente zur Lärmkonfliktlösung vorlegen. Entsprechende Arbeitshilfen gibt es unter anderem in Hamburg, Berlin und Frankfurt. Der Hamburger Leitfaden Lärm ist beispielsweise auch landesübergreifend bekannt. Er fasst den aktuellen Stand der Überlegungen zu allen Lärmquellen zusammen. Vor allem aber liefert er neue Planungsansätze zu Schallschutzmaßnahmen. Denn Maßnahmen zur Lärmminderung, wie etwa Abstandsregelungen oder die Einrichtung von Lärmschutzzonen, sind in Ballungszentren mit begrenzten Flächenpotentialen kaum umsetzbar.

Sein Hauptaugenmerk legt dieser Leitfaden auf die Schlafräume – als besonders schutzwürdige Räume. Nach Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung ist ein ungestörter Schlaf bei einem Mittelungspegel zwischen 25 – 30 dB am Ohr möglich. Deshalb dient dieser Wert in Hamburg zur Orientierung. Zusätzlich wurden aktuelle Studien miteinbezogen, die besagen, dass ein ausdrücklicher Wunsch in der Bevölkerung zur Fensteröffnung und Belüftung besteht. Dieser Aspekt erhöht die planerische Herausforderung beim Schallschutz um ein Vielfaches.

Eine konsequente Lösung sieht der Lärmleitfaden darin, die Thematik Schallschutz bereits in der Entwurfsphase des Bauvorhabens zu berücksichtigen. Auch wenn es nicht immer möglich ist, alle Aufenthaltsräume an Gebäudeseiten anzuordnen, an denen die Immissionsrichtwerte am Tag unterschritten werden, können zumindest die Schlafräume an der ruhigeren Fassade angeordnet werden. Ist der Innenraumpegel trotzdem zu hoch, gibt es verschiedene Möglichkeiten, um den Schall in Wohngebäuden einzudämmen.

Damit Frischluftzufuhr durch geöffnete Fenster auf der einen und Schallschutz auf der anderen Seite einander nicht ausschließen, verfolgt der Hamburger Leitfaden das HafenCity-Fenster-Prinzip: Hierbei werden zwei Fensterebenen kombiniert, um einen Zwischenraum zu schaffen. Die Fensterfläche beider Ebenen wird geteilt und in beiden wird jeweils eine zum Lüften vorgesehene Klappe eingebaut. Dieses Prinzip greift natürlich auch bei weiteren Schallschutzmaßnahmen. Doppelfassaden, verglaste Vorbauten oder andere besondere Fens-terkonstruktionen bewirken einen ähnlichen Effekt.

Schallschutz bei teilgeöffneten Fenstern

Eine Übersicht zu schallschutztechnischen Baumaßnahmen unter Berücksichtigung der Fens­teröffnung liefert die Broschüre „Schallschutz bei teilgeöffneten Fenstern“, herausgegeben von der HafenCity Hamburg GmbH und der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Ansätze wie partielle Prallscheiben, verglaste Loggien, Pixelfenster und Balkonverglasungen werden in dem Sammelwerk detailliert erklärt.

Neben den theoretischen Methoden einer Bauplanung im Hinblick auf Schallschutz werden im Weiteren konkrete Projekte kurz vorgestellt, um die Lösungsansätze zu veranschaulichen. Um die unterschiedlichen Einsatzbereiche darzustellen, folgen drei interessante Projekte aus Hamburg, Köln und München. Die Umsetzung ist natürlich nicht ortsabhängig und könnte auch anderswo realisiert werden.

Pixelfenster

Das Hamburger HafenCity-Fenster-Prinzip – wie es oben kurz erläutert wurde – kann auch in abgewandelter Form umgesetzt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Objekt an der Barmbeker Straße in Hamburg. Die vielbefahrene Straße führt komplett durch die Innenstadt hindurch und ist dadurch hohem Verkehrslärm ausgesetzt; darüber hinaus sollten hier zwei ansässige Supermärkte in eine neue Wohnbebauung integriert werden. Um das Lärmaufkommen deutlich zu reduzieren und zudem die Fassade ansprechend zu gestalten, kamen so genannte Pixelfenster zum Einsatz. Sie schaffen nicht nur eine einmalige Optik, sondern brechen zudem den Schall. Diese Lösung ist derjenigen, wie sie im Hamburger Hafen umgesetzt wird, recht ähnlich: zwei Verglasungen mit einem Zwischenraum. Die Besonderheit liegt hier darin, dass die äußere Fensterebene aus dem Baukörper heraustritt. An der Barmbeker Straße konnte mit dieser Methode eine Pegelminderung im Raum von bis zu 30 dB erreicht werden.

Beruhigte Loggien

Eine weitere beliebte Schallschutzmaßnahme sind verglaste Loggien – wie etwa im Wohnquartier „Friedrich-Karl Terrassen“ in Köln. Auch hier gilt, dass die Verglasung nicht nur erheblich zum Schallschutz beiträgt, sondern auch als architektonisches Gestaltungsmittel zum Tragen kommt. Als Abzweig der Shoppingmeile Neusser Straße bildet die Friedrich-Karl-Straße eine Grenze der Stadtgebiete Weidenpesch im Norden und Nippes im Süden und verbindet ein Gewerbe- mit einem Wohngebiet. Mit der großflächigen Fassadenverglasung des oben genannten Quartiers ist ein wirksamer Puffer geschaffen worden. Der Clou hierbei: Die Loggien verfügen über eine Schiebe-Dreh-Verglasung. Diese bietet einen Schallschutz bis 22 dB und hält zudem Wind und Regen ab. Die großflächige Verglasung schafft Transparenz und sorgt für helle Wohnräume. Je nach Wetterlage lässt sich der Balkon dadurch komplett oder nur in Teilen öffnen. In geschlossenem Zustand bietet er einen Rundumschutz und ist so auch bei schlechtem Wetter nutzbar. Diese Besonderheiten haben die Wohnungen deutlich aufgewertet und ein entspanntes Leben mitten im Viertel ermöglicht. Zusätzlich dient der Wohnkomplex an der vielbefahrenen Straße auch als Schutz für die dahinter liegenden Gebäude. So werden nicht nur einzelne Wohnungen, sondern das komplette Quartier aufgewertet.

Mix aus Maßnahmen

Natürlich sind die unterschiedlichsten Bauvorhaben oft mit sehr verschiedenen Herausforderungen verbunden, was den Architekten mitunter sehr viel Flexibilität abverlangt. Bei der Planung von Neubauten kann deshalb sogar die Kombination mehrerer Maßnahmen sinnvoll sein, um eine lebendige, ansprechende Fassade gestalten zu können. Ein Beispiel für ein solches Projekt befindet sich in München: Am südwestlichen Stadtrand entstand in den vergangenen Jahren eine Reihe neuer Siedlungen und Wohnbauten, darunter auch die „Kirschgalerien“. Der mehr als 110 m lange Wohnriegel schloss eine Baulücke, die an der verkehrsreichen Hauptstraße lag. Acht kirschrote Schallschutz-Erker greifen hier die Architektur der jeweils übereinanderliegenden Straßenbalkone der Regelgeschosse auf. Das führt zu einem harmonischen Gesamtbild in der langgestreckten Ostfassade. Die Balkonverglasungen treten dezent in den Hintergrund, so dass die Erker eine kubische Wirkung entfalten. Die Glasflächen der innenliegenden Loggien wurden zusammengefasst und ziehen sich bis ins Staffelgeschoss hoch. Trotz der geringen Bautiefe von lediglich 27 mm erreicht die bewegliche Verglasung im geschlossenen Zustand zusammen mit der Brüstung eine Schallreduzierung von 24 dB. Der Trend zum naturnahen Wohnen inmitten der Stadt wurde in den „Kirschgalerien“ sehr gut umgesetzt.

Schallschutz mit Mehrwert

Die Beispiele zeigen eines ganz deutlich: Eine Balkon- oder Fassadenverglasung ist nicht nur ein hervorragendes Mittel zum Schallschutz, sondern auch ein starkes gestalterisches Element. Sie öffnet jede Fassade nach außen. Dadurch lässt sie deutlich mehr Licht ins Innere und steigert die Wohnqualität und das Wohlbefinden der Bewohner enorm. In Verbindung mit der Balkontiefe schaffen Balkon- und Fassadenverglasungen einen thermischen Puffer, der dafür sorgt, dass an kühleren Tagen vorgewärmte Frischluft in den Wohnraum hineingelangt. Im Sommer verhindert die geöffnete Verglasung eine Überhitzung. Und noch ein Vorteil sei genannt: Die Balkon- und Fassadenverglasung gewährleistet einen hygienischen Luftwechsel. Ein schmaler Spalt zwischen den beweglichen Glaselementen lässt die regelmäßige Zirkulation von Frischluft zu.

Im Hinblick auf energie- und kostentechnische ­Effizienz punkten verglaste Doppelfassaden – sowohl beim Neu- als auch beim Altbau. Denn die Fenster hinter der Vorhangfassade können mit einer niedrigeren Schallschutzklasse ausgeführt werden. Ein entscheidender Kostenvorteil. Außerdem werden die Bausubstanz geschützt und die Instandsetzungsintervalle erheblich verlängert.

Förderungen

Da die Wohnungssituation gerade in Großstädten oft verbessert werden muss, werden solche Maßnahmen gefördert. Dabei können sich unterschiedliche Töpfe öffnen. Hier spielen regionale Institute oder solche auf Länderebene eine wichtige Rolle, wie etwa die Hamburgerische Investitions- und Förderbank oder das Förderportal Lärmschutz NRW. Eine europäische Datenbank informiert über länderübergreifende Zuschüsse:

www.foerderdatenbank.de

Fazit

Diverse Schallschutzmaßnahmen können erheblich dazu beitragen, Wohnraum qualitativ aufzuwerten oder zu erschließen und so gerade die prekäre Wohnsituation in vielen Großstädten zu verbessern. Ob Neubau oder Sanierungsmaßnahmen: Es gibt für jedes Bauvorhaben eine Lösung. Doppelfassaden wie etwa Kastenfenster, Pixelfenster, verglaste Loggien oder Balkonverglasungen senken nicht nur den Innenraumpegel, sondern dienen auch als architektonisches Gestaltungsmittel. Neben ihren Vorteilen zur Steigerung der Wohnqualität sind solche Lösungen auch im Hinblick auf Energie- und Kosteneffizienz interessant, da auch Fördergelder eingeholt werden können. Hersteller von Glasfassaden verfügen über qualifizierte Berater für Architekten und bieten weitere Informationen rund um die Planung und Umsetzung solcher Schallschutzmaßnahmen.

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