„Schatztruhe oder Sondermüll?“
Das Angebot an vielfältigen Materialien und Konstruktionen ist derart groß, dass viele Architekten mit der Wahl angemessener und bautechnisch sinnvoller Entscheidungen überfordert sind. Die einstige Einheit von ortstypischen Materialien und Konstruktionen ist längst überregionalen Bauweisen gewichen. Die Unverwechselbarkeit von Entwurf, Ort und regionaler Baupraxis existiert schon lange nicht mehr. Die Sehnsucht aber nach der heilen Welt, nach dem wirtschaftlich unabhängigen autarken Kreislauf einer eigenen Wertschöpfung hält ungebrochen an.
Aus Sicht vieler Menschen sind Gebäude, die vor der Zeit des internationalen Stils entstanden sind, wertvoller als jene, die seit den Jahren der Wiedergeburt der Moderne gebaut wurden. Der Glaube an den technischen Fortschritt ist mit dem zunehmenden Aufkommen von Umweltproblemen einem großen Zweifel gewichen. Die Komplexität der Zusammenhänge ist zu groß, als dass die vielfältigen Aufgaben einfach durch weitere technische Entwicklung zeitnah gelöst werden können.
Klimaschutz kann nur bewältigt werden, wenn wir in großem Ausmaß die Sanierung unserer Altbauten vorantreiben. In unseren Breitengraden Mitteleuropas kann die erforderliche Wärmenergie nicht vollständig durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Nur durch Energiesparmaßnahmen, die etwa unseren derzeitigen Verbrauch halbieren, können wir die Ziele einer Reduktion der CO2-Emissionen um 80 Prozent erreichen. Für unsere Altbauten heißt dies eine Verdreifachung der Sanierungsquote, und anstatt des Neubaustandards müsste mindestens der Passivhausstandard erreicht werden.
Hier stellt sich die Frage, ob wir dies überhaupt mit unserer Bauwirtschaft in so kurzer Zeit in der angemessenen Qualität bewältigen können. Denn Kenntnisse hinsichtlich bauphysikalischer und technischer Belange sind in der deutschen Bauwirtschaft nicht ausreichend vorhanden. Es stellt sich die Frage, ob nicht aus Unkenntnis angemessener Maßnahmen die alten Gebäude oft vergewaltigt werden, anstatt würdevoll saniert. Und müssen aus allen Sanierungsprojekten unverwechselbare Kunstobjekte entstehen? Oder können wir den Charakter eines alten Gebäudes nicht doch einfach in seinen Strukturen erhalten? Die Fähigkeit, Sanierungsmaßnahmen derart zu realisieren, dass trotz umfangreicher ökologischer Verbesserungen der Duktus des Gebäudes erhalten bleibt, wäre das Ziel künftiger Würdigungen, wenn wir Altbausanierungsprojekte jurieren.
Klimaschutz ist aber leider nicht das einzige Problem künftiger hochentwickelter Gesellschaften. Mit zunehmender Geschwindigkeit wird aus immer mehr Regionen der Erde Bedarf an Rohstoffen angemeldet. Rohstoffe werden schnell äußerst knapp. Aus diesem Aspekt drängt sich die Frage auf, ob ein bestehendes Gebäude nicht wertvolles Material enthält bzw. daraus besteht, so dass es mit zunehmendem Alter aus ökonomischer Sicht richtig wertvoll werden kann. Dies hängt natürlich von der Möglichkeit ab, die Materialien wiederzuverwerten, es stellt sich die Frage, ob sie recyclebar sind.
Gebäude mit ökologisch unbedenklichen Materialien, die durch Recycling wiederverwertbar sind, sind kleine Schatztruhen. Gebäude, deren Baustoffe belastet sind und deren Konstruktion schwer recyclebar ist, werden zunehmend zu einer großen Belastung. Sie sind Sondermüll und erzeugen wenig Motivation, sie zu erhalten.
Ein Umdenken hinsichtlich der ökologischen und ökonomischen Bewertung von Altbausubstanz ist erforderlich. Die Erkenntnis, dass die vorhandene Bausubstanz ein wertvolles Materialreservoir darstellt, wird mit den zunehmenden Problemen in unserer Umwelt wachsen.
Der Architekt
Prof. Dipl.-Ing. Georg Sahner, Hochschule Augsburg, freier Architekt BDA E2D, freier Stadtplaner. 1955 geboren in Saarbrücken, Studium an der Universität Stuttgart mit Diplom, Mitarbeit im Büro Prof. Dieter Hauser, Tübingen, seit 1988 freier Architekt, seit 1995 freier Stadtplaner, seit 1995 BDA-Mitglied, seit 2001 Professor im Fachgebiet Baukonstruktion, Entwerfen und Gebäudetechnologie an die Fachhochschule Augsburg. Mitglied in der Nationalen Stiftung Baukultur, Mitglied im Werk-bund Bayern, Leiter des Masterstudiengangs EnergieEffizienzDesign von Gebäuden und Bauprodukten an der Hochschule Augsburg, Mitglied im Vorstand der BAKA und Studiendekan des Bachelor- und Masterstudiengangs E2D an der Hochschule Augsburg, Arbeitsschwerpunkte EnergieEffizienzDesign, ökologische Konzepte. Zahlreiche Fachpublikationen zum Thema.
www.GAS-Sahner.de