Schöner Schwung ausgebremstWie Vitra Kultur inszeniert, ohne dabei anzuecken
Meist ärgert sich der Autofahrer, also der durchschnittliche deutsche Autofahrer, darüber, wenn er gezwungen wird, aus schönstem Schwunge heraus abgebremst zu werden. Rotlicht. Entweder trommelt er dann nervös auf dem Lenkrad herum, das rote Leuchten fest ins Auge genommen, oder er nutzt die kurze Pause bis zum nächsten Anfahren vor dem nächsten Ampelstopp dazu, in sich zu gehen. So oder so. Mancher schaut dann aus dem Fenster und sieht etwas, oft zum ersten Mal: eine Bushaltestelle, eine Marmorfassade, eine einladende Bar, die zu besuchen – weil so in dieser Art noch nie gesehen –, er sich vornimmt für den kommenden Abend; oder den danach.
In Frankfurt macht sich ein Unternehmen diese Zwangsstopps zu nutze, da es sich mit seiner großzügigen Schaufensterfront gerade dort befindet, wo die Autofahrer die ihnen per roter Lampe verordnete Muße zu absolvieren haben. Bereits zum dritten Mal zieht Vitra die Blicke der Wartenden – täglich sind es 40 000, die an Ecke Gutleutstraße / Baseler Platz vorbeirauschen – nach links. Da ist doch was? Was ist das bloß?! … Ja, ja, ich fahr‘ ja schon! Aber morgen schaue ich noch mal genauer hin.
„Ampelphase“, heißt das Projekt, das nach dem Start vor einem Jahr nun zum dritten Mal die Köpfe verdreht. Eingeladenen wurden und werden Kreative aus dem Frankfurter Raum, sechs renommierte Architektur- und Innenarchitekturbüros mit jeweils sehr eigenen Installationen. Allein drei Vorgaben durch den Möbelhersteller/-vertreiber und Einlader Vitra haben sie in 2008 zu beachten:
1. Macht was ihr wollt. 2. Macht nichts kaputt. 3. Sagt uns vorher, was ihr machen wollt. Hammerattacken gegen die Schaufenster oder lebende Hühner hatten Vitra veranlasst, Punkt 1 um die beiden weiteren zu ergänzen.
Die Beiträge der Teilnehmer sind so unterschiedlich wie die Philosophie der Büros selbst, sie reichen von der höflich formulierten Aufforderung an Großinvestoren und Hochhausaufsteller (in Frankfurt), den von ihnen besetzten städtischen Platz doch in Teilen an die Stadtbürger zurückzugeben: öffentlicher Raum auf Hochhausdächern (Angela Fritsch mit Team), bis hin zur uninspi-
rierten Nabelschau von Jourdan & Müller, die mit Punkt 1 der Vitra-Vorgaben offenbar überfordert waren und lediglich ältere und ein paar aktuelle Architekturmodelle präsentieren. Alle sechs stehen in einer rot ausgeschlagenen, zur Straße hin aufgeschnittenen Röhre, eine zweckvoll wie elegant gestaltete Messearchitektur, an deren Gestaltung alle sechs beteiligt waren.
Für Ampelphase 4 wünscht sich der Autor, Vitra möge doch noch mutiger werden und die Selbstdarstellung der Aussteller in Punkt 4 verbieten sowie in Punkt 5 drauf hinzuweisen, dass es gefährlich ist, Neugier zu erzeugen, ohne den Neugierigen schließlich mit Genuss für seine Aufmerksamkeit zu belohnen. Deutliche Statements zu tagespolitischen wie interkulturellen Dingen sind gefragt, nicht der schöne Schwung; das könnt ihr Weiler doch selbst viel besser!