Schönheit ist einer der wichtigsten Faktoren für Langlebigkeit
Eine alte Mühle im teils stillgelegten Duisburger Innenhafen bietet seit 1999 Raum für eine große Sammlung von Kunst der deutschen Nachkriegsjahre. Umgebaut damals von dem gerade zu internationalem Ruf gelangendem Büro Herzog & de Meuron, ist es jetzt mit einer Erweiterung fertiggestellt. Über die Geschichte des Projekts mit teils schwierigen Verläufen unterhielten wir uns mit Jacques Herzog, dem anzumerken war, dass wir hier nicht über irgendeins der mittlerweile über 500 HdM-Projekte sprachen.
Es freut mich, lieber Jacques, dass wir uns nach gut 20 Jahren wieder einmal in Duisburg treffen, draußen, vor der ehemaligen Küppersmühle, länger schon Museum Küppersmühle für moderne Kunst MKM. Ist dieser Bau mit der Projektnummer 151ff. für dich, für euch ein ganz besonderes Projekt?
Jacques Herzog: Ja, es ist ein besonderes Projekt, mit seiner Geschichte, dem Beinahe-Scheitern und nun mit diesem versöhnlichen Abschluss. Aber natürlich nehmen wir jedes Projekt, sei es prominent oder weniger bekannt, sehr ernst. Wir haben mit der Umnutzung der alten Mühle hier am Hafen eine ganze Geschichte. Wir konnten 1999 die von uns zum Museum umgestaltete Kornmühle eröffnen – und Jahre später hatten wir eine Erweiterung geplant mit dem Baukörper auf den Silos oben drauf. Das Projekt ist, wie alle wissen, krachend gescheitert. Pfusch in der Erstellung der Stahlkonstruktion, Firmenpleite. Damals war es sehr ungewiss, ob hier je etwas weitergeht. Aber es ging; und das haben wir den Sammlern zu verdanken, der Familie Ströher. Deren Engagement hat uns gezeigt, dass wir hier mehr machen können, als wieder nur einen Anlauf zu unternehmen. Wir haben gespürt, dass dieser Ort wirklich weiterentwickelt werden soll, dass die Auftraggeber hier Zukunft wollen und nicht bloß den schon genannten zweiten Anlauf. Diese mäzenatische Leidenschaft der Ströhers haben wir mit großem Respekt aufgenommen und so empfinde ich es einfach als selbstverständlich, dass ich auch zur Eröffnung selbst hierhin komme.
Ich traf dich mit dem Kopf im Nacken vor der großen Abschlusswand zum neuen Park. Du schienst begeistert!
Ja, du warst ja zufällig dabei, als ich es zum ersten Mal sah nach langer Zeit und Pandemie und – das tönt jetzt vielleicht arrogant – ich war wirklich beeindruckt. Es ist interessant, dass – obwohl ich schon relativ viele fertige Gebäude von uns gesehen habe – es jedes Mal wieder ein spezielles Gefühl ist. Schrecklich, wenn man Fehler sieht, wunderbar, wenn man nichts „Blödes“ entdeckt. Wenn man dann am Ende davor steht, ist es, auch wenn man jahrelang daran gearbeitet hat, immer wieder eine Überraschung. Es ist dann so, wie es ist: ein (Arte-)Fakt. Du kannst nichts mehr ändern. Immer wieder überrascht der Maßstab, den du mit deinem Körper wahrnimmst; das Haus steht vor dir und ist halt eben viel größer als die Pläne oder die Visualisierung es einem vorgaukeln. Wenn man bedenkt, dass wir auf Grund dieser Zeichnungen und Bilder wesentliche Entscheide getroffen haben! Immer bleibt die bange Frage: Funktioniert es? Löst es das ein, was man wollte? Hier kann ich sagen, ja, es funktioniert, in jeder Hinsicht.
Ein Museum ist nun kein Museum, es gibt ihrer Art zahlreiche. In der Pressekonferenz hast du die Mühle ein „Sammlermuseum“ genannt. In Abgrenzung zur Tate Modern oder der Nationalgalerie der Moderne, die ihr aktuell in Berlin realisiert. Sammlermuseum klingt statisch, nach Lagerhaus. Ich vermisse das Dynamische.
Nein, ich weiß nicht, was du mit dynamisch meinst, aber ich sehe dieses Haus schon als einen Ort mit einer Sammlung, die noch nicht abgeschlossen ist und sich auch in die Zukunft fortschreibt. Diese Sammlungsbewegung wäre auch wichtig für die Attraktivität dieses Orts in der Stadt. Es braucht dazu hier aber eine neue Generation von SammlerInnen, die weitermachen wollen.
Ein Sammler hat seine eigene Vorstellung und vielleicht gar Mission. Die ist dann mit seiner Figur, mit seiner Person, mit seinem Leben verbunden. Und hier in der Küppersmühle werden dank dieser Sammelleidenschaft die ungeheure Vielfalt, aber auch die Brüche der deutschen Nachkriegskunst sichtbar; diese Zeit des Aufbruchs nach dem Krieg, mit einer radikalen Abkehr von der Kunst, wie man sie vor dem Krieg kannte. Diese Brüche, die für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts so typisch sind, die kommen in der hier domizilierten Sammlung Ströher deutlich zum Ausdruck. Das ist etwas ganz anderes als ein städtisches Museum, das aus verschiedenen Sammlungen, aus unterschiedlichen Perioden besteht und das sich ganz anders präsentieren soll und auch muss. Das ist doch ein wesentlicher Unterschied.
Und ein weiterer Unterschied ist, dass sich ein städtisches Museum meistens noch in einer zentralen Lage befindet, so wie die Tate Modern oder jetzt auch die Nationalgalerie der Moderne, an der wir gerade arbeiten. Dort, in Berlin, sind die Aufgaben ganz andere. Dort wollen wir das Haus und die Kunst zum öffentlichen Raum hin aufmachen, wollen wir öffentlichen Raum im Gebäude selbst schaffen. Hier am Duisburger Binnenhafen ist das aber nicht das Thema. Und weil dieser Ort und auch die Bauherren andere sind, entwickeln wir als Architekten immer dem Ort angepasste Lösungen. Nicht, damit sie sich vordergründig unterscheiden, sondern weil die Orte, die Programme, die Sammlungen verschieden sind. Auf diese Unterschiede, auf diese Differenzierungen und auf dieses Spezifische wollte ich mit meinen Vergleichen zu anderen Projekten präzise antworten.
Dann noch einmal für mich: Ist ein Sammlermuseum anders im Stadtraum implementiert als eine öffentliche Sammlung? Darf oder soll ein solches Gebäude auch hermetisch konservieren? Ich habe euren frühen Entwurf für die Sammlung Grothe vor Augen, ein geschlossener Betonquader, der sehr hermetisch, fast abweisend war.
Dieses „Kunstkiste“ genannte Projekt war ein Statement für Bonn – gegen die eklektische, postmoderne Museumsarchitektur jener Zeit von Peichl, Hollein oder Sterling. Hier in Duisburg entstand ja dann aber ein ganz anderes Projekt. Bestimmt nicht abweisend! Es spricht die Sprache dieser Bauten, die hier in diesem Binnenhafen über Jahrzehnte hinweg entstanden sind. Räumlich kompakt wie die backsteinernen Bestandsbauten, aber nicht hermetisch. Gegen außen mit Terrassen sich öffnend, mit Grünraum und Bezug zum Innenhafen. Wenn die gleiche Sammlung aber hier in der Duisburger Innenstadt oder gar mitten in London wäre, dann hätten wir diesen Bezug nach Außen noch einmal ganz anders geplant, weil es dort ja eine ganz andere urbane Nachbarschaft gäbe. Welche Art von Außenbezug bei einer Architektur Sinn macht, hängt vor allem von ihrem Ort ab, nicht von einer Wertschätzung des Architekten. Eine große, einladende Geste, die für einen Ort stimmt, wäre an einem anderen Ort völlig daneben. Etwa hier im Duisburger Innenhafen, wo sich im Alltag nur wenige Menschen bewegen. Ganz anders ist das auf dem Kulturforum in Berlin. Dort planen wir ja gerade mit diesen vielen Menschen, die dort alltäglich unterwegs sind. Unser Entwurf für das NG20 ist deshalb darauf angelegt, die Bewegungsmuster des umliegenden Kulturforums zu nutzen, und so zu beeinflussen, dass ein Dialog der dort ansässigen Kulturinstitutionen entstehen kann. Das ist uns mit der Turbine Hall in London gelungen. Einen solchen öffentlichen Raum gab es vorher nicht in London – und auch keinen Ort, an dem ein Dialog zwischen Publikum und Kunst immer wieder so neu und intensiv geführt wird.
Also eine etwas intimere Turbine Hall – zumindest deren vertikale Variante – habt ihr hier doch mit den Silos. Die sind jetzt nur spektakulärer Void und transitorischer Raum, aber warum nicht KünstlerInnen bitten, dort etwas zu machen, eine Soundinstallation, Vidoearbeiten!?
Ein interessanter Ort … Dieses Scharnierstück in dem langgestreckten Volumen hat ein bisschen die Funktion der Oiltanks bei der Tate-Erweiterung. Es ist ein Ort, wo man Überraschendes erlebt, wo dann auch die KünstlerInnen herausgefordert sind, etwas zu machen, was eben nur für hier gilt und nicht auch irgendwo anders. Es gibt hier bereits konkrete Ideen, welche bald kommuniziert werden können.
Wie wurde mit den Bauherrn, den Sammlern Ströher kommuniziert? Habt ihr über Architektur gesprochen, über Kunst, über Kunst und Architektur? Über Räume? Über Budgets?
Es war eine gute Zusammenarbeit. Also die Bauherrschaft sagt etwas und der Architekt sagt etwas. Dann sagt die Bauherrschaft wieder etwas, dann der Architekt. Das ist ein Pingpong, daraus entwickelt sich – mal ganz geradeaus, mal über viele Nebenwege – ein Projekt.
Aber war der Austausch leicht, schwierig, konstruktiv, kreativ reibungsvoll?
Da gibt es nichts anderes zu berichten. Man kann es ja sehen, es hat sehr gut funktioniert. Mich freute es sehr, heute Morgen die zufriedenen Gesichter des Ehepaars Ströher zu sehen. Ich bin überzeugt, dass das hier ein Sammlungsmuseum geworden ist, das deutlich die Haltung der Ströhers als Sammler zum Ausdruck bringt und genau auf ihre Sammlung zugeschnitten ist. Ich meine, es gab doch schon einen Bestandsbau vor den Ströhers mit der Sammlung Grothe, mit diesen sehr großen Sammelbeständen von Malereien und Bildhauereien. Und in einem sehr ähnlichen Sinne ging das weiter. Die Säle haben hauptsächlich Kunstlicht, einige mit seitlichem Tageslicht und Ausblicken nach draußen. Zuoberst ist dann dieser große, wirklich lichtdurchflutete Oberlichtsaal. Dieser Saal ist ein gutes Beispiel für den erfolgreichen Austausch mit den Sammlern. Gute Architektur kann nur entstehen, wenn dieser Dialog funktioniert, wenn die Gesprächspartner respektvoll sind und einander zuhören wollen.
Konntet ihr Arbeiten aus dem gescheiterten Projekt übernehmen, beispielsweise Arbeiten an den Silos?
Die Silos wurden saniert, verstärkt. Davon haben wir für diesen neuen Raum profitiert. Nun steht dieser Siloraum bereit; hier werden, wie schon erwähnt, spannende Arbeiten entstehen.
Der gebrochene Klinker, Materialien, ganz besonders die beiden Treppenhäuser … das neue ist eine Art klangverstärktes Echo auf das erste … Gibt es einen Basso Continuo in euren Museumsprojekten?
Wenn man die vielen Museen anschaut, die wir bisher bauten, fällt ja auf, dass sie ganz unterschiedlich sind. Müssen sie ja auch, weil jeder Ort verschieden ist, die Sammlungen, die Philosophie der Auftraggeber, die Zeit, in welcher sie entstanden. Gerade unsere letzten drei Projekte, welche alle in diesem Herbst eröffnen, zeigen eine große Bandbreite: Küppersmühle in Duisburg, SongEun in Seoul und schliesslich M+ in Hongkong.
In all diesen Projekten gibt es natürlich auch Verwandtes, wie etwa die Überlegungen zur White Box, zur Lichtführung usw., aber die Unterschiede überwiegen. Etwa die Aufgabe der Treppen: Hier in der Küppersmühle entschlossen wir uns, das Treppenhaus der Erweiterung ähnlich demjenigen zu gestalten, welches wir schon vor 20 Jahren bauten. Beide Treppenhäuser sollen die räumliche Kontinuität des Projekts unterstreichen. Was wirklich gut funktioniert, wie ich eben beim Rundgang wieder merkte, ist der räumlich-atmosphärische „Bruch” , welchen diese Treppenhäuser herbeiführen. Es sind nicht einfach funktionalistisch bestimmte Räume, sondern wirkliche Orte mit einem eigenen Ausdruck. Nach dem strengen Licht in den White Cube Galerien und der Konzentration auf die Werke schien es uns richtig, hier ein viel milderes und wärmeres Licht zu installieren. Eine organische Raumsequenz mit anderer Wandoberfläche führt die BesucherInnen von einem Geschoss ins andere. Der räumliche Bruch, den ich meine, bewirkt eine Art Neustarten unserer Sinne, bevor wir in die nächsten Ausstellungssäle gelangen.
Gibt es etwas, was du dem Ensemble hier noch hinzufügen möchtest oder ist es jetzt komplett? Es wirkt abgeschlossen.
Keiner weiss, ob und wie und wohin sich die Sammlungstätigkeit der Ströhers in Zukunft entwickelt. Vielleicht gibt es ja dereinst den Wunsch, auch Medienkunst zu zeigen, Programme für Vermittlung oder Studios für die Produktion von Kunst anzufügen? Das würde dann neuen Raum brauchen. Den könnte man bestimmt finden. Etwa dort hinten, neben dem kleinen Park.
„Dort hinten“ wäre den frisch gepflanzten Bäumen gegenüber. Ist dieser kleine Park Teil eures Konzepts? Und: Soll sich hier die von dir angesprochene Nachhaltigkeit manifestieren?
Ja klar, dieser kleine Park dort ist sehr wichtig als öffentlicher Grünraum. Mittlerweile wissen wir doch alle, dass wir in den Städten möglichst viele Bäume haben sollten. Platz dafür ist auch meistens vorhanden, aber der politische Wille fehlt, Asphalt in Grünfläche umzugestalten.
Für eine akzeptable Nachhaltigkeit wird sich die Architektur radikal umbesinnen müssen und alle Themen von Architektur neu aufstellen, Gewohntes regelrecht umpflügen. In ihrer Materialisierung, in ihrem Energiehaushalt, in Unterhalt und Dauerhaftigkeit, in ihrer Flexibilität. Darin, ob und wie Bestandsbauten umgebaut und umgenutzt werden können. Und selbstverständlich in ihrer sozialen Akzeptanz und Offenheit. Die hier neueröffnete Küppersmühle ist ein gutes Beispiel für Nachhaltigkeit: Wir haben keine Freiflächen bebaut, auch bleibt Backstein nach den heutigen Standards von Nachhaltigkeit ein vernünftiges Baumaterial. Und, das muss ich doch auch noch anfügen – es sieht schön aus. Das ist einer der wichtigsten Faktoren für die Langlebigkeit und das Überdauern von Architekturen über unsere eigene Zeit hinaus.
Mit Jacques Herzog unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 23. September 2021 vor dem Museum Küppersmühle in Duisburg.