Schwungvoll über den Fluss

Seine-Brücke zwischen Mantes-la-Jolie und Limay/FR

Mit dem ersten Teil einer Fußgängerbrücke über die Seine verbinden Feichtinger Architectes und die Tragwerksplaner der Terrell Group auf unkonventionelle Weise die beiden Orte Mantes-la-Jolie und Limay mitein­ander und greifen dabei auf historische Wegeführungen zurück.

Ein dynamisch geschwungenes Band zeichnet einen neuen Weg in die Seine-Landschaft zwischen Mantes-la-Jolie und Limay, wo bereits eine alte Römerstraße in Richtung Lutetia verlief, dem heutigen Paris. Feichtingers Projekt nimmt den mäandrierenden Verlauf der mittelalterlichen Brücke auf, die einst die Seine überquerte und über eine Insel die ehemalige Königsstadt Mantes-la-Jolie mit dem Fischer- und Klosterdorf Limay verband. Die ursprünglich 37-bögige Brücke, die teilweise heute noch besteht, wurde im 18. Jahrhundert auf der stadtseitigen Hälfte bis zur Insel durch eine neue (Pont Perronet) ersetzt, die 100 m weiter flussabwärts gebaut wurde; im 19. Jahrhundert wurde der fehlende Teil nach Limay ergänzt. Die Pont Perronet auf der Seite von Mantes wurde 1944 von den Amerikanern bombardiert und vollkommen zerstört. In der Nachkriegszeit wurde an ihrer Stelle eine neue Stahlbrücke (Pont Neuf) auf zwei Betonpfeilern errichtet, auf die sich nun die Stegkonstruktion von Feichtinger stützt.

Ein verbindendes Band

„Es war mir wichtig, die Fußgängerbrücke von der funktionellen Straßenbrücke zu unterscheiden“, so Feichtinger, der „eine Promenade“ schaffen wollte, „die unterschiedliche Ausblicke auf die weite Flusslandschaft und die Kathedrale bietet.“ Der Abstand und die Überhöhung gegenüber der bestehenden Brücke gewähren Schutz vor dem lärmenden Autoverkehr. Das geschwungene Band schmiegt sich in Mantes-la-Jolie an die zweispurige Fahrbahn der Pont Neuf an, trennt sich aber gleich danach von ihr ab und erhebt sich zusehends in einem weiten Bogen über sie hinweg, – um auf dem höchsten Punkt einen freien Ausblick über den Fluss zu gewähren, bevor es wieder langsam zum anderen Ufer auf der Inselseite hin absinkt. Diese Höhenbewegung, die gleichzeitig auch einen doppelten seitlichen Schwung vollzieht, wird begleitet von einer sanft ansteigenden Teilung der Wegfläche, die den flussseitigen, ruhigeren Fußgängerbereich vom brückenseitigen Fahrradweg trennt. Somit entsteht eine längliche, in der Höhe variierende Sitzstufe, die nachts beleuchtet ist. Im Mittelbereich, beim höchsten Kulminationspunkt, vereinen sich beide Ebenen und bilden eine breite Plattform, die zum Verweilen einlädt, mit Blick auf die Seine-Landschaft. Beim Abstieg trennen sich die Wege wieder, wobei jeder seine eigene Bewegungsgeschwindigkeit hat.

Eine statische Herausforderung

Der Steg stützt sich mit langen, schlanken „Beinen“ auf die beiden Brückenpfeiler, um nicht in das Flussbett einzugreifen. „Die Pfeiler haben wir benutzt, um zusätzliche Gründungen zu vermeiden und gleichzeitig die Spannweite der Fußgängerbrücke zu verringern. Die Asymmetrie erzeugt die Wirkung eines ausladenden Balkons, eines Belvederes über dem Fluss“, so Feichtinger. Der Ingenieur Michel Cassagnes fügt hinzu: „Der Steg verursacht im Vergleich zur bestehenden Brücke nur eine geringe Last. Die Gründung von Pfeilern im Fluss wäre genauso aufwändig gewesen wie bei einer regulären Brücke. Es war allerdings eine wahre Herausforderung, zu beweisen, dass die Verankerung in den bestehenden Pfeilern möglich ist, da sie teilweise aus unbewehrtem Beton sind. Daher musste der Steg mittels eines Fundaments innerhalb der bestehenden Pfeiler verankert werden. Mit aufwendigen Berechnungen und Modellen mussten die Behörden aber erst davon überzeugt werden.“ So wurden Kernbohrungen mit einem Durchmesser von 250 mm ausgeführt, in die Stahlarmierungen mit hochfestem Mörtel eingegossen wurden.

Die untere Strebe, eine kreuzförmige Stütze, stützt sich auf den Bug des Pfeilers und wird auf Druck beansprucht, während am Kopf des Pfeilers gelenkig ausgebildete Pleuelstangen aus doppeltem Flachstahl verankert sind, die die Zugkräfte übernehmen. Die Vertikallast beträgt gemäß Cassagnes etwa
240 t, was eine Zugkraft von etwa 400 t in den Pleuelstangen und eine Druckkraft im Kreuzprofil in der Größenordnung von 600 t ausmacht. Die Stütze ist in einem zentralen Hohlkasten eingespannt, der wie ein sanft schwingendes Rückgrat die Stegkonstruktion trägt. Dieses wasserdichte Stahltrapezprofil, das aus geschweißten Blechen zusammengesetzt ist, weist eine hohe Torsionsfestigkeit auf, wodurch die asymmetrischen Kräfte, die durch die Kurven im Grundriss und durch ungleichmäßige Belastungen entstehen, auf die Pfeiler übertragen werden. Nachdem die Brücke ziemlich biegsam ist, waren mehrere Schwingungsdämpfer nötig, die im Stahltrapezprofil untergebracht sind und durch wasserdichte Luken gesichtet werden können. An dem Kastenprofil sind alle 3 m lamellenförmige, sich nach außen hin verjüngende Stahlkonsolen angeschweißt und zwar in unterschiedlichen Höhenlagen, um die variierenden Positionen des ansteigenden und abfallenden Fußgänger- und Fahrradwegs zu gewährleisten. Zwischen den Konsolen liegt eine Sekundärstruktur aus T-förmigen Stahlprofilen mit Querverstrebungen, auf denen unbehandelte, 5 cm starke Holzlatten liegen, deren offene Spalten das Regenwasser durchfließen lassen. Bei winterlichen Wetterverhältnissen sorgen mit Silex bestreute Kunstharzstreifen für eine bessere Haftung. Statisch gesehen ist die Brücke ein durchgehender Balken mit fünf Feldern (6,7 m / 66,7 m / 59,2 m / 63,7 m / 6,7 m); die kurzen Randfelder dienen zur Einspannung der angrenzenden langen Felder, wobei die Einspannung erst unter der Betriebslast wirksam wird. „Ohne unsere gute Zusammenarbeit hätten wir den Bau dieser Brücke, die ziemlich speziell ist, nicht hingekriegt“ bezeugt Cassagnes. „Es war ein langer Prozess des aufmerksamen Zuhörens und des Austauschs. Wir schätzen es, mit Dietmar (Feichtinger) zu arbeiten, wir haben ein freundschaftliches Verhältnis und das macht die Arbeit zu einem Vergnügen“.

Flusspromenade als „Naht“

So entstand eine abwechslungsreiche, in die Landschaft eingebettete Flusspromenade, die sich auf der Insel in Form eines Weges fortsetzt. Dieser umrundet ein in den Hang eingebettetes Freilichttheater und bietet einen eindrucksvollen Blick auf die gotische Stiftskirche von Mantes-la-Jolie auf der anderen Seite des Flusses, so als wäre dort die eigentliche Bühne. In einer großen Schleife läuft die geschwungene Promenade auf die verbleibende mittelalterliche Brücke zu (Vieux Pont de Limay), deren beiden Mittelbögen 1940 vom französischen Militär gesprengt wurden, um den Vormarsch der Armee des Dritten Reichs zu verzögern. In nächster Zukunft wird diese Lücke von einer betont leichten Stahlkonstruktion überbrückt werden, die sich klar von der Massivität der Steinpfeiler abhebt. Diese zweite Brücke von Feichtinger, die in der folgenden Bauetappe realisiert wird, besteht aus sanft geschwungenen Linien, erzeugt durch drei gestreckte Ellipsen, die die Tragstruktur bilden, auf welcher abwechselnd Glasplatten und Holzlatten liegen. Seitliche, balkonartige Ausweitungen weisen ebenfalls einen Glasboden auf, um die Präsenz des Wassers unter der Brücke wahrnehmbar zu machen. Behutsam will Feichtinger den „gewaltsamen Riss“ schließen, denn er versteht die „Überwindung der Lücke zwischen den beiden Teilen der alten Brücke als eine Naht – nach der schweren Verletzung, die sie im Krieg erlitten hat.“ Die Materialität von Glas und Holz soll die Fragilität dieses Erinnerungsortes ausdrücken. Susanne Stacher, Paris/FR

 

Baudaten

Objekt: Fußgänger- und Fahrradbrücke

Ort: Mantes-la-Jolie und Limay/FR

Typologie: Brückenbauwerk

Eigentümer: Syndicat Mixte d‘aménagement, de gestion et d‘entretien des berges de la Seine et Oise

Architektur: Dietmar Feichtinger Architectes, Montreuil/FR,

www.feichtingerarchitectes.com

Generalunternehmer: RAZEL-BEC | DRN IDF OUEST, Orsay Cedex/FR,

www.razel-bec.com

 

FachplanerInnen:

Tragwerksplanung: Terrell SAS Société d’Ingénierie / Consulting Engineers, Paris/FR, www.terrellgroup.net

Lichtplanung: COUP D’ECLAT, Concepteurs lumière cotraitant, Paris/FR, www.coupdeclat.fr

 

Projektdaten

Länge der Brücke: 202 m

Breite: zwischen 6 und 7 m

Das Tragwerk nutzt geschickt die Poten­ziale des Bestands. Erst durch die effiziente Anschlusssitua­­tion entsteht die Freiheit, ­­

nicht den direkten Weg zu gehen und dabei

den Landschaftsraum erlebbar zu machen.«⇥

DBZ Heftpartner TRAGRAUM Ingenieure, Nürnberg

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