Leichtbaubrücke im Wald

Fußgängerbrücke La Troche, Saclay/FR

Nein, das Tragwerks- und Gestaltungskonzept sei nicht sinnvoll skalierbar, so die Tragwerksplanerinnen. Die filigrane Konstruktion der beinahe wie improvisiert ausschauenden Fußgängerbrücke im Wald sei an diesem Ort die exakt passende, weil angemessene Lösung. Das rudimentär Einfache überzeugt in sämtlichen, scheinbar simplen Details eines logischen Ganzen.

Es mutet kurios an, was die Landschaftsarchitekten Bassinet Turquin Paysage über ihren Entwurf der Fußgängerverbindung durch einen Naturpark im Süden der Metropole Paris schreiben: Sie betrachten diese Fußgängerverbindung als „ein Element der Umgestaltung des Raums Paris-Saclay“. Dazu muss man wissen, dass „Paris-Saclay“ ein zentraler Teil des gigantischen Projekts „Grand Paris“ ist, das 2008 seitens der französischen Regierung gestartet wurde, um den Großraum Paris neu zu ordnen, infrastrukturell auszubauen und komplett neu zu vernetzen. Paris-Saclay ist dabei ein etwa 138 ha großer, immer noch im Ausbau befindlicher Technologie- und Wissenschaftspark. Mit den beiden Grandes Écoles, dem Institut Poly­technique de Paris und der École normale supérieure Paris-Saclay, sitzen auf dem Campus zahlreiche internationale Forschungszentren privater Unternehmen. Ziel des Projekts Paris-Saclay ist es, mit vergleichbaren internationalen Hochtechnologie-Standorten wie dem Silicon Valley oder Cambridge, MA, erfolgreich konkurrieren zu können.

Dass hier auch die teils spektakuläre Architektur – wie so oft an solchen herausgehobenen Orten – eine Rolle spielt, zeigt das jüngst fertiggestellte, zentrale Lern- und Lehrgebäude des Japaners Sou Fujimoto (zusammen mit Manal Rachdi OXO Architectes und Nicolas Laisné Associés).

Offenbar aber wurde bei der infrastrukturellen Einrichtung des Vorzeigeprojekts Technologie- und Wissenschaftspark Paris-Saclay die Anbindung an den Flughafen und auch die rund 25 km nördlich liegende Hauptstadt Paris vernachlässigt. Zwei Buslinien sind vorhanden, aber kein schienengebundener Verkehr. Die

nächsten Bahnhöfe, die das Gelände mit der größeren und ganzen Welt verbinden, liegen südlich, hinter dem Grünstreifen aus kleinem Wald und Park, in dem sich auch der ehemalige Steinbruch „La Troche“ befindet. Der Steinbruch ist länger schon Ausflugs- und Erholungsort der umliegenden Gemeinden.


Foto: Michel Denancé / Bollinger + Grohmann

Foto: Michel Denancé / Bollinger + Grohmann

Wer von Süden kommt, bspw. von der Bahnstation „Le Guichet“, muss einen ca. 20-minütigen Fußweg hinter sich bringen, um auf den etwa 80 m höher gelegenen Campus zu gelangen. Das gelingt über lange Treppenwege inmitten einer lockeren Wohnbebauung, die Treppe von Buisson soll mehr als 320 Stufen haben. Das letzte Stück Weg durch den bewaldeten Park „Eugène Chanlon“ war in Teilen unbefestigt, eher informelle Pfade, die nach Auffassung des planenden Landschaftsarchitekturbüros zu unbequem für die „usagers“ waren, die „seront essentiellement des urbains en déplacement pour des trajets vers leur travail ou leur lieu d’étude“, die also „vor allem Städter“ seien, „die zu ihrem Arbeitsplatz oder Studienort“ kommen wollen.

Die Brücke ist ein Teil des neuen Wegs zwischen Bahnhof und Universitätscampus. Hier unten links der Ansatz der Treppe, die zum Campus hochführt
Foto: Michel Denancé / Bollinger + Grohmann

Die Brücke ist ein Teil des neuen Wegs zwischen Bahnhof und Universitätscampus. Hier unten links der Ansatz der Treppe, die zum Campus hochführt
Foto: Michel Denancé / Bollinger + Grohmann

Es gab einen Wettbewerb, ausgelobt von der „Planungsabteilung Paris-Saclay“, den Bassinet Turquin Paysage 2021 für sich entschieden. Mit ihnen dabei war das Team von Bollinger +Grohmann Frankreich, das das Mittelstück des Wegs durch den Wald, die hier vorgestellte Fußgängerbrücke entwickelte.

Filigrane Fußgängerbrücke im Wald

Zentrale Vorgaben seitens der Landschaftsplanerinnen für das Brückenbauwerk war zunächst der Weg, der dem Geländeverlauf im Wald mit leichten Schwüngen folgt und im letzten Drittel eine steile Senke quert. Die Brücke selbst ist exakt horizontal ausgerichtet, von Süden kommend neigt sich der Weg auf Brückenniveau, weiter nach Norden schließt sich gleich eine steile Treppe in Richtung Campus an. Anfang und Ende des Wegs sind ohne weitere Gestaltung einmündend/auslaufend, die Fußgänger werden empfangen/verabschiedet vom zunächst nur einseitig geführten, grüngestrichenen Handlauf, der erst nach wenigen Metern beiseitig den mit großformatigen Betonplatten ausgelegten Weg begleitet. Der Handlauf hat innen eine LED-Beleuchtung, die über ins Rohr gebohrte Löcher ihr warmes Gelblicht auf den Weg/die Brücke abgibt.

Die Brücke sollte den Materialfluß als eigene Konstruktion nicht unterbrechen, aus diesem Grund ist das Deck wie der Weg aus Beton. Doch im Gegensatz zum Weg ist der Brückenplattenbeton ein mit Carbonfasern angereicherter Hochleistungsbeton
Foto: Michel Denancé / Bollinger + Grohmann

Die Brücke sollte den Materialfluß als eigene Konstruktion nicht unterbrechen, aus diesem Grund ist das Deck wie der Weg aus Beton. Doch im Gegensatz zum Weg ist der Brückenplattenbeton ein mit Carbonfasern angereicherter Hochleistungsbeton
Foto: Michel Denancé / Bollinger + Grohmann

Die Brücke sollte möglichst filigran gestaltet sein, sowohl was ihre Ansicht, aber auch, was ihre physische Platzierung in Wald und Park angeht. Sie sollte sich der vorhandenen, durchaus auch wild erscheinenden Natur unterordnen, Boden und Fauna und Flora nicht bedrängen. In ihrer Recherche zum Ort stießen die Ingenieure auf eine historische Postkarte, die an exakt der gleichen Stelle eine einfache Holzbrücke zeigt: Holzstelzen – offenbar Stammnadelholz – tragen, zum Leitergerüst gefügt, das hölzerne Deck. Der Handlauf scheint ebenfalls gewachsenes Vollholz zu sein. Warum also keine Holzbrücke?! Darauf der Projektleiter bei Bollinger + Grohmann, Paris, und Chef de Projet Structural Engineering, Narjis Lemrini: „Das hätten wir vielleicht auch gemacht, aber die Auftraggeberin wollte den kompletten Weg als Betonbahn, da wäre eine Holzfläche mittendrin nicht logisch gewesen und nicht gewollt.“

Damit war klar: Um die filigrane Holzbrücke zu imitieren, müsste es eine Konstruktion aus sehr schlanken Vollrundstählen (d = 55 mm) werden, die paarweise auf quer zur Brückenachse ausgerichtete Betonfundamente geschraubt sind. Dabei sind die Fußpunkte durch kreuzförmig angeschweißte Dreiecksbleche zusätzlich steif. Stahlrohre, die hier eigentlich hätten Verwendung finden müssen, hätten Querschnitte von 85‑90 mm haben müssen: zu breit! Die Fundamente (2 100 x 400 x 300 mm) wiederum wurden aus Gründen eines möglichst geringen Eingriffs in den Waldboden – in dem sie unsichtbar versenkt sind – so schmal gewählt, dass ihre Tragfähigkeit über Mikrobohrpfähle (d = 150 mm) erweitert werden musste. Diese sind in die Fundamentstreifen eingepasst und reichen bis zum festen Grund hinab.

Die schlanken, bis zu 5,7 m langen Stahlstäbe haben auf Deck­niveau in zwei Richtungen angeschweißte Stahlplatten, die die Betonfertigteile tragen. Die 2,1 m breiten und 3 m langen Platten sind in der Mitte 100 mm dick, eine Bauteilstärke, die über ein 2 %-Gefälle kontinuierlich bis zum Rand auf beiden Längsseiten reduziert wird. Die Platten bestehen aus Hochleistungsbeton, der mit Carbonfasern angereichert ist. Die Tragfähigkeit liegt bei 500 kg/m², damit könnten sich rund 300 Menschen gleichzeitig auf der insgesamt 21,6 m langen und 2 m breiten Fußgängerbrücke aufhalten; dies sei aber eher unwahrscheinlich, so der Ingenieur.

Zunächst wurden die Metallstäbe im Boden betoniert, dann die Betonplatten eingehängt und mit dem Stahlgerüst verschraubt. Der mit LED-Technik ausgerüstete Handlauf wurde abschließend aufgesetzt und verschraubt
Foto: Bollinger + Grohmann

Zunächst wurden die Metallstäbe im Boden betoniert, dann die Betonplatten eingehängt und mit dem Stahlgerüst verschraubt. Der mit LED-Technik ausgerüstete Handlauf wurde abschließend aufgesetzt und verschraubt
Foto: Bollinger + Grohmann

Beim Gießen in die Schalung wurden die jeweils 12 Hülsen­anker (drei an jeder Ecke) mit eingegossen. Ebenso wurde der Boden der Schalung so präpariert, dass nach dem Ausschalen eine rutschhemmende Oberfläche entstand. Die Platten sind mit einer Eisenmatte einfach bewehrt, allerdings werden die Hülsenanker noch einmal gegen Zug über eine die Hülsen umfassende Bewehrung zusätzlich gesichert.

Schon beim Gießen des Betons in die Schalung werden die Durchstöße der Stahlstützen als Aussparung (Halbkreis) berücksichtigt. Zwischen den Betonplatten bleibt nach Montage ein etwa 15 mm breiter Spalt, der mögliche Klemmungen mit folgenden Abplatzungen verhindert und Korrekturen im Millimeterbereich während der Montage zulässt.

Die Schalung ist mit der Bewehrung vorbereitet zum Auffüllen mit UHPC Beton, der durch die Beigabe von kurzen Carbonfasern noch einmal leistungsfähiger gemacht wurde. Gut zu sehen die zusätzlich Sicherung der Ankerhülsen
Foto: Betonwerk

Die Schalung ist mit der Bewehrung vorbereitet zum Auffüllen mit UHPC Beton, der durch die Beigabe von kurzen Carbonfasern noch einmal leistungsfähiger gemacht wurde. Gut zu sehen die zusätzlich Sicherung der Ankerhülsen
Foto: Betonwerk

Hier gut zu sehen die beiden Start-/Enddeckplatten mit den runden Stützendurchlässen
Foto: Betonwerk

Hier gut zu sehen die beiden Start-/Enddeckplatten mit den runden Stützendurchlässen
Foto: Betonwerk

Zwischen Handlauf und Platten wird der Zwischenraum wegen der Absturzgefahr (höchste Höhe Brückenmitte ist 4,5 m) mit einem Edelstahlnetz geschlossen.

Fazit

Gefragt danach, was denn die größte Herausforderung bei dem Brückenprojekt gewesen sei, kam – zögerlich, als müsste man lange danach suchen – der Hinweis darauf, dass man sich ein wesentlich zurückhaltenderes Licht gewünscht hätte. Nicht als Downlight im Handlauf, eher bodennah, schwächer leuchtend. Auch habe man das Thema des Handlaufs in seiner Gestalt und Farbe diskutiert, hier hat sich aber der Kunde mit „dunkelgrün“ durchgesetzt; frühe Animationen des Handlaufdesigns zeigen Schleifen oder grellere Farbtöne, die Idee von einem durch den Wald (die Wildnis?!) leitenden „Ariadne-Faden“ traf aber offenbar nicht die Vorstellungen der Auftraggeberin.

Auf die Frage, ob ein solcher Brückentyp skalierbar sei, man diese Art der Konstruktion möglicherweise auch für den Autoverkehr verwenden könne, kam ein Ja, aber sofort die Einschränkung, dass das Filigrane in die Natur gehöre, dass die Minimierung eines Impakts im urbanen Kontext weniger Sinn mache, im Gegenteil. Nein, dieser Brückentyp sei, so Narjis Lemrini, hier im Wald optimal untergebracht.

Lageplan, M 1 : 1 500

Lageplan, M 1 : 1 500

Geländeniveau, M 1 : 1 000

Geländeniveau, M 1 : 1 000

Für Bollinger+Grohmann war die Erfahrung, ein auf Zug optimiertes Material auf Druck zu belasten, eine zwar neue, aber keine offenbarende. Was man in folgenden Projekten weiterentwickeln könne, sei die Verwendung der mit Carbonfasern bewehrten Betonplatten und ihre Verwendung als Teile eines Ganzen wie aktuell in einem Projekt mit Snohetta, in dem „E-Slaps“ ein System aus hybriden Betonplatten bilden, das neben der Tragwerksaufgabe unterschiedliche Techniken aufnehmen könne.

Querschnitt Brücke, M 1 : 25
1 Handlauf Stahl d=55 mm/3 mm
2 Edelstahlnetz
3 Stütze, Rundstahl d=55 mm
4 Betonfertigteil, Hochleistungsbeton
mit Carbonfasern
5 Stützplatte, angeschweißt
6 Fußplatte, verzinkt
7 Betonfundament
8 Mikropfahl d=150 mm
9 Scharnierbolzen, verzinkt
10 Gabelkopf, verzinkt
11 Dichtungsmörtelschicht
12 Ankerstab
13 Lochung für LED-Handlaufbeleuchtung, abwärts
14 Hülsenanker, Edelstahl

Querschnitt Brücke, M 1 : 25
1 Handlauf Stahl d=55 mm/3 mm
2 Edelstahlnetz
3 Stütze, Rundstahl d=55 mm
4 Betonfertigteil, Hochleistungsbeton
mit Carbonfasern
5 Stützplatte, angeschweißt
6 Fußplatte, verzinkt
7 Betonfundament
8 Mikropfahl d=150 mm
9 Scharnierbolzen, verzinkt
10 Gabelkopf, verzinkt
11 Dichtungsmörtelschicht
12 Ankerstab
13 Lochung für LED-Handlaufbeleuchtung, abwärts
14 Hülsenanker, Edelstahl

Detail Brücke, M 1 : 15

Detail Brücke, M 1 : 15

Detail Plattenauflager, M 1 : 15

Detail Plattenauflager, M 1 : 15

Detail Aufnahme Platten, M 1 : 15

Detail Aufnahme Platten, M 1 : 15

Detail Auflager erste Platte, M 1 : 15

Detail Auflager erste Platte, M 1 : 15

Nun sind Weg und Brücke immer noch eine Schleuse zwischen den Welten, wofür schon die zahlreichen Treppenanlagen sorgen. Dennoch kann man die omnipräsenten Rollkofferzieher auf dem Waldweg und der Brücke sehen (und hören), ein schönes Signal dafür, dass sich Menschen überhaupt noch auf den  Fußweg machen. Im Park „Eugène Chanlon“ sind sie dann alle gleich, ob nun Touristen oder Akademiker, Hausmeister oder Anwohner, alle scheinen das gut versteckte Angebot angenommen zu haben.

„Hier sind die Planer an die Grenzen des Machbaren gegangen. Durch die reduzierte Bauart verschmilzt die Fußgängerbrücke mit der Umgebung und lässt sie optisch schweben. Die Leichtbauidee wirkt ideal umgesetzt.«
⇥DBZ Heftpartner formTL ingenieure für tragwerk
⇥und leichtbau gmbh, Radolfzell

Baudaten

Objekt: Fußgängerbrücke La Troche, Saclay/FR

Standort: Saclay/FR

Typologie: Fußgängerbrücke

Bauherrin: EPA Bauabteilung Paris-Saclay, Paris/FR

Nutzerin: öffentlich

Entwurf generell: Bassinet Turquin Paysage, Paris/FR. Team: Grégoire Bassinet, Rémy Turquin, Anaïs Costeramon

Entwurf Tragwerk: Bollinger + Grohmann, Paris/FR. Team: Narjis Lemrini, Klaas De Rycke

Ingenieure Weg / Ausrüstung: Alto Step, Bordeaux/FR. Team: Rémi Molina, Juliette Remi-Fourrier

Bauzeit Brücke: 06.2021–01.2022

Länge Weg: 1 274 m

Länge/Breite Brücke: 21,6 m/2 m

Max. Höhe Brücke über Boden: 4,5 m

Max. Last: 500 kg/m²

Baukosten: Gesamt brutto: 170 000 €

(Produkt-)Hersteller:

Bodenbelag: Taporo,
www.taporo.com

Stahlgeländer: Créamétal,
www.creametal.fr

Brückenbeleuchtung (LED): Stairs,
www.stairs.fr/fr

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