Sicher befestigt oder „vom Winde verweht“
Windsogsicherung auf dem Flachdach
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über neue Klimakatastrophen, Stürme oder Überschwemmungen berichtet wird. Den Schadensmeldungen zufolge werden sie immer stärker und häufiger. Ohne Frage machen Stürme auch vor Flachdächern nicht halt. Deshalb geht man von zunehmenden Belastungen für die Flachdachabdichtung und vor allem für das Befestigungssystem aus. Die Lagesicherung von Abdichtungen bzw. des kompletten Dachaufbaus spielt eine wichtige Rolle, wenn es um die Lebensdauer von Flachdachabdichtungen geht.
Um zu verhindern, dass sowohl die Abdichtung als auch das gesamte Flachdach bei solchen Wetterkapriolen Schaden nimmt, muss der gesamte Dachaufbau gegen Windsog gesichert werden. Für eine fachgerechte Windsogsicherung stehen dem Anwender mehrere Systeme zur Auswahl:
Mechanische Befestigung
Eine insbesondere auf Leichtdächer zugeschnittene Befestigungsmethode, bei der die Dachabdichtung von den Belastungen des Unterbaus weitgehend unberührt bleibt, ist die mechanische Befestigung von Kunststoffbahnen. Folgende Systeme haben sich in der Praxis bewährt:
Hierbei werden die Dachbahnen lose verlegt und im überdeckten Bahnenrand mechanisch befestigt. Auftretende Windkräfte werden über die Schweißnaht asymmetrisch in die Befestigerreihen abgeleitet.
Im Gegensatz zur Saumbefestigung sitzt die Schienenbefestigung nicht in der Nahtüberdeckung, sondern in vom Hersteller berechneten Abständen auf der Bahn. Die Befestigung der Schienen in den Untergrund erfolgt durch die Dachbahn hindurch. Abschließend sind die Schienen mit Abdichtungsstreifen zu überschweißen, um die Dichtigkeit zu gewährleisten. Windsogkräfte lassen sich mit diesem System symmetrisch in den Untergrund einleiten.
In vom Hersteller berechneten Abständen werden Klettstreifen auf der Wärmedämmebene quer zur Verlegerichtung der Dachbahnen befestigt. Danach rollt man vlieskaschierte Dachbahnen fest in die Klettstreifen ein. Da die Krafteinleitung in die quer zu den Nähten verlaufenden Klettbänder erfolgt, liegen die Nahtverbindungen selbst in einer spannungsarmen Zone. Auch wird dieDachbahn bei diesem System nicht durch Befestigungsmittel perforiert.
In einem vom Hersteller berechneten Raster wird die selbstdichtende Feldbefestigung durch das gesamte Dachschichtenpaket geschraubt. Dabei übernimmt der nahtunabhängige Feldbefestiger die Aufgabe der Windsogsicherung und kann homogen mit der Abdichtung verschweißt werden. Die Kräfte werden symmetrisch in den Untergrund eingeleitet.
Auflast
Neben der mechanischen Befestigung ist auch eine Lagesicherung durch Auflast möglich. Mit modernen Berechnungsprogrammen lassen sich die notwenigen Kiesschichtdicken oder die Trockengewichte von Begrünungsaufbauten über die ermittelten Windlasten berechnen. Die statische Traglast der Unterkonstruktion ist dabei immer im Auge zu behalten.
Bei lose verlegten Dachabdichtungen mit Auflast liegt im Gegensatz zum mechanisch fixierten Dachaufbau nicht nur eine andere Sicherungsart, sondern auch eine komplett andere Art der Lastableitung vor. Angesichts der flächig flexiblen Abdichtung ergibt sich eine wesentlich größere Lasteinzugsfläche. So führt hier eine lokale Überbelastung nicht direkt zu einem Schaden. Vielmehr würde sich rein theoretisch die Abdichtungsbahn samt Auflast leicht anheben, bis ausreichend Auflast aus der unmittelbaren Umgebung mit einbezogen wird. Dadurch kommt es zwangsläufig zu einem Gleichgewicht zwischen Windsoglast und Auflast.
Je nach Verlegeart können unterschiedliche Lasteinzugsflächen (1 m² = cpe,1 und 10 m² = cpe,10) angesetzt werden. Bei verklebten und mechanisch befestigten Systemen ist immer der cpe,1-Wert maßgebend, da hier die Belastbarkeit des Systems sich auf 1 m² bezieht. Dächer mit Auflast können auf Grund der größeren Lasteinzugsfläche mit dem aerodynamischen Beiwert cpe,10 gerechnet werden. Dadurch wird die anzu-setzende Windlast um bis zu 30 % reduziert. In der Folge sind so geringere Aufbauhöhen für die Auflasten bzw. weniger Befestigerstückzahlen möglich.
Reicht die geplante Auflast rechnerisch nicht aus, um in allen Dachbereichen die erforderlichen Windlasten aufzunehmen, müsste das Gewicht der Auflast erhöht werden. In der Regel werden dann die Dachbahnen zusätzlich mechanisch befestigt. Jedoch darf das Gewicht der Auflast nicht für die Berechnung der zusätzlichen Befestigung herangezogen werden. Jedes System muss für sich die Windsogsicherung gewährleisten, Kom-binationen sind nicht zulässig.
Verklebung
Auch die Verklebung ist eine Form der Windsogsicherung und lässt sich über die üblichen Berechnungsverfahren erfassen und berechnen. Unterschieden wird zwischen der streifenweisen und vollflächigen Verklebung. In Abhängigkeit von der Gebäudehöhe ermittelt der Dachbahnenhersteller mittels Klebeversuchen die erforderlichen Klebermengen für die einzelnen Dachbereiche. An Hand der Ergebnisse können produktbezogene Klebermengen-Berechnungen durchgeführt werden. Natürlich sind die Berechnungen nicht auf Produkte anderer Hersteller übertragbar.
Welches System ist das richtige?
Die Wahl des richtigen Windsogsicherungs-systems ist von vielen Faktoren abhängig. Schon in der Planungsphase wird relativ schnell klar, welches System zu bevorzugen ist. Bauherrenwünsche (z.B. Gründach), wirtschaftliche Aspekte (z.B. möglichst kostengünstige Lösung) und vor allem das technisch Machbare (z.B. ausgereizte Statik) spielen hier eine ausschlaggebende Rolle. Anhand der Dachgeometrie und der örtlichen Begebenheiten kann schon in der Planungsphase eine Windsogberechnung durchgeführt werden. Diese gibt dann Aufschluss über die Anzahl der Befestiger, die Klebstoffmengen, die Schichtdicken möglicher Auflasten oder auch über das notwendige Trockengewicht von Begrünungsaufbauten. Nahezu alle Dachbahnenhersteller bieten solche Windsogberechnungen als kostenlose Serviceleis-tung an. Grundsätzlich empfiehlt es sich aus Gewährleistungs- bzw. Haftungsgründen, diese in Anspruch zu nehmen. Zudem ist sichergestellt, dass die Menge an Befestigern und die Anordnung auf der Dachfläche den Anforderungen der Norm entspricht.
Parameter für die Berechnung
Grundlage der Windsogberechnungen war bis dato die DIN 1055 Teil 4. Sie dokumentiert als Grundlage zur Berechnung folgende Formel:
Windlast „W“ [kN/m²] = Staudruck „q“ [kN/m²] x aeordynamischer Beiwert „cpe“ x Sicherheitsfaktor „1,5“
Der Staudruck ist dabei ein meteorologischer Wert, der von der Windgeschwindigkeit (m/s), vom Standort (Windzone), der geografischen Lage (Geländekategorie) und der Gebäudehöhe abhängig ist. Mit dem aoerodynamischen Beiwert wird angegeben, wie sich der Staudruck auf die betroffenen Bauteilflächen überträgt. Über den Sicherheitsfaktor können z.B. Unterschiede zwischen dem Rechenmodel und der tatsächlichen Windbelas-tung am Gebäude berücksichtigt werden. Grundlegend für eine fachgerechte Berechnung ist die Bereitstellung aller benötigten Objektdaten. Eigens hierfür gibt es von den Dachbahnenherstellern Formblätter, die helfen die benötigten Daten zu selektieren.
Was ist neu, was bleibt?
Seit dem 1. 7. 2012 ist der Eurocode 1991-1-4 in Deutschland bauaufsichtlich eingeführt. Windsogberechnungen sind jetzt nach dem Rechenmodel des Eurocodes durchzuführen. Im Bezug auf Flachdächer gibt es nur geringfügige Änderungen, da sich schon die bisher gültige DIN 1055-4 stark an dem Eurocode orientierte. Im Unterschied zur DIN 1055-4 sind bei der neuen DIN EN 1991-1-4-2010-12 zwei eigenständige Normenwerke zu beachten: die DIN EN 1991-1-4 an sich sowie der jeweils dazu gehörende nationale Anhang DIN EN 1991-1-4/NA. Zu beachten ist, dass die Festlegungen im Eurocode nur dann anzuwenden sind, wenn im nationalen Anhang nichts anderes geregelt ist!
Sowohl nach dem Eurocode 1991-1-4 wie auch nach der alten DIN 1055-4 unterteilt man die Dachfläche in insgesamt vier Teilbereiche: Eckbereich, äußerer Randbereich, innerer Randbereich und Innenbereich. Auch eine Windzonenkarte für Deutschland mit der Unterteilung in die bereits aus der DIN 1055-4 bekannten Windzonen 1 bis 4 ist in der neuen Norm enthalten.
Gleiches gilt für die topografische Geländerauigkeit am Objekt, die über vier Kategorien und zwei Mischprofile klassifiziert wird:
– Geländekategorie I: Offene See; Seen mit mind. 5 km freier Fläche in Windrichtung, glattes, flaches Land ohne Hindernisse
– Geländekategorie II: Gelände mit Hecken, einzelnen Gehöften, Häusern und Bäumen, zum Beispiel landwirtschaftliches Gebiet.
– Geländekategorie III: Vorstädte, Industrie- oder Gewerbegebiete
– Geländekategorie IV: Stadtgebiete, bei denen mind. 15 % der Fläche mit Gebäuden bebaut sind, deren mittlere Höhe 15 m überschreitet
– Mischprofil Küste: Übergangsbereich Geländekategorie I und II
– Mischprofil Binnenland: Übergangsbereich Geländekategorie II und III
Neben den bisherigen auch in der alten DIN zu berechnenden Dachflächen kommen beim neuen Eurocode neue Regelungen für die Berechnung von Vordächern hinzu. Diese führen im Vergleich zur DIN 1055-4 zu geringen Windlasten. Eine Ermittlung der Windlasten nach Eurocode 1991-1-4 sowie die daraus
resultierenden windsogsichernden Maßnahmen mit Dachflächenaufteilung und Befestigeranordnung sind sehr komplex. Hierfür sollte man auf entsprechende aktuelle EDV-Programme zurückgreifen. Jedoch birgt ein Berechnungsprogramm alleine, ohne das notwendige technische Verständnis und Know-how einige Risiken. Daher empfiehlt es sich den in der Regel kostenlosen Berechnungsservice der Hersteller in Anspruch zu nehmen.
PV-Anlagen und Windsog
Immer häufiger werden auf Flachdächern Photovoltaik-Anlagen installiert. Diese haben auch Einfluss auf die Windlasten. Zum einen wirken die Windlasten direkt auf das PV-System selbst ein. Zum anderen muss geklärt werden, ob die auf die Dachabdichtung einwirkenden Windsoglasten durch das jeweilige PV-System reduziert werden oder eventuell sogar partiell höhere Soglasten entstehen. Dies kann z.B. für das jeweilige System anhand von Windkanalprüfungen untersucht werden. Die neue DIN EN 1991-1-4 enthält keine Angaben für die Windlastermittlung bei PV-Anlagen auf Flachdächern. Üblicherweise wird die Lagesicherung der Dachbahn so dimensioniert, als wäre keine PV-Anlagen vorhanden. Kritisch wird es, wenn Soglasten aus dem PV-System punktuell über die Dachbahn abgeleitet werden sollen, z. B. mittels „Laschenverbindungen“ aus Dachbahnenmaterial.
Fazit: Windsogsicherung ernst nehmen
Mit Blick auf die steigende Anzahl an Unwetterereignissen ist eine objektbezogene Windsogberechnung für die Lagesicherheit von Flachdächern auf der Basis des Eurocode 1991-1-4 generell zu empfehlen. Dabei ist die Berechnung eine Sache, die fachgerechte und technisch richtige handwerkliche Umsetzung auf dem Objekt eine andere, aber mindes-tens genauso wichtige.