Sorge um den Bestand. Eine Ausstellung
„Zehn Strategien für die Architektur“ heißt der Untertitel einer Wanderausstellung, die im Augenblick und noch bis Ende Februar 2022 Station in Münster macht. Und das meiste des hier Gezeigten schließt sich an das an, was auch auf dieser Seite berichtet wird (Bodenwende): Es geht um altes Wissen, das, weil die Zeiten drängende sind, wie ganz neu aus dem Hut gezogen wird. Dass der Titel dieser Reiseschau an eine päpstliche Enzyklika aus den 1930er-Jahre assoziiert, ist sicherlich zufällig, der Anlass der Ausstellung und ihrer Tournee sind aber einer gleichfalls „brennenden“ Sorge entsprungen, die ein „neuer Imperativ des Bauens“ (Susanne Wartzeck, Präsidentin des BDA) mit zusätzlicher Dynamik auflädt.
Protagonisten der Ausstellung sind neben dem Bestand (Ausstellungsort Volksbank von 1987, Michael Knoche) zehn Architekt- und UrbanistInnen, die jeweils eigene Strategien für eine neue alte Bezugnahme auf das Bestehende entwickeln, sämtlich miteinander verwandt und verwoben, einzeln oder in Gruppen zu diskutieren und möglicherweise im Planungsalltag zur Anwendung/Nachahmung zu bringen. Es geht um Partizipation, den Wert der Permanenz, um kreative Genügsamkeit, um das Einfache im Tun, das eine perfekte Ökonomie sein könnte, es geht um Rohstofflager und urban Blockchain, um die Verwandlung ohne das Verschwinden, und neben dem Aufbruch ins Bestehende freut man sich, das wir alle da sind (im Diskurs, in der Diskussion oder einfach nur in dieser Ausstellung): „Schön, dass ihr da seid!“.
Die Ausstellung zeigt Parkettboden, der hochkant gestellt Ausstellungsfläche ist. Diaprojektoren (gibt es noch!) zeigen Bilder von lebendigen Oberflächen (hier fehlt das Sofa zwischen den Projektoren zum Meditieren vor den Bildern vom Bestehenden!), es gibt Möbel und Skulpturen und Räume im bestehenden (Bankschalter-)Raum, auf den ich gleich noch zu sprechen komme. Und es gibt einen Katalog, eher eine Begleitpublikation, die man später lesen sollte, um sich hier, in diesem großartigen Raum, überraschen zu lassen (Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur. Jovis, Berlin).
Dass die Zeichnungen, Fotografien, Grafiken, Audio- und Videobeiträge und eine filmische Dokumentation in der ehemaligen Schalterhalle eines Bankgebäudes ihren Ort gefunden haben, der so einmalig von Vergangenheit und Zukunft erzählt und den man als außergewöhnlichen architektonischen Raum für weitere künstlerische, architekturdiskursive oder andere Arten von Debattenkulturen erhalten möchte, mag Zufall sein. Die längst aufgegebene Schalterhalle mit ihrem beeindruckend weitspannendem, sichtbarem Deckentragwerk (besprochen in der DBZ 10|1987) steht ja für nichts anderes: für das Wertvolle, das Authentische und die Qualität, die Bestand haben kann. Dank an die Ausstellungsmacher auch für diese Entdeckung. Be. K.