Spannende Überspannung

Die Capricornbrücke im Düsseldorfer Medienhafen dient als Übergang zwischen zwei Standorten einer Firmenzentrale mit ganz unterschiedlicher Architekturen. Da lag es nah, mit der neuen Verbindung einen konstruktiven Akzent zu setzen, der auch im Tragwerk ein Grenzgänger ist.

Die polymorphe Capricornbrücke im Düsseldorfer Medienhafen verbindet zwei Gebäude der Firmenzentrale Uniper: das „Capricornhaus“ von GATERMANN+SCHOSSIG und das „FLOAT“ von Renzo Piano Architekten.

Die Stahl- und Glaskonstruktion setzt sich formal als eigenständiges Element von den zwei sehr unterschiedlichen Gebäuden ab. Die komplexe Form der Brücke wird aus den differierenden Gebäudeachsen und Eintrittsmöglichkeiten in die beiden zu verbindenden Gebäude hergeleitet. Sie markiert eine eigenständige Form im Straßenraum, der von außen wie ein gefasster Kristall wirkt.

Der Zentralpylon, in dem sich diese Baufluchten verschneiden, trägt die gesamte Konstruktion. Somit werden keine Vertikallasten in die Bestandsgebäude eingeleitet. Die Tragstruktur der 37 m langen, geknickten Brücke besteht aus Stahlrohren, auf denen die trapez- und dreiecksförmigen, zum Teil sehr spitz zulaufenden Glaselemente direkt aufliegen. In dieser allseitig umschlossenen, facettierten „Tube“ führt in 5 m Höhe ein Metallsteg über die Holzstraße. Zusätzlich verwischt ein aufgedruckter Verlauf mit zu- und abnehmenden Punkten den Bezug zu Wand, Decke und Boden.

Ganzheitlicher Entwurfsansatz

Die zentrale Entwurfsaufgabe bestand darin, zwei gestalterisch sehr unterschiedliche Bürogebäude miteinander zu verbinden. Durch die zentrale Gründung in der Fahrbahnmitte ergaben sich für Tragwerks- und Fassadenplanung besondere Anforderungen. Eine Möglichkeit wäre gewesen, die Brücke auf beiden Seiten vor den Fassaden zu gründen. Die Verteilung der Massen wäre somit zu den Bürogebäuden hin erfolgt. Gestalterische Defizite, die enge stadträumliche Situation sowie die ungüns-tigen Gründungsbedingungen ließen eine Auflagerung der Brücke vor den Fassaden der anzubindenden Gebäude kaum zu. Die entscheidende Entwurfsidee von Supergelb Architekten war es, die Brücke als skulpturales Objekt zu betrachten. Die Entwicklung des Entwurfs bis hin zur Ausführung erfolgte von Beginn an in enger Abstimmung zwischen Architekt und Ingenieur in einem digitalen 3D-Modell, um die oben genannten Anforderungen und Rahmenbedingungen ganzheitlich berücksichtigen zu können. Die realisierte Konstruktion ist Resultat eines über alle Planungsphasen reichenden, ganzheitlichen Planungsansatzes und einer engen Interaktion zwischen Bauherrn, Architekt, Ingenieur und ausführender Firma.

Tragwerk

Das statische System des Brückenkörpers besteht aus einem geschosshohen räumlichen Stabwerk aus aufgelösten Stahlhohlprofilen, das auf einem, auf dem Mittelstreifen der Straße liegenden Stahlbetonsockel mit drei Bohrpfählen eingespannt ist. Dabei unterstützt die optimierte Lage des Massenschwerpunkts der Capricornbrücke den Lastabtrag in das zentrale Auflager mit Kragarmlängen von etwa 17 m beziehungsweise 14 m. Die geknickte Grundrissform, die Triangulierung des Stabwerks sowie die Verdichtung des Stabwerks im Bereich der Stützkonstruktion waren die zentralen Parameter, um ein leistungsfähiges und gestalterisch ansprechendes Tragwerk zu entwerfen. Das komplexe Verhalten des Baukörpers infolge von Schwingungen und Verformungen durch Wind-, Verkehrs- und Erdbebenlasten sowie thermisch induzierten Lasten floss in die Tragwerks- und Fassadenplanung ein. Ebenfalls untersucht wurden Anpralllasten der insbesondere von Lastkraftwagen stark frequentierten Holzstraße. Das Ergebnis war eine sehr wirtschaftliche und materialoptimierte Stahl-Glas-Konstruktion mit einem Gesamtgewicht von gerade einmal 43 t.

Das räumliche Stabtragwerk besteht aus Längsrohren, die unterschiedliche sechseckige und achteckige Ringrohre in Querrichtung verbinden. Die Rohrprofile aus Baustahl S355 sind alle in einer Ebene angeordnet und haben gleiche Durchmesser von 193,7 mm mit, je nach statischer Beanspruchung, variierenden Wandungsstärken. Im Bereich der Stützkonstruktion verdichtet sich das Stabwerk bis auf den Fundamentsockel. Die Rohrabschnitte sind luft- bzw. gasdicht verschweißt. Die Brücke wurde in drei Abschnitten im Werk vorgefertigt und vor Ort mit wenigen geschraubten Kopfplattenstößen montiert. Die Handlöcher der Montageverbindungen wurden nach der Montage mit Deckeln zugeschweißt.

Angesichts der  geforderten Ausführungsqualität waren die unmittelbare Sichtbarkeit des Tragwerks sowie deren gewünschte „haptische Erreichbarkeit“ auf der Innenseite wichtige Aspekte. So wurden die Schweißnähte bewusst deutlich sichtbar gehalten und ein einfacher Korrosionsschutz-Anstrich gewählt.

Die Verformungen aus ständig wirkenden Eigengewichtslasten wurden durch Überhöhung der Stahlkonstruktion ausgeglichen. Temporäre Verformungen aus thermisch induzierten Lasten sowie sämtlichen nicht ständig wirkenden und außergewöhnlichen Belastungen an den Kragarmspitzen, ergaben Werte im niedrigen einstelligen Zentimeterbereich.

Gründung

Die Standortwahl für die Gründung im Bereich des bestehenden Mittelstreifens resultierte nicht zuletzt aus der frühen Erkenntnis, dass eine klassische Gründung jeweils an den Enden der Brücke im Bereich der beiden bestehenden Gebäude „FLOAT“ und „Capricornhaus“ sehr aufwändig gewesen wäre. Die Straße ist teilweise durch eine Tiefgarage unterbaut, zudem ist sie selbst einer der Hauptzufahrtswege für das Hafenquartier und entsprechend hoch durch Fahrzeuge und Fußgänger frequentiert. Darüber hinaus war es gestalterisch geboten, das Gründungsbauwerk möglichst unauffällig in das architektonische Konzept zu integrieren. Der Gründungskörper besteht aus einem massiven Fundamentkörper aus Stahlbeton, der 80 cm über der Fahrbahnoberkante endet. Die Einleitung der Einspannmomente und Auflagerkräfte erfolgt durch wendelbewehrte Bohrpfähle in versetzter Anordnung mit Längen von 16 m. Materialwechsel und Lastübergabe aus dem Stahlbau erfolgen so oberhalb der witterungs- als auch anpralltechnisch kritischen Sockelzone.

Um den millimetergenauen Einbau während der Montage und die Lasteinleitung möglichst gleich- und planmäßig in den Fundamentkörper zu gewährleisten, wurde ein „Montagegerüst“ in Stahlbauweise entwickelt, das bereits im Werk des Fassadenbauers seele vorkonfektioniert und mittels einer Schablone millimetergenau auf die Primärkonstruktion abgestimmt wurde.

Gläserne Hülle

Das räumliche Stahlskelett ist mit 60 großformatigen, dreiecks- und trapezförmigen Isolierglasscheiben mit Einzelabmessungen bis zu 9 x 2,5 m eingedeckt. Die Scheiben wurden aufgrund ihrer Größe und Einbaulage als Zweifachisolierglaseinheiten aus Verbundsicherheitsglas hergestellt. Die umlaufende, linienförmige Lagerung der Scheiben erfolgte durch Adapterprofile aus Stahl mit Klemmleisten aus Edelstahl. Sämtliche Scheiben sind geneigt und entwässern automatisch. Die punktförmige weiße Bedruckung im unteren Bereich der Objekthülle löst sich bis zur Sichthöhe auf und bildet die Reflexionsfläche für die Brückenbeleuchtung. Die unterschiedlich dichte Punkt-Bedruckung der äußeren Glasscheibe dämpft die solare Einstrahlung, ohne den transparenten Charakter der Hülle zu beeinträchtigen. Die Untersicht zur Straße wurde mit gedämmten Glas-Aluminiumpaneelen ausgeführt. Die Stützkonstruktion und der oberirdische, massive Auflagersockel sind mit opaken, vollständig weiß ­bedruckten VSG-Scheiben verkleidet. Die Sockelfassade im Kaltbereich ist mit offenen Fugen versehen, um ein Abtrocknen im Spritzwasserbereich zu gewährleisten.

Zur freien Belüftung und als Rauch-Wärme-Abzug sind im Dachbereich motorbetriebene Lüftungsklappen mit Glasfüllung angeordnet.

Der Fußgängersteg in Stahlleichtbauweise folgt der stringenten Formensprache des ihn umhüllenden Baukörpers. Seine Gangbreite nimmt bis zur Mitte zu und verjüngt sich stetig zu den Kragarmenden. Die Konstruktion ist von der Gebäudehülle der Brücke entsprechend abgerückt und verfügt über ein eigenes Ganzglasgeländer mit integrierter LED-Lichtleiste im Fußpunktbereich.

Anschlüsse an die Gebäude

Die Verbindungen in die beiden Gebäude wurden so geplant, dass neben den statischen Besonderheiten die Belange der Bauphysik, ein homogener Übergang des Gehbelags sowie eine gestalterisch hochwertige als auch dauerhafte und wartungsfreie Anbindung gewährleistet sind. Die zu erwartenden Verformungen aus der statischen Entkopplung in beiden Übergangsbereichen wurde mit einer verdeckten, schlauchförmigen Dichtmanschette aus EPDM gelöst, um den Mindestwärme- sowie den Schlagregenschutz zu gewährleisten. Kurze Rampenabschnitte in Form von Schleppblechen gewährleisten einen barrierefreien und sicheren Übergang vom Brückensteg in die angrenzenden Flurbereiche der Bestandsgebäude.

Fertigung und Montage

Die Montage stellte höchste Anforderungen an das Know-how im Engineering und der Baulogis­tik. Sie musste so konzipiert werden, dass die Straße als wichtigster Zufahrtsweg in das Hafenquartier und gleichzeitiger Bauort durchgängig offengehalten gehalten werden konnte. Eine kurzfristige, wechselseitige Sperrung in jeweils eine Fahrtrichtung war zugelassen. Die Passgenauigkeit der Stoßverbindungen wurde im Werk mittels Schablonenplatte und 3D-Vermessungen kontrolliert. Das gesamte Stabtragwerk wurde werkseitig komplett probeaufgebaut, um die geometrischen Anforderungen bis ins letzte Detail zu überprüfen. Die Kragarme wurden zu den Gebäudeanschlüssen unterschiedlich überhöht, der lange Kragarm zum Float-Gebäude um 130 mm und der kurze Kragarm zum Capricorn-Gebäude um 5 mm. Die werks­eitige Probemontage ergab eine Teilung der Stahlkonstruktion in drei vormontierte Abschnitte: Im ers­ten Schritt wurden der Brückenfuß und der mittlere Bereich der Tragstruktur angeliefert und mittels Mobilkran auf dem Mittelstreifen der Straße montiert. Danach wurden an nur einem Wochenende die beiden 26 und 12 t schweren, vormontierten Kragelemente eingehoben. Die vorgegebenen Anschlusskoordinaten aus der statischen Berechnung stellten sich, wie im Werk bereits überprüft, zu den Gebäudefassaden millimetergenau ein.

Ergebnis  

Die realisierte Capricornbrücke ist das integrale Ergebnis aus architektonischem Entwurf, Tragwerksplanung und Ausführung. Sie ist ein besonderer Erlebnisweg zwischen beiden Gebäuden, gleichzeitig markiert sie als Brückenbauwerk die Einfahrt zum Düsseldorfer Medienhafen.

 

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