Staatsbibliothek Haus Unter den Linden ist fertig saniert. Ein Besuch

Man solle, so Jörg Brandt, Projektleiter Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Referat IV3 und verantwortlich für die bauliche Abwicklung der Generalsanierung und Modernisierung der Staatsbibliothek Haus Unter den Linden, genauer rechnen. Dann werde man schnell erkennen, dass die rund 470 Mio. € für rund 100 000 m² BGF so viel gar nicht seien, schon im Vergleich zum Humboldtforum schräg gegenüber. Jörg Brandt führte u. a. mit der Hausherrin, der Generaldirektorin der Staatsbibliothek, Barbara Schneider-Kempf, und Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), die Presse Anfang November durch das Haus. Tage später,  am 4. November, gab es die feierliche Schlüsselübergabe. Jetzt wird das 1914 in Betrieb genommene Gebäude wieder für ein halbes Jahr geschlossen. Die Bücher ziehen ein und die Mitarbeiter, die während der langen Bauphase der beiden Bauabschnitte in der Baucontainerburg an der Universitätsstraße arbeiten mussten.

Ursprünglich sollte die komplette Baumaßnahme 326 Mio. € kosten, die rund 150 Mio. € mehr und die wesentlich längere Bauzeit resultierte aus dem Üblichen: dramatischer Anzug der Preisindizes, Selbstüberschätzung anbietender Firmen und Unwägbarkeiten im Bestand. Dass diese Punkte, die eigentlich Kalkulationsroutinen sind, bei öffentlichen Bauaufgaben nicht zum Tragen kommen dürfen, ärgert. Denn würde man gleich über höchstmögliche Kosten sprechen, stünden am Ende die Fokussierung auf Wesentliches (weil dann doch zu teuer) oder die Zufriedenheit aller, weil nicht schon wieder die Baukosten „explodiert“ wären.

Die Staatsbibliothek, Haus Unter den Linden, eines der letzten großen Projekte von Kaiser Wilhelm II und seinem Architekten Ernst von Ihne mit dem Bauingenieur Anton Adam, füllte nach elf Jahren Bauzeit einen ganzen Block mit der Grundfläche von 170 x 107 m. Sieben Innenhöfe geben dem Bau Licht und Luft, der im Weltkrieg 1939 – 45 durch Bombentreffer stark beschädigt wurde. Zerstört war auch der zentrale Kuppellesesaal mit 34 m Höhe und einem Durchmesser von 43 m, der nach dem Krieg als Ruine im Zentrum des ansonsten reparierten Gebäudes stehen blieb. 1977 wurden die Reste abgerissen und durch vier sehr schlichte Betontürme (Magazine) für rund 2,5 Mio. Bücher ersetzt.

Nach der Wiedervereinigung und der Neuorganisation der Bestände der jetzt beiden deutschen Staatsbibliotheken („Bau 1“: Haus Unter den Linden mit Literatur bis 1900, „Bau 2“ am Potsdamer Platz mit Literatur ab 1900, der Scharoun-Bau) begann man mit der Konzeption einer Wiederherstellung der verbauten und in Bibliotheksabläufen, aber auch brandschutz- und klimatechnischen Belangen längst unzulänglichen Bibliothek Unter den Linden. Es sollte, bewusst oder weil noch nicht mit der digitalen Welt konfrontiert, kein Neuanfang im Bibliothekswesen gesucht werden, man wollte den von-Ihne-Bau. Wo er noch Substanz hatte, sollte er wiederhergestellt werden, wo er verloren war, durfte Neues erfunden werden.

1999 beauftragte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz das BBR mit der Auslobung eines Architekturwettbewerbs für den Neubau eines zentralen Lesesaals und weiterer Bereiche sowie der Grundinstandsetzung des Hauses Unter den Linden. In einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren wurden aus 146 Bewerbern 15 Architekturbüros ausgewählt, von denen sich 14 am Wettbewerb beteiligen. Gewonnen hat den schließlich im März 2000 das Büro HG Merz, Stuttgart/Berlin. Das Büro schied auf eigenen Wunsch nach Fertigstellung des 1. BA aus, die Nachfolge als koordinierendes Architekturbüro trat die BAL Planungs- und Steuerungs-GmbH (Berlin) an.

Nach Abriss der Magazintürme (bis 2004) konnte 2006 der Grundstein gelegt werden, im Dezember 2012 wurde der Schlüssel für Neubauten und den sanierten Altbau übergeben, im März 2013 konnten die Nutzer die Bibliothek im 1. BA (rund ein Drittel des Gesamten) für ihre Forschungs- und Lesearbeit beanspruchen. Allerdings: Der Zugang zum Allgemeinen Lesesaal lag so lange noch auf der Nordseite des Komplexes (Dorotheenstraße 27), bis der 2. BA abgeschlossen und die historische Haupterschließung von Unter den Linden erfolgt.

Nun ist er abgeschlossen und man betritt den Museumsbau unzeitgemäß feierlich über die Arkadenhalle, schreitet, den flachen Brunnen umrundend über den ersten Hof, gelangt in einen vergleichsweise niedrigen, überkuppelten Vorraum, um von hier aus in die Eingangshalle zu gelangen. Hier geht es unter der modernen, mittels Leichtbauelementen gestalteten Tonnendecke hinaus aus dem Halbdunkel hinauf ins tageslichthelle Vestibül, in dem Besucher nur staunend den Kopf in den Nacken legen können. Der weitere Zugang zur Bibliothek gelingt nur denen, die einen Nutzerausweis vorweisen können.

Die durchschreiten einen Sicherheitscheck, der in eine hohe Glaswand eingelassen ist, deren opake, gestaltete Oberfläche Durchblicke filtert. Vielleicht 20 m hinter der Schleuse gelangt man zur nächsten Treppe, die mit einem leuchtend orangeroten Teppichboden belegt ist, einer Farbe, die auf vielen Oberflächen der Neueinbauten zu finden ist. Die Treppe hinauf gelangt man in den Allgemeinen Lesesaal, in dem weitere (Neben-)Treppen in die Höhe führen.

Vom Vestibül aus, dessen Mauern und Kuppelkonstruktion aus Beton aufwendig mit Hilfskonstruktionen ertüchtig werden mussten, kann man auch linker oder rechter Hand zurückgehen, um die zahlreichen kleineren Lesesäle aufzusuchen, die das Haus bereithält: Handschriften, Musikalien, Zeitschriften etc. Der Rara-Lesesaal liegt unter dem Allgemeinen Lesesaal.

Ein paar Zahlen (gelten für beide BA): 700 m² Nutzfläche für das Informationszentrum mit 50 000 Bänden Literatur, 18 000 m² Magazinfläche mit rund 50 km Lipman-Regalen, saniert und mit 20 °C (+/- 3 °C) klimatisiert, Sanierung bzw. Austausch von ca. 3 500 Fenstern, fünf Sonderlesesäle mit insgesamt 1 420 m² Fläche und 139 000 Bänden frei aufgestellter Literatur zur Erschließung der Sonderbestände, 230 Arbeitsplätze in den Lesesälen der Sonderabteilungen: davon 48 im Handschriftenlesesaal, 70 im Musiklesesaal (plus zehn Abspielkabinen für Tonträger), 40 im Kartenlesesaal, 50 im Zeitungslesesaal, 12 im Kinder- und Jugendbuchlesesaal. Um diese Lesesäle mit Lese-/Hör-/Anschauungsmaterial zu versorgen, wurde eine Buchtransportanlage installiert, deren Trassenlänge ca. 1,5 km lang ist und über 17 Linear- und vier Umlaufaufzüge im gesamten Alt- und Neubau verfügt. Dazu kommen Arbeits- und ­Büroflächen für knapp 400 Mitarbeiter, 700 m² Dauerausstellung über die Geschichte der Staatsbibliothek zu Berlin und 300 m² für Wechselausstellungen (beide sind öffentlich zugänglich, auch vom Haupteingang aus).

Was nicht fehlen darf und, wie die gerade genannten Ausstellungsflächen, noch im Aufbau begriffen ist: Caféteria und Buchshop (212 m²) und ein Bibliotheksshop. Drei Veranstaltungssäle mit Besucherkapazitäten von 50, 80 bzw. 300 Personen runden das Raumprogramm ab. Ach ja, es gibt auch ein etwa 1 500 m² großes Digitalisierungszentrum sowie Werkstätten für Restaurierung, Buchbinderei und Reprographie. Immerhin: Digitalisierung!

Für Erstbesucher ist das gigantisch große Innenleben ein Labyrinth, in dem irgendwo auch Bücher stehen. Man kann, ja, man wird sich in dem Bau verlaufen, in den Gängen und Fluren, den Abzweigungen links, rechts, oben, unten und zurück. Dabei wird man sich mit Blick aus dem Fenster  fragen, in welchen Innenhof man gerade schaut. Dass diese Höfe sämtlich mit hellen, fast weißen Ziegelfassaden umschlossen sind, ist der Tageslichtgewinnung geschuldet, ein frühes Beispiel baulicher Lichtlenkung. Dass diese Lichtstrategie allerdings dazu geführt hat, dass man auf den Nordseiten der Höfe Sonnenschutzverglasung installieren musste, das denkt sich der verloren ­Hinausschauende sicherlich nicht. Be. K.

www.hgmerz.com, www.bal-berlin.de
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