„The City“ in Wolfsburg

Wolfsburg, eine Retortenschöpfung der Nationalsozialisten, entstand als Arbeiterstadt für den Volkswagenkonzern auf dem Reißbrett und entspricht damit so gar nicht dem historisierenden Ansinnen vieler Bürger, die sich nach Tradition und städtebaulicher Harmonie sehnen. Statt einer Altstadt bietet Wolfsburg eine Autostadt und abgesehen von vereinzelten Architekturikonen (von Aalto, Scharoun, Hadid u.a.) scheint Wolfsburg nur eine profane Fußgängerzone mit angeschlossenen Wohngebieten am Rande des Volkswagenwerkes zu sein.

Die in Berlin lebende deutsch-iranische Künstlerin Bettina Pousttchi (Jahrgang 1971) ist die diesjährige Preisträgerin des Wolfsburger Kunstpreises „Junge Stadt sieht junge Kunst“. Für die Städtische Galerie, die im historischen Renaissance-Schloss residiert, realisierte sie eine gigantische Arbeit, die dem Thema des Preises mehr als gerecht wird. Während der allgemeine Trend dahin geht, Städte als alt zu verstehen und Schlösser sowie Altstädte wieder weitgehend originalgetreu auferstehen zu lassen, dreht Pousttchi in Wolfsburg den Spieß um: bis zu 33 m hoch und 2150 m² groß ist ihre Verhüllung des Nordflügels vom Schloss Wolfsburg. Sie zeigt zehn Hochhäuser aus fünf Städten in vier Ländern, die jeweils zu ihrer Entstehung das höchste Gebäude der Welt waren und nimmt direkten Bezug zu der industriellen und von Fortschritt bestimmten Geschichte der Stadt.

Die Arbeit mit dem Titel „The City“ ist nicht die erste, mit der sich Pousttchi mit dem Thema der Rekonstruktion beschäftigt und diese künstlerisch hinterfragt. So versah die Künstlerin 2009 bis 2010 die Fassade der Temporären Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz mit einer fotografischen Reproduktion des soeben abgerissenen Palastes der Republik. Diese Arbeit namens „Echo“ hielt den vergangenheitsseligen Wiederaufbaubefürwortern ein ironisches Spiegelbild vor. 2012 verfuhr sie ähnlich mit der Arbeit „Framework“, indem sie Fachwerkfragmente der zerstörten Frankfurter Altstadt als Fotofries um die Fassaden der Schirn auf dem Römerberg laufen ließ. Bekanntermaßen sind ja nun sowohl die Frankfurter Altstadt als auch das Berliner Stadtschloss im Bau, wohingegen die imposante Skyline am Wolfsburger Schloss nur bis Ende September zu sehen sein wird. Frank F. Drewes

x

Thematisch passende Artikel:

Kunst am Bau?

Die Deutsche Bundesbahn stellt sich Kunst vor ihren wichtigsten Bahnhof und setzt damit (ungewollt) ein Zeichen für die Verkehrswende

Ende April wurde sie der Öffentlichkeit übergeben: die aus Leitplanken hergestellte Skulptur „Vertical Highways" der Berliner Künstlerin Bettina Pousttchi. Die steht, mit rund 6 m Höhe nicht...

mehr
Ausgabe 07/2014

Ur-Typisch Porsche Pavillon Autostadt in Wolfsburg

„Am Anfang schaute ich mich um, konnte aber den Wagen, von dem ich träumte, nicht finden. Also beschloss ich, ihn mir selbst zu bauen.“ Dieses Zitat von Dr. Ing. h.c. Ferry Porsche markiert den...

mehr
Ausgabe 12/2011

Schlösser bauen mit Leidenschaft www.stadtschloss-potsdam.org, berliner-schloss.de

Was den Wiederaufbau von Schlössern angeht, läuft es in der Hauptstadt Brandenburgs besser, als im benachbarten Berlin; das sich das Nachbar (Bundes)Land so gerne einverleiben möchte … oder war...

mehr
Ausgabe 05/2014

Wächst: Autostadt Wolfsburg www.autostadt.de

Fast vierzehn Jahre alt ist die VW-Autostadt in Wolfsburg und man sieht ihr die Jahre fast gar nicht an. Die Architekturen, zur Zeit 17 Einzelbauten unterschiedlichster Nutzung und architektonischer...

mehr
Ausgabe 03/2011

Wolfsburger „phaeno“ endlich geerdet www.phaeno.de, www.zaha-hadid.com

Ende letzten Jahres war es soweit: die „phaeno“ genannte Wissenslandschaft in Wolfsburg, nach einem Entwurf von Zaha Hadid, feierte ihr fünfjähriges Bestehen mit einem Tag der offenen Tür. Die...

mehr