Wächst: Autostadt Wolfsburg
Fast vierzehn Jahre alt ist die VW-Autostadt in Wolfsburg und man sieht ihr die Jahre fast gar nicht an. Die Architekturen, zur Zeit 17 Einzelbauten unterschiedlichster Nutzung und architektonischer Ausprägung, wurden zum Teil zur Eröffnung am 1. Juni 2000 fertiggestellt, weitere kamen in den Jahren danach hinzu. Gegenüber, auf der anderen Seite des Mittellandkanals, stellte die Stadt Wolfsburg ein paar Jahre später mit dem Phaeno von Zaha Hadid Architects ein zumindest architektonisches Gegengewicht der Kunststadt Autostadt gegenüber. Nur ein schmaler Fußgängersteg über den Kanal hinweg verbindet die beiden, verbindet öffentlichen Raum mit privatem.
Die Grenze aber ist nicht die Wasserstraße, die Grenze zur Autostadt ist eine mächtige Halle, das KonzernForum mit Piazza. Hier, zwischen monumental großen Glasfassaden, die sich mit Hilfe mächtiger (Elektro)Motoren weit öffnen lassen, kann man, mit einem Satz Nummernschilder in der länglichen Tasche, einer von 500 sein, die im täglichen Durchschnitt ihr Fahrzeug abholen. Bis heute waren das über 2 Millionen. Oder man wendet sich links und geht, nach Eintrittskartenerwerb am Empfangstresen, in die Konferenzzone oder dorthin, wo der Autofahrernachwuchs seine Spielwiese findet.
Hier, im Erdgeschoss, kann dieser einen Kinderführerschein machen oder im „MobiVersum“ gegenüber – eine neue spielerische Landschaft für Kinder und Familien – mit skurilen, die ganze Mobilität fordernden Fahrzeugen im Kreis fahren. Und zwar um einen Einbau herum, der eine Kochschule enthält. Eigentliches Highlight der Bewegungslandschaft ist die „Bewegungsskulptur“, die in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Renate Zimmer und Jürgen Mayer H. entwickelt wurde und eine Herausforderungen für die kindliche Motorik darstellen soll. Das schon 2013 fertiggestellte Projekt kann als Ergänzung zur Ausstellung „Level Green” (ebenfalls J. Mayer H. mit ART+COM) verstanden werden, wobei letzteres die Baumkrone und die Skulptur Wurzelwerk und Stamm darstellen könnten.
Die Kinder erkennen das nicht, wohl auch nicht die emotional aufgewühlten Abholer. Die sitzen im KundenCenter (wie das Meiste hier auf dem 28 ha großen Gelände von Henn Architekten) wie im BürgerCenter und warten, wie im BürgerCenter, auf das Aufleuchten ihres Namens auf einer großen Anzeigetafel. Mit ihrem 911, Sharan oder Beatle verlassen sie dann endlich – bei grüner Ampel! – das Kundencenter und könnten in die Welt hinausfahren. Oder sie verlassen die „ErlebnisAbholung“ in Richtung „Ausfahrt“ um dort über eine 315 m lange „Ehrenrunde“, wie es VW-intern heisst, zu flanieren.
Hinter dieser Verzögerung auf dem Weg ins Freie steht der Gedanke, dass der Autofahrer regelmäßig mit der modernen Automobiltechnik überfordert ist. Automatisches Einparken, Verkehrszeichenerkennung oder automatische Distanzregelung, Start-Stopp-Funktion, Berganfahrassistent oder Müdigkeitserkennung, Spurwechselassis-tent oder oder, alles das müssen die Neuwagenbesitzer erst lernen. Damit dieses Gefühl des Wir-lassen-Sie-nicht-allein auch einen architektonischen Ausdruck erhält, haben GRAFT Architekten eine Skulptur erfunden, die wie ein schützendes Blatt so auf der Straße liegt, dass man von der einen Seite darunter und auf der anderen Seite wieder hervorfahren kann. Oder man hält unter der etwa 130 t schweren Druckringkonstruktion, die mittels einer PTFE-Folie transluzent geschlossen wird, und räumt noch einmal das Gepäck um, das in der Autostadt der VW-Service bereits eingepackt hat. Oder man übt rückwärts einparken unter dem etwa 1600 m² großen Dach, das allein auf zwei Punkten gelagert horizontale aber vor allem auch vertikale Lasten auffangen muss.
Dass mit GRAFT und Jürgen Mayer H. zwei Büros mit Arbeiten in die Autostadt gekommen sind, die die klassischen Glas-/Stahlarchitekturen von Henn Architekten um eine Note weiterschreiben, die vielleicht der Trend auch in der Automobilgestaltung ist, lässt für die Zukunft des Autos allerhand erwarten. Im besten Fall Nutzer, die gelernt haben, dass eine grüne Zukunft ohne das richtige Wurzelwerk nur eine Spielwiese für Marketingexperten ist. Be. K.