Wohnhochhaus Lyoner Straße, Frankfurt a.M.

Traditionspflege im neuen Gewand
Wohnhochhaus Lyoner Straße, Frankfurt a.M.

Das von einem Büro- in einen Wohnturm umgebaute Gebäude an der Lyoner Straße in der Bürostadt Niederrad ist ein Pionier: technisch aufwendig, aber wirtschaftlich erfolgreich und ästhetisch gelungen.

Günter Hägele würde es jederzeit wieder tun. Günstige Bedingungen vorausgesetzt, sagt der Bauherr des Umbaus eines ehemaligen Büroturms in ein Wohngebäude in Frankfurt-Niederrad. Die insgesamt 96 Wohnungen seien komplett vermietet, die Mieterstruktur – meist gut verdienende Wochenendheimfahrer – sei gut, und der Mietzins der zwischen 800 und 1 600 € monatlich vermieteten Wohnungen gehe bei Neuvermietungen „eher nach oben“. Selbst der Unterhaltsaufwand des nun 72 m hohen Hauses sei äußerst bescheiden. Voller Erfolg also „obwohl uns vorher alle für verrückt erklärt haben“, sagt der Frankfurter Geschäftsführer von DK Real Estate.

Günstige Bedingungen heißt:

Zum ersten: ein quadratischer Grundriss.

Der quadratische Turm an der Lyoner Straße benötigte nur ein Sicherheitstreppenhaus – im Gegensatz zu mindestens zwei bei einem rechteckigen Grundriss.

Zum zweiten: die „vorbildliche“ Unterstützung von Stadtplanung und Bauaufsicht, die allesamt mitgeholfen hätten, diese „Pionierleistung“ zu stemmen. Beide Behörden haben auch die Aufstockung um zwei Geschosse plus ein Staffelgeschoss getragen.

Was Hägele nicht sagt, was aber wohl die dritte günstige Voraussetzung war: der niedrige Preis der Immobilie. Denn der Ende der 1960er Jahre errichtete Turm stand schon seit langem – wie ein Dutzend anderer in der Bürostadt Niederrad in der gleichen Zeit errichtete Gebäude – leer und war nicht mehr rentabel zu vermieten. Das keine 200 m von den berühmten Eiermann‘schen Olivetti-Türmen gelegene Haus war von dem Umbau bestimmt kein Beau unter den locker in den Niederräder Wiesen verteilten Bürosolitären: Ein 60 m hohes Kapitalanlageobjekt mit einem 2-geschossigen Granitsockel und einer darüber schwebenden, horizontal ­geschichteten Fassade, aber ohne größeren architektonischen Anspruch. Quadratisch, praktisch, gut. Ein Kind seiner Zeit – in einer nach dem Laissez-faire-Prinzip gebauten Umgebung. Doch das Büro Stefan Forster, nach dessen Plänen der Umbau erfolgte, ist für seine städtische Architektur bekannt. Wie also den Kontext betonen, wenn sich dieser Kontext zusammenhang-, ja beziehungslos präsentiert? Mit anderen Worten: Wenn letztlich wenig bis kein wahrnehmbarer Kontext da ist? Forsters Team entschied sich, die Bürohaustypologie zu tradieren, sie für die neuen Nutzungen zu adaptieren. Das neue Wohngebäude sollte seine Herkunft als Büroturm nicht verbergen, im Gegenteil die Ästhetik sollte den Stil der 1970er-Jahre weiterführen. Traditionspflege im neuen Gewand also. Allerdings, mit dem Volumen des Gebäudes gingen die Architekten zeitgemäß um. Ein Detail zeigt das in geradezu vorbildlicher Weise: Bei den Loggien an den vier Eckwohnungen wurde die Decke bündig bis an die Unterkante der Brüstung geführt, mit der Konsequenz, dass die Loggia wie aus dem Volumen ausgeschnitten wirkt. Weil die Brüstungen auf eine Höhe von nur 59 cm abgesägt wurden – die Gesamtlänge des abgesägten Betons betrug über 1000 laufende Meter –, wirkt die horizontale Schichtung des Vierkants noch viel stärker als vordem.

Ertüchtigung, Umnutzung, Aufstockung

In diesem Umbau überlagerten sich drei Prozesse: die Ertüchtigung eines in die Jahre gekommenen Hochhauses, die Umwidmung in eine Wohnnutzung – mit ­erhöhten Anforderungen an Brand- und Schallschutz – und besagte Aufstockung. Letztere verschafft dem Turm sowohl eine höhere Rentabilität als auch weit schönere Proportionen. Schon die Vorstudie des Ingenieurbüros Cischek untersuchte nicht nur den für die Entstehungszeit ungewöhnlich gut dokumentierten Bestand, sondern auch die Möglichkeit einer Aufstockung. Und kam zum Ergebnis, dass bei (Beton-)Sanierung der Stützen im Untergeschoss und der aufgehenden Geschosse, die die typische Bewehrungskorrosion aufwiesen, ohne statische Nachrüstung, aber „mit Disziplin“ eine Erhöhung möglich sei. Disziplin bedeutete vor allem nicht zu hohe Ausbaulasten – und verbunden damit die Eingabe des Gebäudetragwerks in ein Finite-Elemente-Modell. Jede Maßnahme, die irgendwie die Statik berührte, jede Öffnung, jede Aussparung – und davon gab’s dann doch recht viele – wurden damit simuliert. Die Konstruktion des Gebäudes bestand aus zwei aussteifenden Kernen mit insgesamt vier Aufzügen, aus Stahlbetonstützen am Rand sowie als Rippendecken ausgebildete, gerade 8 cm dicke Stahlbetondecken mit umlaufenden, 32 cm starken Randbalken. Zwei dieser Aufzüge wurden entfernt. Für die kleinteiligen Wohnungen, die bis auf die Aufstockung als 5- oder meist sogar als 7-Spänner organisiert sind, wurden in den hohlen Kern Türen geschnitten, Bäder eingebaut und für die Installationsschächte jede Menge Löcher gebohrt. „Um jeden Zentimeter haben wir gerungen“, erzählt Florian Kraft, zuständiger Projektleiter und Partner bei Stefan Forster Architekten. Auf Steckdosen zum Beispiel wurde verzichtet. Zwar wurden auch neue Decken aus Ortbeton in diesen Kern eingezogen, doch insgesamt schwächten die zahlreichen Öffnungen die Aussteifung.

Ausbaulasten mussten entsprechend minimiert werden. Für die Aufstockung wurden Stahlbeton-Verbunddecken, Verbundträger mit Kammerbeton sowie Fertigteilstützen verwendet. Für die Ostseite kam sogar eine Trockenbaufassade in Verbindung mit einem Wärmedämmverbundsystem zum Einsatz. Eine Zulassung im Einzelfall war dafür Voraussetzung. Die insgesamt 30 cm dicke Wand besteht nun aus mit Tellerdübeln angeschraubtem WDVS, einer Dämmung von 15 cm,
einer doppelten Beplankung mit wetterfesten Trockenbauplatten, einer weiteren zwischen C-Profilen eingespannten, 10 cm dicken Mineralwolle-Dämmung und einer weiteren doppelten Beplankung aus Gipskartonplatten. Die horizontalen Fenster auf dieser Fassadenseite sind relativ klein, doch das dahinterliegende Sicherheits-Treppenhaus wird ohnehin nur im Notfall benutzt.

Im Sinne des Brandschutzes funktioniert das Treppenhaus wie auch die verbliebenen Aufzüge mit einer Überdrucklüftung. Im Aufzug wird im Keller, im Treppenhaus an drei über seine Höhe verteilten Punkten Druckluft eingeblasen. Über Abluftklappen im Aufzugsraum, in den Gebäudefluren sowie im Treppenhaus kann der Überdruck entweichen, wobei überall Druckmesser verteilt sind und auf dem Dach ein Ventilator mit Bypass-Ventil im Falle thermischer Unterschiede einspringt. Auch die Decken wurden brand- und schallschutztechnisch nachgerüstet. Als F90-Decke waren die Rippendecken zu dünn, vor allem der Beton über der Bewehrung war nicht dick genug. So wurde ein Fließestrich mit Trittschalldämmung gegossen, unterhalb der Rippen brachte man Brandschutz-Gipskartonplatten an. Akustisch funktionieren die neuen Decken nun als Plattenschwinger oder Membranabsorber. Die Raumhöhen verringerten sich dadurch auf 2,52 m, in den Fluren sogar auf 2,42 m (in den neuen Etagen liegen sie bei 2,80 m). Der neue Deckenaufbau hat allerdings zur Konsequenz, dass sich Kabelauslässe nicht mehr an den Decken, sondern an den Wänden befinden.

Die Räume, eigentlich eher auf Wochenendheimfahrer zugeschnittene Wohnlandschaften mit edlen Teilmöblierungen – Einbauküchen, Einbauschränke, Sanitärboxen, vieles davon in Schleiflack-Ausführung – und dunkel geöltem Eichenparkett, profitieren von den abgesägten Brüstungen. Sie sind lichterfüllt und wirken großzügiger als sie sind. Auch das Erdgeschoss mit seinen in tiefen Laibungen sitzenden, fast raumhohen Fenstern beherbergt ein großzügiges Foyer mit
Concierge und 320 m² Gewerbefläche mit separatem Eingang. Weiße Putzträgerplatten „erden“ das Sockelgeschoss – letztlich ein eher subtiler Stilbruch mit den 1970er-Jahren, dennoch strecken die weißen Flächen den Baukörper neben der Aufstockung noch zusätzlich. So bewahrt der auch optisch neu wirkende Wohnturm die Erinnerung an das Alte. Schade ist lediglich, dass es Investoren wie Günter Hägele an Gelegenheit fehlt, es wieder zu tun. Trotz des seit Jahren propagierten Umbaus der Bürostadt Niederrad in nutzungsgemischte Quartiere, kommt die Sache nicht recht in Gang. So bleibt das umgebaute Vierkant nach wie vor ein Pionier – allerdings Maßstäbe setzend.

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