Mehrgenerationenwohnen, Pöstenhof, Lemgo

Unter einem Dach
Mehrgenerationenwohnen Pöstenhof, Lemgo

Auf dem Gelände einer ehemaligen Konservenfabrik in Lemgo ist im vergangenen Sommer die Mehrgenerationen-Wohnanlage „Pöstenhof“ mit insgesamt 33 Einheiten fertiggestellt worden. Der städtebaulich wie architektonisch überzeugende Neubau der vor Ort ansässigen h.s.d. architekten setzt sich zusammen aus zwei 3-geschossigen Baukörpern, die über Laubengänge erschlossen werden und über eine Brücke mit­einander verbunden sind.

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war es in weiten Teilen der Bevölkerung völlig selbstverständlich, und in der Regel aus wirtschaftlichen Gründen auch erforderlich, dass mehrere Generationen unter einem Dach lebten. Danach galt die so genannte „Kernfamilie“ mit Vater, Mutter und Kindern als allgemeines Ideal. Doch durch eine veränderte Demografie und neue berufliche Anforderungen erlebt das Zusammenleben von Jung und Alt gegenwärtig eine Renaissance. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand – ganz gleich, ob es sich um Großfamilien oder um offene Wohnprojekte mit Menschen aus unterschiedlichen Lebenssituationen handelt: Die Älteren können ihre Lebenserfahrung einbringen und bei der Kinderbetreuung helfen, während die Jüngeren ihnen Gemeinschaft bieten und sie vor Isolation schützen.

Ein gelungenes Beispiel für ein solches Mehrgenerationenwohnprojekt ist der im vergangenen Sommer nach Plänen von h.s.d. architekten realisierte „Pöstenhof“ im ostwestfälischen Lemgo. Die klar und selbstbewusst in zeitlos-moderner Formensprache gestaltete Wohnanlage setzt sich zusammen aus zwei 3-geschossigen Wohnblocks mit insgesamt 33 Wohneinheiten, die über breite Laubengänge erschlossen werden und im ersten und zweiten Obergeschoss durch eine Brücke verbunden sind. Zusätzlich stehen im Pöstenhof eine Gästewohnung, ein Gemeinschaftsraum, eine Tagespflegeeinrichtung sowie ein gemeinschaftlich nutzbarer Innenhof zur Verfügung.


Städtebauliche Einbindung

Das Projekt geht zurück auf die Initiative der Wohnbau eG Lemgo, deren Bestand auch mehrere, zumeist aus den 1950er-Jahren stammende Wohnblöcke mit insgesamt 150 Wohnungen in der unmittelbaren Nachbarschaft des Pöstenhofes umfasst. Seit 2006 wurde der größte Teil dieser Bestandsgebäude umfassend modernisiert und umgebaut. „Um die Revitalisierung abzuschließen und gleichzeitig einen neuen städtebaulichen Kern für das Quartier zu schaffen, hatte die Genossenschaft 2010 beschlossen, das brach liegende Areal einer ehemaligen Konservenfabrik am südwestlichen Rand des Viertels in die Planung einzubeziehen“, erklären

Christian Decker und André Habermann, die beiden Partner von h.s.d. architekten. „Erstmals in Lemgo sollte dabei Generationen übergreifendes Wohnen in Gemeinschaft für Familien, Alleinerziehende, Paare, Singles, Kinder und Jugendliche aus bewusst unterschiedlichen Herkunftsschichten ermöglicht werden.“ Die Gesamtkosten des im Dezember 2012 mit dem Landespreis NRW ausgezeichneten Projektes belaufen sich auf 6,5 Mio. €, wobei acht der Wohnungen durch das nord-rhein-westfälische Ministerium für Bauen und Verkehr gefördert werden.


Differenzierte Fassadengestaltung

Um eine optimale Ausnutzung der 4 800 m² großen dreiecksförmigen Grundstücksfläche an der Kreuzung Pöstenweg/Hinter den Pösten zu ermöglichen und gleichzeitig einen geschützten Innenhofbereich zu schaffen, haben die Architekten das geforderte Raumprogramm auf zwei freistehende, dabei V-förmig zueinander gestellte Baukörper verteilt. Im deutlichen Kontrast zu dieser ruhigen Gesamtform steht die differenzierte Fassadengestaltung. Straßenseitig trifft der Blick dabei auf plastisch vor- und zurückspringende Volumen, die mit ihrer rhythmischen Verzahnung bewusst die kleingliedrige Bebauung in der Nachbarschaft sowie in der Lemgoer Altstadt aufgreifen und die Heterogenität der Bewohnerschaft widerspiegeln. Die Fassadengliederung ist aber nicht nur städtebaulich und thematisch, sondern auch funktional begründet. Denn die unterschiedliche Breite und Tiefe der einzelnen Versprünge bildet gleichzeitig auch die unterschiedlichen Wohnungsgrößen nach außen nachvollziehbar ab.

Die hofseitig gelegenen Fassadenflächen der beiden Baukörper wurden demgegenüber weitgehend geschlossen mit breiten Laubengängen ausgebildet, die als „Bürgersteige“ ganz ausdrücklich auch als Begegnungsraum für die Bewohnern konzipiert sind. Im Zusammenspiel der Laubengänge mit einem Fahrstuhl und der Brücke zwischen beiden Gebäuden ist eine bequeme und barrierefreie Erschließung sämtlicher Einheiten möglich. Die frische limegrüne Farbigkeit der Fassade betont den modernen Charakter des Entwurfs und setzt sich wohltuend vom monotonen Charakter vieler anderer Wohnanlagen ab. Die statischen Lasten der Laubengangkonstruktion werden über unregelmäßig angeordnete, jeweils 15 x 30 cm starke Stahlstützen abgetragen, die gleichzeitig auch zur Dachentwässerung dienen.


Individuelle Wohnungsgrundrisse

„Ein ganz wichtiger Aspekt bei der Umsetzung des Projektes war das Verhältnis von Nähe und Distanz, also Nachbarschaft und Privat­heit,“ erklärt Christian Decker. „Deshalb haben wir vier unterschiedliche Zonen definiert, die vom Garten über die Laubengänge und die Küchenzeilen bis zum Bereich Schlafen/Wohnen fließend von außen nach innen in­einander übergehen. Die Abmessung und genaue Ausgestaltung der einzelnen Wohnungsgrundrisse wurde in enger Absprache mit den zukünftigen Bewohnern entwickelt. Die ersten Mietbewerber konnten wählen, in welchem Gebäudeflügel und in welchem Stockwerk sie einmal wohnen wollten.“

Großen Wert legten die Architekten gleichzeitig auf die Schaffung von ausreichend Flächen zur nachbarschaftlichen Begegnung. Neben den Laubengängen und dem halb­öffentlichen Innenhof mit seinen Spiel- und Gartenflächen wurde deshalb ein großzügiger Gemeinschaftsraum integriert, der regelmäßig für kulturelle Veranstaltun­gen aller Art genutzt wird. Zusätzliche Außenflächen bieten die privaten Loggien sowie der südöstlich gelegene öffentliche Wohnplatz. Da­rüber hinaus steht in der Anlage eine Gästewohnung zur Verfügung, sodass die Bewohner Besuch unterbringen können, ohne dass in den einzelnen Wohnungen ein eigener Gästeraum vorgehalten werden müsste. Komplettiert wird der planerische Anspruch des Entwurfs durch eine hohe Energieeffizienz. Die Anwendung eines 25 bis 32 cm starken Fassadendämmsystems sorgt dafür, dass die Anlage dem KfW-Effizienzhaus-40-Standard entspricht.


Gemeinsame Workshops

Eine besondere Herausforderung bei der Planung und Umsetzung des Pöstenhofes war die frühzeitige Einbeziehung der künftigen Mieter. Für einen offenen Dialog und die Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen wurde eine externe Projektentwicklerin hinzugezogen. In regelmäßigen Workshops und Infoabenden mit der zukünftigen Wohnprojektgruppe konnten in einem frühen Planungsstadium die organisatorische Struktur des Projektes sowie die Zusammenarbeit zwischen der Genossenschaft und dem neu gegründeten Mieterverein besprochen werden. „Insgesamt hatten wir es bei diesem Projekt also nicht mit einem, sondern letztlich mit 33 Bauherren zu tun“, beschreibt Christian Decker den vielschichtigen Planungsprozess rückblickend. „Das war nicht immer ganz einfach, schafft jetzt aber dieBasis dafür, dass die Gemeinschaft funktioniert und die Bewohner sich wohl fühlen.“

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