Van Gogh Museum, Amsterdam/NL
Das Van Gogh Museum ist eine Glasarchitektur, in der viele Innovationen und Entwicklungen der letzten Jahre kombiniert wurden: Kaltverdrillen und Kaltbiegen von Isolier- und Verbundglasscheiben und Verbundglasschwerter für Dach und Fassade schaffen in der frei geformten Wellenstruktur eine Atmosphäre erstaunlicher Transparenz, die schon von außen auf das Wunderbare der Kunst Vincent van Goghs verweisen.
DBZ Heftpate Mick Eekhout
Mit einer jährlichen Besucherzahl von rund 1,6 Mio. Menschen – Tendenz steigend – wurde die alte Eingangssituation des Van Gogh Museums in Amsterdam für Besucher und Personal untragbar. Hans van Heeswijk architecten realisierte in Zusammenarbeit mit Octatube und nach Entwurfsskizzen von KISHO KUROKAWA architect &
associates eine transparente Museumserweiterung innerhalb der bestehenden Gebäudegrenzen des Museumskomplexes, die sich durch seine innovative Glastragstruktur auszeichnet und zum neuen Erkennungsmerkmal des Museums avanciert. Die vom japanischen Architekten Kisho Kurokawa entworfene und 1999 fertiggestellte Erweiterung des Van Gogh Museums von Gerrit Rietveld wurde notwendig, um Raum für temporäre Design- und Kunstausstellungen zu schaffen.
Der Zugang zum neuen Ausstellungsgebäude mit seinem elliptischen Grundriss erfolgte nach wie vor über den Eingang das Rietveldgebäudes an der Paulus Potterstraat. Der Entwurf des 2007 verstorbenen japanischen Architekten zeichnete sich durch die Dualität zwischen dem massiven, weitestgehend geschlossenen und dreigeschossigen Ausstellungsgebäude und dem „versunkenen“, ca. 5,5 m unter dem Straßenniveau liegenden Wasserbassin im ersten Untergeschoss aus. Dieses Wasserbassin, das als kontemplativer Ruhe- und Übergangsraum vom historischen Gebäude zum Zubau gedacht war,
zeigte sich im niederländischen Klima und aufgrund immer wieder auftretender technischer Probleme wenig effektiv und brauchbar.
Zudem war der Weg und die Verbindung zwischen den Ausstellungsräumen der permanenten Sammlung im Rietveldgebäude und den temporären Ausstellungen im Kurokawagebäude für die Museumsbesucher undeutlich und oftmals schwer zu finden.
Entwurf für den neuen Zugangsbereich
Mit der Verlegung des Haupteingangs an die Museumsplein-Seite griffen die Architekten eine Entwicklung auf, die sich in den letzten Jahren bereits bei den benachbarten Museen abzeichnete: im Zuge der Aus- und Umbauten verlegten auch das Stedelijk Museum (Stadtmuseum Amsterdam) und das Rijksmuseum ihre Hauptzugänge an den Museumplein, womit letzterem eine wesentlich größere Rolle als parkartige Grünfläche und Treffpunkt zukommt.
Die Lösung, das ca. 800 m² große Wasserbassins zu einem Zugangsbereich umzuwandeln, lag daher auf der Hand und wurde vom Büro KISHO KUROKAWA im Zuge einer Reise von Axel Rüger, Direktor des Van Gogh Museums, in Form einer Entwurfsskizze festgehalten. Die Entwurfsskizze zeichnet sich bereits durch ein großes transparentes Gebäudevolumen mit einem dramatisch gekrümmten Glasdach aus, das als die Negativform des bestehenden, gewölbten Daches des Kurokawagebäudes zu lesen ist.
Tragkonstruktion aus Stahl und Glas
Der Rijksgebouwendienst, Eigentümer des Van Gogh Museums,
beauftragte in der Folge das Delfter Ingenieur- und Baubüro Octa-tube und das Amsterdamer Architekturbüro Hans van Heeswijk
architecten mit der Ausarbeitung des Entwurfs. Mick Eekhout, Firmengründer des Familienunternehmens Octatube, und Hans van Heeswijk hatten bereits an anderen Projekten, wie dem Umbau des Mauritshauses in Den Haag zusammengearbeitet, bei denen es
ebenfalls darum ging, die Erfahrung im innovativen Glasbau mit der Erfahrung im Um- und Ausbau bestehender, denkmalgeschützter Museen zu verbinden.
Das primäre Tragwerk über dem neuen Foyer – dem neuen Bindeglied zwischen den beiden Museumsteilen – besteht aus Stahl, alle sekundären Tragwerksteile aus Glas. Das Haupttragwerk setzt sich aus zwei gekrümmten, hohlen und miteinander verschraubten Rundstahlbögen zusammen, die auf zehn neuen Stahlstützen auflagern. Sowohl die gebogenen, rohrförmigen Stahlbalken als auch die Stahlstützen besitzen einen Durchmesser von 406,4 mm bei einer Wandstärke von 12,5 mm. Die Länge, Krümmung und Position des horizontalen Randbalkens und damit der Glasfassade ergab sich aus der elliptischen Grundform des Bauwerks von Kurokawa. Die dreidimensionale Doppelkrümmung der Dachform hingegen ist die Negativkurve des Dachs über dem Bestandsgebäude, wodurch das neue Glasdach außerdem unter dem auskragenden, orthogonalen Kupferstichkabinett im ersten Obergeschoss hindurchschwingt.
Gekrümmtes Glashaus
Das Konstruktionsprinzip des Glasdachs entspricht im Wesentlichen dem der Glasfassade. Die Glasscheiben bestehen aus kalt gebogenen, 36 mm dicken Glasplatten, die durch Glasstege getragen und ausgesteift werden. Die vertikale Glasfassade ist etwa 60 m lang und besitzt eine Höhe zwischen 8 m in der Mitte und ca. 10 m an den Randbereichen. Das Volumen des neuen Glasanbaus ist durch zwei flache und leicht zurückversetzte Glasscheiben vom Kurokawagebäude abgesetzt, nimmt aber sonst die leichte seitliche Schrägstellung der Gebäudefassaden aus Stein auf. Die 30 parallel liegenden und in China gefertigten 70 cm hohen Glasfinnen des Dachtragwerks – der längste dieser Glasbalken ist 12 m – besitzen alle aufgrund der Geometrie des Bauwerks unterschiedliche Längen und sind durch Stahlschuhe an den runden Stahlträgern befestigt.
Die kaltgebogenen Glasplatten der vertikalen Fassade, die durch 20 unterschiedlich lange, vertikale, laminierte Glasbalken gehalten und stabilisiert werden, sind mit Ausnahme der Randplatten 360 cm lang und 180 cm hoch. Dieses Maß und die horizontale Ausrichtung der Glasscheiben ergab sich aus verschiedenen Testversuchen, die einerseits zeigten, dass man Glas besser über die kurze als über die lange Achse biegen kann und dass man mit diesen Abmessungen die Grenzen des Leis-tungsvermögens des eigens von Octatube entwickelten Biege- und Montageroboters erreicht. Im unteren Bereich der Glasfassade, auf Straßenniveau, entschied man sich, die Glasplatten aus Steifheitsgründen nur 90 cm hoch zu machen. Darüber hinaus haben die Besucher dadurch auf Augenhöhe (ca. 180 cm) einen ungehinderten Blick ins Eingangsfoyer. Die Höhe der Glasplatten im Bereich des oberen, unregelmäßig gebogenen Fassadenabschlusses variieren je nach Position.
Erfahrung in Glastechnologie
Für die Detaillierung des „unsichtbaren“ Befestigungs-systems der kaltgebogenen Glasschalen an den laminierten Glasfinnen der Fassade und des Glasdachs konnte Octatube auf die Erfahrungen beim Bau der Innen-
hofüberdachung des Victoria und Albert Museums in London von MUMA und Julian Harrap Architects zurückgreifen.
Auf die laminierten Glasbalken der Dachträger und der vertikalen Glasfinnen der Fassade wurde ein Stahlprofil geklebt, das einerseits der Dicke des Glasbalkens und an Glasplatten des Dachs und der Fassade entspricht. Zusammen mit den Klemmplatten in horizontaler Richtung – sie fixieren die Glasscheiben der Fassaden an den innenliegenden, horizontalen und sehr schmal ausgeführten Stahlprofilen – entstanden damit starke, verformungsfreie und beinahe unsichtbare Halterungssysteme.
Bei der Ausarbeitung einer architektonischen Form muss laut Mick Eekhout nicht nur die Tragstruktur, sondern immer auch der Produktionsprozess der einzelnen Bauteile und Montageprozess auf der Baustelle mitgedacht und entworfen werden. Nur dann kann letztlich eine Realisierung entsprechend dem Entwurfskonzept garantiert werden und innovative Projekte entstehen. Mick Eekhout sieht in dieser Zusammenarbeit mit Architekturbüros wie Renzo Piano Building Workshop, KAAN Architects, Hans van Heeswijk architecten oder MVRDV eine seiner Hauptaufgaben. Michael Koller, Den Haag
Baudaten
Standort: Museumplein 6, Amsterdam/NL
Typologie: Eingangshalle
Bauherr/Nutzer: Van Gogh Museum Foundation, Amsterdam/NL
Architekt: KISHO KUROKAWA architect & associates, Tokyo/JP, www.kisho.co.jp (Entwurf), Hans van Heeswijk architecten, Amsterdam/NL, www.heeswijk.nl (Architekt Vorort)
Mitarbeiter (Team): Jasper Druijven, Richard Gouverneur, Stephanie Haumann, Hans van Heeswijk, Rob Hulst, Ronno Stegeman en Boaz van der Wal
Generalunternehmer: Central Government Real Estate Agency, Den Haag/NL
Bauzeit: 2014 – 2015
Fachplaner
Glaskonstruktion: Octatube, Delft/NL, www.octatube.nl
Projektdaten
Fassadenfläche: 600 m²
BGF: 975 m²
Baukosten Glashalle: 2,5 Mio. €
Hersteller:
Gebogene Verglasung: Finiglas Veredelungs GmbH, www.finiglas.semcoglas.com
Glasschwerter: Octatube, www.octatube.nl
(Glas-)Aufzug: Mitsubishi Elevator Europe, www.mitsubishi-liften.nl