Vom Passivhaus zum AktivhausEin Gespräch mit Prof. Manfred Hegger
DBZ: Herr Prof. Hegger, mit Ihrem Buch plädieren Sie für die Weiterentwicklung der aktuellen Gebäudeenergiestandards zum Bau von
Aktivhäusern. Gute Beispiele energieaktiver Architektur sind aber immer noch viel zu selten. Warum dauert es so lange, bis sich diese naheliegende Idee durchsetzt und mehr architektonisch gelungene Lösungen hervorbringt?
M. Hegger: Natürlich sind wir ungeduldig und die Entwicklung geht auf den ersten Blick zu langsam voran. Mit einigem Abstand betrachtet ist die Entwicklung in den letzten 5 bis 10 Jahren aber rapide vorangeschritten, sowohl was die Breitenanwendung fortschrittlicher Technologien als auch die baulichen Standards in Mitteleuropa angeht. Es braucht Zeit, bis sich sinnvolle Ansätze und Ideen durchsetzen. Doch die Nutzung erneuerbarer Energien im Gebäudezusammenhang geht gut voran und bringt zunehmend architektonisch faszinierende Lösungen hervor.
DBZ: Was sind die wesentlichen Punkte, in denen sich die Aktivhaus-Technologie von anderen Standards energieeffizienten Bauens unterscheidet? Was bedeutet die neue Technologie für die Architekten?
M. Hegger: Eine spezielle Aktivhaus-Technologie in dem Sinne gibt es nicht. Die notwendigen Bauelemente sind alle bereits auf dem Markt erhältlich. Es handelt sich zum einen um Standard-Produkte oder um schon seit Jahren im Bereich des Passivhaus-Standards bewährte Bauelemente, zum anderen um Technologien der regenerativen Energieerzeugung über die Gebäudehülle oder das Grundstück. Neu sind also nicht die eingesetzten Technologien, sondern ihr intelligentes Zusammenwirken sowie ihre Integration in das Erscheinungsbild der Architektur. Die Möglichkeiten der Gestaltung engen sich nicht ein, sondern sie erweitern sich. So stellt der Einsatz solaraktiver Technologien sicherlich eine große Herausforderung dar, jedoch bietet er auch die Chance, neue Gestaltungselemente einzusetzen.
DBZ: Für die Akzeptanz sind auch die Baukosten relevant. Wie sieht es mit den Baukosten von Aktivhäusern aus?
M. Hegger: Der Aktivhaus-Gedanke ist entstanden, um einen Schritt über den Passivhaus-Standard hinaus zu tun, gleichzeitig seine Beschränkungen auszulösen und das Feld der architektonischen Möglichkeiten zu erweitern. Das Aktivhaus ist ein Bilanzhaus. Energieeinsparungen und Energiegewinne werden verrechnet. Auf diese Weise kann man bei vielen Bauaufgaben nicht nur eine bessere Gesamtbilanz erreichen als bei rein passiven Strategien, vielfach sogar den neuen Effi-zienzhaus-Plus-Standard. Man kann Kosten optimieren und die deutlich preiswerter gewordenen aktiven Maßnahmen verrechnen mit Einsparungen bei überzogenen passiven Maßnahmen, die über die Gewährleistung von Behaglichkeit im Gebäudeinnern weit hinausgehen, überstarke Dämmpakete erzeugen und viel Fläche verbrauchen, Tageslichtnutzung und das Erscheinungsbild beeinträchtigen können. Zweifellos ist die Erstinvestition in ein Passivhaus wie in ein Aktivhaus meist etwas höher als bei einem EnEV-Haus. Diese Mehrkosten werden aber durch geringere Betriebskosten bald aus-geglichen, da durch energieeinsparende und energieerzeugende Maßnahmen die Kosten im Betrieb deutlich sinken. Hier ist der Blick über die reinen Baukosten hinaus gefragt. Letzten Endes gilt es immer, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu betrachten und dann auch die Betrachtung nicht nur auf die Kosten zu beschränken, sondern auch die Emissionen und die damit verbundenen Umweltwirkungen zu berücksichtigen.
DBZ: Die Herausforderung richtet sich zunächst an Architekten und Planer, die die architektonischen und technischen Grundlagen dafür schaffen. Andererseits stellt das Leben in einer solaren, energieaktiven Stadt viele unserer gewohnten Verhaltensmuster in Frage. Hier sind in erster Linie neue Nutzer gefragt, Pioniere des neuen Wohnens, wenn Sie so wollen. Welche Rahmenbedingungen brauchen wir, damit solares Bauen bzw. das Bauen von energieaktiven Häusern salonfähig und damit alltäglich werden kann?
M. Hegger: Die Meinungsführer und die frühen Anwender entdecken gerade das Potential des Aktivhauses. Für eine breitere Anwendung benötigen wir einerseits erweiterte Anreizsysteme, andererseits Aus- und Weiterbildung. Gelingt es uns, zusätzlich die Faszination des Bauens mit aktiven Systemen weiter zu steigern, ist der Schritt zu einer alltäglichen Anwendung nicht mehr weit. Durch weiterführende Entwicklungen, wie Speichermöglichkeiten und smart grids, wird es zudem zukünftig möglich, Gebäude und ihre Nutzer ohne Komfortverlust mit regenerativ erzeugter Energie zu versorgen. Durch den Einbau von Nutzerinterfaces und die Automatisierung von Geräten erhöht sich der Komfort, der spielerische Umgang mit solchen Systemen kann die Begeisterung steigern. Vieles allerdings geschieht unbemerkt von den Nutzern im Hintergrund.
DBZ: Mit ihren Studenten haben Sie zweimal erfolgreich an dem internationalen Wettbewerb Solar Decathlon teilgenommen. Jetzt planen Sie in Frankfurt bereits zwei Mehrfamilienhäuser im EnergiePlus-Standard, bei denen Sie mit Wohnungsunternehmen zusammenarbeiten. Was können wir in Zukunft von Ihnen erwarten?
M. Hegger: Wir arbeiten daran, die aus solch kleinen experimentellen Projekten gewonnenen Erkenntnisse auf andere Gebäudearten und die Gebäudesanierung zu übertragen. Zunehmend stellt auch die Übertragung der Erkenntnisse in den urbanen Kontext ein großes
Arbeitsfeld dar, das zudem viele Synergien freisetzt, die sich beim Einzelgebäude nicht erschließen lassen. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung von Plusenergiequartieren und die Erforschung der Vernetzungspotentiale von Bestandsgebäuden, Neubauten und Freiflächen. Erfreulich finde ich auch, dass diese Entwicklung an Breite zunimmt und wir nicht mehr nur zu den wenigen Aktiven gehören. Immer mehr Architekten und Ingenieure bewegen sich in dieser Thematik, bringen sie mit ihren Bauten und Entwicklungen voran.