Von Blitzen und RevolutionHauptverwaltung der Dinahosting, Santiago de Compostela/E
Im galizischen Santiago de Compostela revoltiert eine junge Firma marketingwirksam gegen Langeweile, Hie- rarchie und die konventionelle Art des Geschäftemachens, die Architekten von O Antidoto helfen ihr dabei.
Orangefarbene Lichtlinien schießen wie Blitze an die Raumdecke und bilden dünne Lichtflorette. Sie überkreuzen sich, tauchen den Raum in ein tiefes Orange und lassen Gesichter fiebrig glühen. Eine Diskothek, wird man vermuten, eine Bar oder eine Lounge. Doch nichts dergleichen. Eine horizontal an der Wand verlaufende Lichtnut, Ursprung der Lichtblitze, beleuchtet den fensterlosen Kellerraum einer IT-Firma in Santiago de Compostela. Dort trifft sich ein Team aus Programmierern, Webdesignern und IT-Managern, um eine weltweite Eroberung des Internets auszuhecken, einer revolutionären Zelle gleich. Dinahosting, so der Name der Firma, begrüßt Passanten ein Geschoss darüber mit einem Plakat an der zur Straße verglasten Bürofassade: Da recken plakativ gemalte, muskulöse Männer ein rotes Schild gen Himmel, auf diesem der aufgehende Logostern von Dinahosting, darüber das Wort „Re-evolución“. Das Plakat zur Einweihungsfeier der neuen Büroräume offenbart das Bild, das Dinahosting von sich selbst zeichnet: jung, unangepasst, innovativ und basissolidarisch. So wirbt Dinahosting auf seiner Webseite nicht nur für seine Webdienstleistungen, sondern auch für den „dinahosting solidario“ und den „club dinahosting – otra forma de hacer negocios“ („eine andere Form des Geschäftemachens“). Im firmeneigenen Blog mit dem Motto „proud to be a dinaworker“ geben Mitarbeiter Kino- und Ausgehtipps.
Mit diesem engagierten, mitarbeiter- und kundenfreundlichen Firmenbild konnte Dinahosting als Webhostinganbieter seit 2002 fast 28 000 Kunden und im letzten Jahr rund 3,2 Mio. € für sich einnehmen. Die Firma war 2007 ihrem alten Sitz entwachsen und suchte mehr Raum für eine steigende Zahl von Mitarbeitern. Sie fand ihn in einer alten Sporthalle nordwestlich der von Pilgern, Studenten und Restauratoren bevölkerten Altstadt Santiago de Compostela. Über Mund-zu-Mund-Propaganda erfuhren die Geschäftsführer bei Dinahosting von den jungen Architekten Javier Quinteiro und Antonia Maio, die zusammen das Architektenteam O Antidoto formen. Ohne selbst klare Ideen für den Umbau zu haben, waren sie überzeugt, dass die Architekten das zur Firma passende Bürodesign fänden und vertrauten ihnen ein Budget von 350 000 € für den Umbau an. „Die Auftraggeber hatten keine spezielle Vorstellung, nur den Wunsch, dass wir kein gewöhnliches Büro entwerfen und dass wir uns an die notwendigen Auflagen halten, darüber hinaus legten sie Design, Farbe und Konzept in unsere Hände“, erzählt Javier Quinteiro.
In einer der Ausfallstraßen von Santiago leuchten in der Firmenfarbe Orange die Verkleidung und das Vordach eines Schaufensters zwischen benachbarten Garageneinfahrten und Kfz-Werkstätten. Die große Fensterfront bietet Einblick in die obere, erdgeschossige Ebene der rund 860 m2 großen Bürofläche. Der Boden aus hellgrauen Betonfertigteilen ist unverkleidet, deutlich erkennbar bleiben die Stoßfugen. Die Betonwände strahlen in weißem Wandanstrich. Drei Transportcontainer, wie zufällig abgestellt, zonieren den Raum in verschiedene Funktionsbereiche, die im hinteren Teil des Raumes lediglich über eine große Glasfläche abgetrennt werden, ansonsten aber nahtlos ineinander übergehen. Die Arbeitstische stehen wie Werkbänke hintereinander gereiht auf metallenen Füßen und bieten jeweils Platz für zwei bis drei Arbeitsplätze. Vom Eingang aus blickt man den jungen Gesichtern der Mitarbeiter und den verkabelten Rückseiten ihrer Bildschirme und Rechner entgegen. Unverkleidete Leitungen zeigen sich an der Wand, einfache Neonröhren hängen schräg von der Decke. Die Farbigkeit ist auf Grau, Weiß, Schwarz und das Corporate-Orange der Firma reduziert. Es entsteht ein Bild von Improvisation und Pioniergeist, ein hierarchieloser und transparenter Raum, der einzig dem Zweck dienen soll, den kreativen Mitarbeitern die notwendige Arbeitsinfra-struktur zu bieten.
Logische Raumabfolge
Dennoch folgt das Raumgefüge einer klaren Logik. Ein amorph geformtes Empfangsmöbel aus weiß und orange gestrichenen Pladurplatten steht schräg zur Glasfassade, formt so die Kulisse für den eintreffenden Besucher wie eine Theaterbühne mit den Arbeitsplätzen der Angestellten im Hintergrund. Mittig im Raum trennt ein schwarzer Container, der Arbeitsplatz für die Verwaltung, den eingangs direkt sichtbaren Bereich mit den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter von den hinteren, organisatorischen Raumfunktionen. Dort verbergen sich in einem weiteren schwarzen Container die sanitären Anlagen des Erdgeschosses. Der dritte Container, ebenfalls im hinteren Bereich des Raumes, beherbergt die Arbeitsplätze der Geschäftsleitung, die sich, ebenso wie die Mitarbeiter, eine gemeinsame Arbeitsbank im Container teilen. Einziger Luxus ist das grelle Orange, in dem der Container aus der hinteren Raumecke leuchtet und mit dem dieser sich von den anderen Containern abhebt.
Dass bei aller Nüchternheit die auf der Webseite proklamierte Gemeinschaft im Mittelpunkt der Firma steht, mag der Besucher glauben, wenn er das Erdgeschoss wieder verlässt, vor das Gebäude tritt, um direkt neben dem Eingang in ein Untergeschoss hinabzusteigen.
Dort findet sich ein rund 300 m2 großer, spärlich möblierter Kellerraum, von großen Lichtrechtecken in der Deckenverkleidung tageslichthell erleuchtet. Im Zentrum stehen ein Tischkicker und eine
Kaffeetheke, die bei Bedarf zur Bar umfunktioniert wird und deren Außenfläche mit Tafelfarbe bestrichen wurde, auf die nun kleine Botschaften in Kreide gekritzelt sind. An der Wand lehnen, den Raum im Kreis erfassend, rund vierzig schwarz-weiß Portraits der Mitarbeiter, einer neben dem anderen. Es ist ihr Raum, so suggeriert die Fotogalerie, ihre Ideen sind das Potential einer Firma wie Dinahosting. Und in diesem Kreis kommunizieren sie informell miteinander und mit den Kunden. So erklärt sich auch der separate Eingang zu den Souterrainflächen durch ihre Nutzung als Party-, Konferenz- und Ausstellungsflächen für die Dinahosting-Gemeinde in einer atmosphärischen Mischung zwischen Jugendzentrum und Galerie.
Ratternde Metallschiebetüren erschließen zwei angrenzende Räume, einen Konferenzraum und einen weiteren Veranstaltungsraum mit jener Lichtnut, die den Anfang machte. „Die Idee des Lichtstreifens orangefarbener LEDs entsprang meiner Bewunderung für die
Arbeiten von Olafur Eliasson. Seine Art, mit dem Licht zu arbeiten, das erschien mir als eine einfache und zugleich wirkungsvolle Orientierungshilfe für den Blick der Zuhörer zum Referenten“, so erklärt Javier Quinteiro. Einfach, doch wirkungsvoll, so lässt Dinahosting Kunden und Angestellte miteinander in die orangefarbene Dinahostingwelt eintauchen, auf der Suche nach einer anderen Art des Geschäftemachens. Marketing oder wahre Revolution, allem voran funktioniert es; die Eroberung Spaniens schreitet voran.
Rosa Grewe, Darmstadt
Baudaten
Compostela, Galizien, Spanien
Fachplaner
Maßnahmen