Von Grund auf grün
Marco Polo Tower in Hamburg

Green building wird meist mit Hightech Büro-Architektur und komplizierter, verborgener Gebäudetechnik verbunden. Man denkt eher an großflächige, kühle und etwas abweisende Glasfassaden. Mit anregenden Raumskulpturen wird Green building nicht unbedingt gleichgesetzt. Der „Marco Polo Tower“ von Behnisch Architekten ist Wohnturm und Rückzugsort.

Bis zum Jahr 2025 wird die Hafen City, in der das Gebäude liegt, Ham­burgs Innenstadt um 40 Prozent vergrößern. Zwischen der historischen Speicherstadt und der Elbe entsteht ein neues Stadtquartier mit Einzelhandel, Dienstleistungen, mit Kultur und Bildung. Direkt neben dem Unilever-Haus, das ebenfalls von Behnisch Architekten konzipiert wurde, steht der Marco Polo Tower, in allerbester Lage. Beide Bauten beziehen sich in ihrer Anordnung aufeinander. Mit den vorgelagerten Terrassen öffnen sie sich zum Stadtraum. Die Außenanlagen gehen ineinander über. Nicht weit entfernt befinden sich die Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron und das von Rem Koolhaas‘ Büro geplante Science-Center.

Entwurf

Der 55 m hohe Marco Polo Tower umfasst 17 Geschosse, die in sich leicht verdreht sind, mit 58 Wohneinheiten. Alle Wohnungen werden von großen Balkonen und Terrassen umlaufen. Die Wohnungsgrößen liegen zwischen 60 und 340 m². Benachbarte Einheiten können zusammengelegt werden. Hierdurch entsteht eine große Flexibilität im Ausbau. Im Innern gleicht keine Etage und keine Wohnung der anderen. Die europäische Immobilienwirtschaft ist sich einig, dass das Gesamtpaket des Projektes stimmt und zeichnete es mit dem MIPIM Award 2010 für Wohnimmobilien aus. Das Projekt steht für „hochwertiges Wohnen“, mit der Besonderheit, dass der Bau als „Rohling“ geplant wurde. Im Innern sind statische Wände und Einbauten auf ein Minimum reduziert. Das Gebäude wird über einen Treppenhaus- und Aufzugskern erschlossen, der maximale Flexibilität erlaubt. Die Bewohner können Innenarchitekten hinzuzuziehen und somit eigene Akzente zu setzen. Als Innenraumdesigner wurde auch das Büro Graft Architekten aus Berlin beauftragt, das sich mit spannungsvollen Innenraumlandschaften einen Namen gemacht haben. Das Konzept scheint ein Erfolg zu sein. Fast alle Wohnungen sind verkauft. Familien mit Kindern gehören zwar nicht zu den neuen Eigentümern, prinzipiell hat der Wohnturm aber alle Anlagen, ein Platz für sehr verschiedene Lebenssituationen, Altersstufen und Tätigkeiten zu werden.

Was macht den Marco Polo Tower „grüner“ als andere Gebäude und was verstehen die Architekten unter „Green building“? „Nachhaltige Architektur ist nicht nur das kostenintensive Aufpfropfen von Hightech - von Photovoltaik, von Vakuumröhren, von Wärmerückgewinnung oder von LED Technik. Green building ist ganzheitliche Architektur. Im Mittelpunkt des Marco Polo Towers steht auch der Mensch.“, so Martin Haas, einer der drei Partner aus dem Büro Behnisch Architekten.

Jeder hat die Erfahrung gemacht, dass Computer ihre Leistung jedes Jahr verdoppeln, dass Speicherkapazitäten rasant zunehmen, dass auch Photovoltaikanlagen ihre Leistung rasch verdoppeln, kleiner werden und billiger. Mit der Hightech-Energieeffizienz-Technik ist dies nicht anders. Bei der Vermarktung und Darstellung grüner Maß­nahmen sind sie wichtig, auch weil ihr Leistung messbar und ablesbar ist. Sie ersetzen aber nicht die eigentliche Leistung des Architekten, der sich vor dem Bau mit der Lage, Ausrichtung, dem Mikroklima, Wind und Wetter auseinander zu setzen hat. Und - ganz wesentlich - der Architekt sagt das Verhalten des Nutzers voraus.


Klimakonzept

Eine der Herausforderungen bei der Konzeption eines nachhaltigen Wohnturms dieser Art, so die Planer von Behnisch Architekten, war die zu starke Aufheizung im Sommer. Die Kühlung des Gebäudes würde zu viel Energie verbrauchen. Sollten die Räume daher noch stärker geschlossen werden und dickere Wände eingezogen werden? Sollte Nachhaltigkeit dadurch erreicht werden, dass die Bewohner in abgeschlossenen „Wohnburgen“ mit dicken Wänden und kleinen Fenstern leben? Die Lösung war die natürliche Verschattung der Wohnungen durch große vorgelagerte Terrassen und Balkone. Hierdurch kann auf einen konventionellen außenliegenden Sonnenschutz verzichtet werden. Die Architekten schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe, denn auch die Bewohner wollen großzügige, helle Räume, spektakuläre Aussichten und große Außenbereiche.

Die natürliche Verschattung der Räume reicht jedoch nicht aus. Im Sommer wäre eine zusätzliche Kühlung der Räume notwendig, verbunden mit hohem Energieverbrauch. Auch der Marco Polo Tower greift daher auf die derzeit verfügbare „Energieeffizienz-Gebäudetech­nik“ zurück. Deren Planung und Errichtung ist Sache von spezialisierten Fachfirmen. So wird die zusätzliche Kühlung über eine solarbetrie­bene Absorptionskältemaschine erreicht. Das Prinzip der Kältemaschine ist schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts bekannt. Traditionell wurde es in der Gefriertrocknung und in der chemischen Industrie eingesetzt. Nun findet es auch in der Gebäudetechnik Gebrauch. Hinzu kommen Vakuumkollektoren, die auf dem Dach solare Gewinne mittels eines Wärmetauschers in Kälte wandeln.

Die Wärmeversorgung des Turmes orientiert sich eben­falls an den Prinzipien nachhaltiger Architektur. Der Marco-Polo-Tower wird mit Fernwärme versorgt. Der Anschluss erfolgt indirekt über einen Plattenwärmetauscher. Die Warmwasserbereitung wird über Solarkollektoren auf dem Dach mit Heizwasser versorgt. Sobald die erzeugte Leistung im Winter oder in der Übergangszeit nicht ausreicht, wird über den direkten Anschluss von der Fernwärmetrasse auf die erforderliche Vorlauftemperatur über Regelventile nachgespeist.


Die Be- und Entlüftung

Durch die Lage des Turms ­direkt im Hafengebiet, in der Nähe der Anlegestellen der großen Kreuzfahrtschiffe, mussten die gewaltigen Emissionswerte der Dieselmotoren berücksichtigt werden. Der Bebauungsplan der Hafen City gibt vor, dass in den zum Hafen orientierten Schlafräumen ein Innenraumpegel bei gekippten Fenstern von 30 dB(A) während der Nachtzeit nicht überschritten wird. In der Planung wurde daher eine speziell gedämmte Lüftungsklappe entwickelt, mit der die geforderten Werte mittels Spaltlüftung auch ohne vorgebaute Wintergärten oder Loggien vor Fensteröffnungen erreicht werden können. Hierdurch wird eine natürliche Lüftung trotz der hohen Windgeschwindigkeiten, die in der Hafen City herrschen, möglich. In der Fassade sind diese Klappen mit emaillierten Glasflächen verkleidet, die auch vor den übrigen geschlossenen Fassadenflächen angeordnet sind. Die Einheitlichkeit der Fassade bleibt gewahrt.
Dr. Holger Rescher, Troisdorf-Bergheim

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