Warten kann schön sein
Studierenden Service Center der TU Braunschweig, Braunschweig

Das SSC in Braunschweig ist beides, Architektur und Design. Wie beide zusammengehen können, das kann man sich ansehen, in Braunschweig oder schon auf diesen Seiten.

Am Anfang jedes Studiums steht die Beratung. Sollte sie zumindest, schließlich gehen die meisten nur einmal im Leben an eine Hochschule. Dass dennoch nicht wenige Erstsemester, Quereinsteiger und Schwerpunktwechsler diesen Gang nicht unternehmen, liegt nicht selten daran, dass die Studienberatung abseits oder ihre Räume eher dem über die Jahrzehnte transformierten Klischee deutscher Behördeninteriors gleichen. Sie sind verbaut, verbastelt, abweisend nüchternd. Öffnungszeiten? Wartezeiten? Service? „Verwaltetes Leben“ scheint über vielen Beratungsstellen deutscher Hochschulen geschrieben zu stehen, selbst die Deutsche Bahn ist hier schon weiter. Ohne attraktiven wie funktionierenden Service keine Kunden. Und Kunden braucht heute jede Hochschule, möchte sie nicht dereinst fusioniert und/oder gar geschlossen werden.

Also Imagepflege mit Hilfe neuer Architektur. In Braunschweig gab es einen am Fachbereich Architektur intern ausgelobten Wettbewerb, an welchem sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter beteiligen konnten. Von den rund 50 taten das zehn, am Ende erhielt DODK den Zuschlag für einen Entwurf, der sich an den Schwierigkeiten der Umstände gerieben und damit die nötige Reife erhalten hat.


Der Ort

Natürlich wollte die TU keinen teueren Neubau, wenngleich man den Entwurf von DODK als Neubau interpretieren könnte, ein tageslicht- heller Fremdkörper, eingefügt in den dämmrigen Verbindungstrakt zwischen Naturhistorischem Museum und dem Haus der Wissenschaft. Der im Stil des norddeutschen Backsteinexpressionismus errichtete Gebäudekomplex steht unter Denkmalschutz und ist Bestandteil der zwischen 1935 und 1937 von Emil Herzig geplanten „Kulturwissenschaftlichen Abteilung“ der TU Braunschweig.

Ein historisch wie stilistisch heikler Ort, der die Staatsarchitektur der NS-Zeit kaum gebrochen widerspiegelt und an welchen nicht lange nach Fackelhaltern, Inschriften, schmiedeeisernen
Kreuzen etc. gesucht werden muss. Doch wie überall sonst auch wurde die belastete Baugeschichte über die Jahrzehnte gleichsam sublimiert im alltäglichen Gebrauch: Es wurden Schränke ab- und vorgestellt, Decken abgehängt, Farbe aufgebracht, Ein- und ganze, die Rückfront schließende Anbauten vorgenommen. Und die Beleuchtung wurde – freundlich gesagt – der Vergangenheit gegen-
über milde eingestellt.

Gestaltung

Grundidee des Wettbewerbentwurfs war die Freilegung und teils Ausräumung der inneren Strukturen des Zwischentrakts sowie seine Einbindung in die Kopfbauten. Die Zwischendecke sollte zur Hoffassade geöffnet werden, ein Vorhaben, das sich nach genaueren Untersuchungen der konstruktiven Gegebenheiten als undurchführbar erwies. Nun musste eine komplett neue Ebene eingefügt werden, die, weil als Galerie konzipiert, zu komplizierten und auch teueren Lösungen im Gesamtbau führte. Weiterer Bestandteil des Entwurfts war die Behandlung der Baumaßnahme im Bestand als etwas Unverbundenes. Innen wurde jede Substanzspur versteckt, es gibt keinerlei Hinweise auf die Gebäudegeschichte. Doch die Verkleidung ist als solche sichtbar, die durchlaufende Möblierung der Westseite, die bis in die Fensterlaibungen hineingreift, kippt leicht nach hinten und homogenisiert damit alle Wandaufbauten inklusive der Heizkörper unten. Die mit der Galerieplattform vergossene, in die Höhe kurvenden Brüstung, kippt ebenfalls. Irritation auch beim Verlauf der Galeriekante: Um exakt 7° aus dem Raster gedreht, zieht sich so der Luftraum zur offenen Treppe hinten merklich zu. Die mit gleicher Gradzahl definierten Schalkanten, die in der Decke bündig eingelassenen Langfeldleuchten, alles das dynamisiert den Raum, ohne hier irgend etwas aufgesetzt oder aufgeregt erscheinen zu lassen.

Boden / Möbel

Und nicht zuletzt der farbige Kautschuk-Boden, dessen Muster aus dem auf ihm stehenden Möbel abgeleitet wurde, ein durch die Raumlänge kurvendes Möbel in doppelter Ausführung. Der Boden
ist günstig, pflegeleicht und eben: farbig. Wenn Grau eine Farbe ist. Doch im Kontrast zu den apfelgiftgrünen Intarsien, die auf informelle Weise auf die Besucherplätze verweisen, bekommt sogar
dieser eher triste Ton auch im Zusammenspiel mit dem hellen Sichtbeton (CEM III) einen edlen Anstrich. Die sich durch die fünf Stützen schlängelnden Tresen spielen nur scheinbar völlig frei mit dem Raum, tatsächlich sind sie geometrisch auf das Raumraster ausgerichtet. Basiert auf einem 120° Kreissegment-Modul wird eine schmale und eine tiefe Tresenseite bestimmt. Die so fixierten Module lassen sich wechselweise oder additiv kombinieren. Aus Gestaltersicht sollten die beiden Möbel so geschlossen und homogen wie möglich wirken, was die dem MDF-Korpus aufliegenden, etwa 10 mm starken, thermoplastisch verformten Corean-Platten möglich machten. Die Arbeitsschutzanforderung, den Arbeitsplatz auch in der Höhe variable zu halten, stört den skulpturalen Eindruck ein wenig, doch man muss schon sehr genau hinsehen, die mobilen Tischflächen auszumachen.

Geht man schließlich die maßgefertigte Stahltreppe hinauf auf die Galerie, wartet hier eine die ganze Ebene lange Sitzbank, Teil der Betonbrüstung. Sitzfläche und Boden in der Wartezone vor den durch Glastüren geschlossenen Beratungsräumen sowie noch die Sichtachsen in die Räume hinein sind mit grünem Kautschuk belegt; die Restfläche in den Büros ist grau (die Möblierung desgleichen, man sieht es nur nicht).

Das SSC belegt anschaulich den Erfolg für das gleichberechtigte Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen. Der Hochschule möchte man an dieser Stelle empfehlen, die im Entwurf angelegten Übergänge von Alt zu Neu in nächster Zukunft doch noch mit DODK zu realisieren. Denn noch fehlt der Studienberatung, die ja auch Aushängeschild der Hochschule sein sollte, ein deutlicher Hinweis auf sich selbst. Das könnte ein nach außen strahlendes Café im jetzt finstren Foyer sein und/oder eine Art Teppich, der die Suchenden aus Straßenraum in den unscheinbar schönen Backsteinbau hineinzieht. Der Teppich muss nicht giftgrün sein, könnte aber. Be. K.

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