Was uns (noch) hindert, einfach zu bauen

DBZ Heftpartnerin Prof. Elisabeth Endres, München

Warum nicht einfach bauen? Diese Frage gewinnt im Kontext aktueller Herausforderungen klimaneutralen Bauens stetig an Bedeutung. Während die letzten drei Jahrzehnte geprägt waren vom Thema Energieeffizienz im Zuge schwindender fossiler Energieträger, werfen die stetig steigenden Anforderungen durch die Klimaschutzziele neue Fragestellungen für das Bauwesen auf. Das Ziel, einen klimaneutralen Gebäudebetrieb im Jahr 2050 zur erreichen, ist seitens der Politik gesetzt. Definitionen zu Klimaneutralität, Bilanzgrenzen, Lösungswegen, Werkzeugen und Strategien fehlen jedoch weitestgehend. Komplexe Fragestellungen und gleichzeitig Hilflosigkeit sowie eine große Nervosität sind gegenwärtig und deutlich spürbar, dies betrifft Wettbewerbsverfahren gleichermaßen wie Planungs- und Bauprozesse.

Technologisch sind die Möglichkeiten scheinbar unbegrenzt durch ein hohes Maß an Entwicklung in der Materialität der Hüllkonstruktionen als auch in der Haustechnik und Energieerzeugung. Resultierend nicht zuletzt aus dieser Unsicherheit und vielfältigen Anforderungen steigt die Komplexität des Planungs- und Bauprozesses. Eine deutliche Zunahme potenzieller Fehlerquellen in der Errichtung sowie im Betrieb geht damit einher. Zur Schaffung vermeintlicher Sicherheiten wächst die Anzahl von Normen und Richtlinien ins Unübersichtliche und wir stehen kurz davor, die Sinnfälligkeit des Bauens insgesamt in Frage zu stellen.

Darum ist die Bedeutung der Frage „Wie wenig ist genug?“ mit Bezug auf die Einfachheit in den Konstruktionen, den technischen Systemen und Komfortanforderungen der NutzerInnen bis hinein in die Frage der Versiegelung und Erschließung neuen­ Baulands eminent. Die Fakten, warum ein Handeln notwendig ist, liegen längst vor: 40 % des CO₂ Ausstoßes werden durch das Bauwesen verursacht. Die Baubranche verbucht den Verbrauch von 90 % nicht erneuerbarer, mineralischer Baustoffe und ist für über 50 % des Müllaufkommens verantwortlich. Diese Zahlen sowie die bereits vorhandenen, spürbaren Effekte auf die Umwelt zeigen, dass eine singuläre Optimierung der Energieeffizienz der Gebäude nicht zielführend ist.

In Diskussionen, Förderprogrammen und in der Gesetzgebung halten wir uns teils krampfhaft an der kWh/m²a-Größe fest; länger schon haben wir den Kampf um die letzte Kilowattstunde verloren. Deutlich wird dies insbesondere im Zuge einer ganzheitlichen Betrachtung und Evaluierung hinsichtlich Kreislaufwirtschaft, Robustheit gegenüber Nutzerverhalten, Vielfalt in der Konstruktion und Dauerhaftigkeit als essentieller Bestandteil der Baukultur.

Derart umfassend auf die Resultate und die Realität geschaut, stellt sich Ernüchterung ein. Erfolge beim Einsatz technischer Systeme zum Energiesparen bleiben nach Auswertung von Monitoringergebnissen aus. Wir ahnen das Nichterreichen der Klimaschutzziele, sehen stetig steigende Pro-Kopf-Flächenverbräuche, kritisieren explodierende Bodenpreise in den Ballungszentren, die zu einem massiven Abriss bestehender Strukturen führen. Das alles – und nicht zuletzt ständig steigende Komfortanforderungen – lässt sich mit einer Diskussion  von kWh/m²a (bezogen auf den Neubau) nicht abdecken. Der Moment des Loslassens von über Jahrzehnte hinweg unhinterfragt weitergeschriebenen Standards ist unabdingbar. Ebenso wie die Suche nach einer ehrlichen Antwort auf die Fragen „Wie wenig ist genug und gerade daher gut?“ und „Birgt der Suffizienzgedanke nicht eher ein Potential als einen Schrecken?“ Die Lösung – und das zeigen sehr gute Pilotprojekte immer wieder – liegt nicht in der Entwicklung von weiteren technischen Materialien, nicht im „Höher Schneller Weiter“. Es gilt, unsere Erkenntnisse ganzheitlich und disziplinenübergreifend anzuwenden. Ein Gebäude und ein Quartier sind nie nur Bauphysik oder -technik oder Energieversorgung – sie bilden immer ein ineinandergreifendes System. Diese Chance sollten wir nutzen, statt in jeder Disziplin aufzurüsten.

Und nicht zuletzt geht es um die Frage der Verantwortung. Der Planungs- und Bauprozess ist extrem bestimmt von Absicherung nach allen Seiten und dem Weiterreichen der Verantwortlichkeiten. Oft fehlt uns die nötige Entschiedenheit und der Mut, Standards neu zu definieren. Dies hindert uns bis heute daran, „einfach zu bauen“. Aber wir haben ja noch ein Morgen und ein bisschen Zeit danach. Anfangen ist der erste Schritt!

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