Wohnbebauung am Schlossberg, Dachau
Zeitgemäßes Wohnen in historischem Kontext unterzubringen ist nicht leicht. Bei der Bebauung eines Brauereigeländes in der Dachauer Altstadt gelang es deffner voitländer architekten und stadtplaner, kleinteilig und zugleich großzügig zu gestalten.
Es war ein denkbar schwieriger Bauplatz: In prominenter Nordhanglage zwischen Schloss und Altstadt, auf drei Seiten von öffentlichen Wegen umgeben, harrte die ehemalige Brauerei seit über zwei Jahrzehnten einer neuen Nutzung. Bereits 1998 waren Konrad Deffner und Dorothea Voitländer vom Eigentümer zu einem kooperativen Verfahren geladen worden, an dem seinerzeit auch Steidle+Partner und Allmann Sattler Wappner Architekten aus München teilnahmen.
Als ortsansässige Planer kamen deffner voitländer mit einem differenzierten Konzept zum Zuge, das die Größe des Komplexes nicht leugnete. Tatsächlich war das zu ersetzende Betriebsgebäude, in dem sich unter anderem die Flaschenabfüllung der Brauerei befand, ein mächtiger Baukörper. Da dieser auch nach Abbruch im kollektiven Gedächtnis präsent bleiben würde, kam ein „Kleinmachen“ nach Art einer „neuen Altstadt“ an dieser Stelle für die Architekten nicht in Frage, auch wenn die – teilweise noch gar nicht lang errichtete – Nachbarbebauung sehr kleinteilig strukturiert ist. „Diese Brüche werden als wesentliches, städtebauliches Merkmal des historischen Ensembles erkannt und kraftvoll und prägend interpretiert“, notieren sie.
Doch das Verfahren zog sich hin, war Anlass für „erbitterten Streit“, wie sich Konrad Deffner erinnert. Ein Erhalt von Sudhaus und Biergarten der Brauerei im gegenüberliegenden Park ermöglichte schließlich ab 2014 die Neubebauung des rund 1 400 m² großen Eckgrundstücks.
Torsituation und Skulptur
Mit dem denkmalgeschützten Sudhaus, das derzeit saniert und zu Wohnungen umgebaut wird, bildet die Neubebauung eine Art Tor zum Schlossberg. Darum bestanden die Architekten darauf, dass ihr Gebäude im Südwesten bis an die Grenze der rückwärtigen Hexengasse reicht. Sie sprechen von einer „gezielten Verengung des Straßenraums auf der Grundlage alter Baulinien“. Dem Hangverlauf folgend, steigert sich die Baumasse hier zu einer Art Doppelgiebel, der dem Sudhaus gegenübersteht.
Was am Giebel Ortgang, was Traufe ist, lasse sich am Baukörper indes gar nicht so klar bestimmen, meint Konrad Deffner – im Detail sind sie weitgehend gleich ausgebildet. Denn die Architekten bearbeiteten den Neubau eben nicht wie ein Ensemble aus Häusern, sondern eher wie eine große Skulptur: Am Modell knickten und falteten sie Blockrand und Dachlandschaft immer wieder neu, bis der Baukörper passte.
Dabei spielte der bauliche Kontext gleichwohl eine wichtige Rolle. Es galt der altstadttypische Ensembleschutz, der unter anderem Putzfassaden und eine rote Biberschwanzdeckung vorschreibt.
Da ein vorhabenbezogener Bebauungsplan aus taktischen Gründen ausschied – mögliche Einsprüche hätten das Verfahren weiter in die Länge gezogen – realisierte man den Neubau nach Para-graph 34 Baugesetzbuch. Art und Maß der Nutzung hatten sich also am Umfeld zu orientieren. Das hieß, die vorgeschriebenen Abstände bestimmten maßgeblich den Baukörper. So fügt sich die Skulptur geschmeidig in den rechtlich vorgegebenen „virtuellen Baukörper“.
Raster und Freiheit: die Fassaden
Auch die Fassaden entstanden im Spannungsfeld von Vorgaben und ihrer freien Interpretation: Immer wieder hätten sie der vorgegebenen Struktur im Modell neue Fassaden „übergezogen“, berichtet Dorothea Voitländer. Es war eine Gratwanderung zwischen gut nutzbaren Wohnungen und der skulpturalen Durchbildung des Baukörpers.
Heraus kam als Kompromiss eine Überlagerung zweier Ordnungen: In zentralen Feldern öffnen sich die Fassaden mit bodentiefen Fenstern, wie sie ein großzügiges, zeitgemäßes Wohnen heute fast schon erfordert. Um diese weit aufgerissenen Rasterfelder herum „tanzen“ im Putz kleinere Lochfenster, hinter denen ein Treppenhaus oder Nebenräume liegen können, zum Teil auch skurrile Notausstiege. Hier scheint der Maßstab traditioneller Bauernhäusern der Region mit ihren unregelmäßigen, sparsamen Öffnungen durch – wie Zitate sind
darum manche der Fenster mit weißen Putzfaschen gefasst. Dieses spielerische, vielleicht auch etwas modische Element nimmt dem Neubau jedenfalls die moderne Strenge.
Die Grundrisse der 28 Wohnungen wurden der Skulptur gut eingepasst. Es handelt sich verständlicherweise um Spännertypen, deren vier zumeist innenliegende Treppenhäuser rings um die geknickte Front verteilt liegen.
Die Zugänge kerbten die Architekten tief in den Baukörper ein, was neben Schutz beim Eintreten eine Plastizität ergibt, welche die Architekten gern noch durch eine Überhöhung und einen Materialwechsel gesteigert hätten. Ihnen schwebte vor, die Ausschnitte in Anspielung auf die Kessel der Brauerei mit Kupferblech auszukleiden – sicher ein hübsches Kern-und-Schale-Thema. Doch aus Kostengründen mussten sie sich mit einem dezenten Wechsel in Farbe und Putzstruktur (von Grau und Rau zu Weiß und Glatt) begnügen.
Keine Wohnung gleicht der anderen
Die Wohnungen sind sehr individuell geschnitten und in der Größe breit gefächert, von einseitig orientierten Kleinwohnungen mit schrägen Wänden und originellen Loggia-Lösungen über raffinierte Maisonetten bis zu einer 150 m² großen Wohnung mit versteckter Dachterrasse. Aufgrund der Hanglage gibt es kein Regelgeschoss, dafür drei Eingangsebenen und vier Dachgeschosse.
Das Gebäude wurde konventionell in Stahlbeton und Ziegel errichtet. Die Baulogistik war aufgrund der Enge der Situation kompliziert; so stand der Baukran mitten in der Tiefgarage. Ein mineralisches Wärmedämmverbundsystem umhüllt den Rohbau. Auf eine Lüftungsanlage wurde verzichtet. Im Keller betreiben die Stadtwerke ein Gas-Blockheizkraftwerk. Die obligatorische Tiefgarage ließ sich nahezu ebenerdig von der Talseite erschließen, eine Zeile Abstellräume in den Hang integrieren.
Der Standard der Wohnungen ist mit Aufzügen, Holzfenstern und Eichenparkett hoch, die Baukosten bewegten sich im kommerziellen Mittelfeld. Sämtlich frei finanziert, waren die Mietwohnungen gleichwohl rasch vergeben.
Die Struktur des Baukörpers scheint bislang stark genug, um die individuellen Zutaten der Bewohnerschaft auszuhalten. Etwas schade ist allenfalls auf der Hofseite, was dem schlichten umlaufenden Stabgeländer so alles zu „Schutz“ und „Schmuck“ appliziert wurde. Doch zum Straßenraum wirkt das Gebäude urban und kraftvoll, es drängt sich aber nicht in den Vordergrund.
Der trotz der Prominenz des Bauplatzes recht ruhigen Lage am Rand der Altstadt entspricht die erfreuliche Offenheit des Straßenprospekts. So laden die im Eckbereich großzügig eingekerbten Loggien geradezu zu öffentlichen Darbietungen ein. Anders als in der Großstadt hat man hier offenbar keine Scheu, sich zu zeigen. Auch die Eingangsnischen gehen nahtlos in den Straßenraum über und bieten bei Bedarf auch Passanten Schutz. Der Gartenhof hinterm Haus ist nicht unterteilt und offen einsehbar. Das Haus zeigt hier zum Hang aber klar seine Rückseite von eher suburbanem Charakter. Auch das Dach, das fast nur von hinten sichtbar ist, bewahrt durch Dachfenster, Randdetails und Verschnitte nicht überall die Ruhe, die der Altstadt angemessen wäre.
Dennoch schafft diese auf dem boomenden Wohnungsmarkt so notwendige Nachverdichtung den Spagat: Maßstäblich und zugleich großzügig, formal angemessen und zugleich wirtschaftlich tragfähig, haben die Architekten am lange umstrittenen Schlossberg gewissermaßen doch noch „die Kurve gekriegt“. Christoph Gunßer, Bartenstein
Baudaten
Standort: Dachau
Typologie: Geschosswohnungsbau
Bauherr: Sedlmayr Grund und Immobilien KGaA
Nutzer: private Mieter
Architekten: deffner voitländer architekten stadtplaner, Dachau, www.dv-arc.de
Mitarbeiter (Team): Kersten Waltz, Steffen Bender, Tim Weyel, Elisabeth Kellermeier, Stefan Bohnengel
Bauleitung: dv architekten
Bauzeit: Januar 2015 – Juli 2016
Fachplaner
Projektdaten
Grundflächenzahl: 0,96
Geschossflächenzahl: 1,66
Nutzfläche gesamt: 3 568 m²
Wohnfläche: 2 070 m²
Brutto-Grundfläche: 4 671 m²
Brutto-Rauminhalt: 15 007 m³
Baukosten
KG 300 (brutto/netto): 4,4 Mio. €/ 3,7 Mio. €
KG 400 (brutto/netto): 812 600 €/ 682 900 €
KG 500 (brutto/netto): 128 000 €/ 107 500 €
KG 600 (brutto/netto): 107 400 €/ 90 280 €
KG 700 (brutto/netto): 1,1 Mio. €/ 919 900 €
Gesamt brutto: 7,57 Mio. €
Gesamt netto: 6,36 Mio. €
Hauptnutzfläche: 2123 €/m²
Brutto-Rauminhalt: 504 €/m³
Energiebedarf
Endenergiebedarf: 56,7 kWh/m²a nach EnEV 2013
Jahresheizwärmebedarf: 38,84 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2013
Energiekonzept
Dach: Gipskartonplatten 2,5 cm, Mineralwolle 5 cm, Sparrenzwischendämmung Mineralwolle 22 cm, Dachziegel
Außenwand: Innenanstrich Dispersionswandfarbe, Kalkgipsleichtputz als Glattputz 1 – 1,5 cm, Ziegelmauerwerk Ziegel HLZ 1,4/12 IIa / Stahlbeton 24 cm, EPS 035 Fassadendämmplatten 16 cm, WDVS Armierungsputz, ca. 8 mm, Mineralputz als Scheibenputz mit kratzähnlicher Struktur, Korngröße: 3 mm, Außenanstrich
Fenster: Holzfenster, dreifach verglast
Boden: Stahlbetondecke 22 cm, Trittschalldämmung 6 cm, Anhydrit Heizestrich 6 cm, Bodenbelag: Eiche Parkett, vollflächig verklebt
Gebäudehülle
U-Wert Bodenplatte = 0,23 W/(m²K) U-Wert Dach = 0,19 W/(m²K) Uw-Wert Fenster = 0,9 W/(m²K)
Ug-Wert Verglasung = 0,6 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 0,6 W/(m²K)
Haustechnik
Energieträger: Erdgas, Kraft-Wärme-Kopplung
Hersteller
Dachdeckung: Creaton AG, www.creaton.de
WDVS: Keimfarben GmbH, www.keim.de
Sonnenschutz:
WAREMA Renkhoff SE, www.warema.de
Türen/Tore: Hörmann KG, www.hoermann.de
Sanitär: Ideal Standard International S.A.,
www.idealstandard.de
Beleuchtung: BEGA Gantenbrink Leuchten KG,
www.bega.de; Fluolite Licht+Leuchten GmbH,
www.fluolite.de
Trockenbau: Siniat GmbH, www.siniat.de