Zaha Hadid (1950–2016)

Es war dann doch ein kleiner Schock, als die Meldung vom Tod Zaha Hadids durch unglaublich viele Medienkanäle drang. Selbst diejenigen, die sich nicht unbedingt als Fan sahen und dem Star-Rummel abseits stehen, der seit vielen Jahren um die wenigen international bedeutenden Architekten medial aufgebauscht und medial goutiert wurde, selbst den Skeptikern und kühlen Beobachtern versetzte die Nachricht einen kleinen Stich. Die traurig stimmende Gewissheit, dass nun jemand nicht mehr ist, überkommt einen doch wohl nur bei Menschen, die diese Leerstelle, die jetzt ist, vorher einmal markant und nachhaltig präsent besetzt haben.

Tatsächlich gibt es wohl kaum eine Architektin und – mit Blick auf die von Männern dominierte Architekturwelt – nicht einmal einen Architekten, dessen Name sich derart ins kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Nicht unbedingt und bedingungslos positiv, durchaus mit negativen oder doch zumindest widersprüchlichen Konnotationen. Denn „Dame Zaha Hadid“, wie überall in den englischsprachigen Medien dann doch sehr treffend geschrieben wird, Dame Hadid konnte sehr bestimmend sein. Nicht bloß als Chefin einer Architekturbüromannschaft von über 400 ArchitektInnen weltweit, auch gegenüber Kritikern. Die sie auch schon mal mit Klage bedrohte, worauf sich jüngst ein Kollege zur Entschuldigung und dem Löschen des beanstandeten Beitrags bewogen fühlte. Auch ihre pragmatische Haltung autoritären Regimen gegenüber – die sie mit anderen Star-Büros dieser Welt teilt – wurde nicht selten zum Anlass genommen, einmal genauer auf Baustelle und Beauftragung zu schauen.

Doch wer wird sich der hochfahrenden, teils schroffen Art der „Diva for the Digital Age“ noch erinnern, wenn die Erinnerung sich vor allem an den zahllosen Bauten festhält, die Zaha Hadid und ihr Team uns hinterlassen haben? Als Nicolai Ouroussoff 2006 in der New York Times eine Hadid-Retrospektive im New Yorker Guggenheim besprach und die Architektin mit Recht als Diva im digitalen Zeitalter bezeichnete, zeigte das Museum vor allem Modelle und Gemälde. Und im Widerspruch zum menetekelnden „Digital Age“ in der Headline hebt Ouroussoff insbesondere das Handwerkliche, die Präzision der mit Hand gezeichneten und schließlich mit Farben ausgemalten fiktiven Stadtstrukturen hervor, die Zaha Hadid in ihren Anfangsjahren zu Hunderten angefertigt hatte.

Dass wir dieses Machen, das sich damals schon gegenüber der aufkommenden Computerkunst auszeichnete, in ihren späteren Entwürfen nicht mehr wiederfinden, hat mit dem zweiten, für das Denken und Entwickeln von Architektur und Stadt wichtigen Aspekt bei Zaha Hadid zu tun: ihrer Infizierung durch den Suprematismus. Hier wirkte insbesondere dessen Bezug auf den italienischen Futurismus, in dessen Manifest Filippo Tommaso Marinetti laut hinausschrie, die Herrlichkeit der Welt sei jetzt um die Schönheit der Geschwindigkeit bereichert: „Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen  ... ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake“. Und die galt – und gilt noch – als Inbegriff von Schönheit.

Zaha Hadid fokussierte den Topos Geschwindigkeit auf Bewegung, auf das Fließen der Dinge. Ihre Architektur, insbesondere die der vergangenen Jahre, sollte Kräfteverläufe in dynamische Formen exhibieren, sollten innere Kraft- und Verkehrslinien auf die Haut des Gebäudes durchschlagen lassen. Das hatte nichts mit organischem Bauen und schon gar nichts mit anthroposophischem Denken zu tun. Hadid spricht eher als Objektdesignerin und weniger als Architektin, die sich möglicherweise von der Geschichte des Ortes zur Formfindung beflügelt fühlt.

Geboren 1950 in Bagdad, studierte die aus einer wohlhabenden, westlich orientierten Familie stammenden Architektin bei Rem Koolhaas und Peter Cook an der AA, London, um sich anschließend den OMA-Gründern Marion Vriesendorp, Elia und Zoe Zhengelis mit Rem Koolhaas anzuschließen. Das damals noch Projekt seiende Office of Metropolitan Architecture verließ sie bald und gründete Ende der 1970er-Jahre ihr eigenes Büro, das bis heute das Headquarter in London hat. Es sollte noch einige Jahre und viele gewonnene Design- und Ideenwettbewerbe dauern, bis sie in Deutschland, in Weil am Rhein, die Feuerwache auf dem Vitra-Gelände realisieren konnte. 1993 war das und es folgten bis heute rund 950 Projekte in 44 Ländern, darunter das phaeno in Wolfsburg (2005), das BMW Central Building in Leipzig (2005), das MAXXI: Museum of XXI Century Arts in Rom (2009), das Guangzhou Opera House (2010), die Evelyn Grace Academy in London (2010), das Glasgow Riverside Museum of Transport (2011), das London Aquatics Centre (2011), das Galaxy Soho in Peking (2012) oder die Projekte Astana EXPO – 2017 Future Energy (2017?) und das Al Wakrah Stadium in Qatar (2022?).

Am 31. März 2016 starb Zaha Hadid gerade einmal 65-jährig während eines Krankenhausaufenthalts in Miami, Florida. Damit endete auch die Entwicklungsgeschichte einer Architektin, Architekturprofessorin und Designerin mit britischem Pass, die als erste Frau 2004 den Pritzkerpreis erhielt, 2009 den japanischen Praemium Imperiale und, kurz vor ihrem Tod, die RIBA Gold Medal für ihr Lebenswerk.

Womit sie uns alle in diesem Lebenswerk noch überrascht hätte, ist ungewiss und ein Spekulieren darüber ist müßig. Dass sie es nicht mehr kann, stimmt traurig und ist irgendwie noch immer nicht so recht zu fassen. Be. K.

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