Zwei Bauingenieure,
zwei Brüder,
ein Podcast

„Raus aus der Blase!“ Wenn sich die von Haus aus viel kreativere Architekturszene schwer damit tut, wie soll dann erst das Bauingenieurwesen dieser Aufforderung nachgehen? Mit ihrem Podcast Baustelle Bauwesen haben die Gebrüder Kalkbrenner sich im Jahr 2020 bereits ordentlich Gehör verschafft.

„Wir arbeiten doch gar nicht nur nach technischen Regeln und Normen, wir orientieren uns schließlich an den Gesetzen der Natur!“, ist eine gängige Aussage im Bauingenieurwesen, wenn es um die Themen Innovation und Kreativität geht.

Wir meinen, viele Bauprojekte sind eher normenkonform als innovativ ausgerichtet. Das ist es nämlich, was man im Studium lernt. Und wie soll man outside the box denken, wenn es einem nirgends ernsthaft vermittelt wird?

Normen sind unverzichtbar, schließlich geht es beim Bauen um Sicherheit und den Schutz von Menschenleben. Das Konzept einer normenkonformen Statik steht also nicht zur Debatte. Wäre da nicht der Klimawandel. Dieser ist nämlich gerade dabei, das Leben aller Menschen zu gefährden. Viel zu lange wurde diese Tatsache unter den Tisch gekehrt. Doch der Inge­nieursnachwuchs rückt heran und ist besonders motiviert, sich den Herausforderungen des klimafreundlichen Bauens anzunehmen. Der englische Begriff des Civil Engineering spiegelt den humanen Aspekt des Bauinge­nieurwesens stärker wider und wir finden, dass darauf mehr Fokus gelegt werden sollte.

Viele Nachwuchsingenieur*innen träumen nicht von der steilen Karriere, sondern von einem Job, der ihren Idealen und Prinzipien entspricht. Selbstverwirklichung ist nicht mehr nur das dicke Gehalt, sondern bei vielen eher die gehaltvolle Arbeit.

Unter dem Motto: „Ausgebildet im 21. Jahrhundert, aber nicht für das 21. Jahrhundert!“  haben Michi und Philip im April 2020 einen Podcast gestartet, der sich den Themen Nachhaltigkeit von Baumaterialien, Kreativität in der Planung und Interdisziplinarität und Risikobereitschaft in der Projektzusammenarbeit annimmt.

Aber wer sind die beiden überhaupt und woher stammt ihre Motivation?

Mehr als nur ein Denkanstoß erwuchs aus dem Engagement im Verein Engineers Without Borders Karlsruhe e.V. (kurz: EWB, ≠ Ingenieure ohne Grenzen). Bei EWB hatten Michi und Philip als Studenten die Chance, gemeinsam mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen, gemeinnützige Bauprojekte in Entwicklungsländern umzusetzen. Diese Projekte standen im starken Kontrast zu trockenen Lehrplänen: Von der Finanzierung über die Planung bis hin zur Umsetzung lag jeder Schritt in den Händen der interdisziplinären Teams. Realisiert wurden Bauprojekte wie Hängebrücken und gemeinnützige Fabrikgebäude.

Kein Betreuer, kein Chef. Dabei lernte jedes Mitglied von den Sichtweisen und Denkmustern anderer. Offene Kommunikation, selbstführende Teams, kreative Planungs-, und Lösungsansätze und eine gehörige Portion Eigenverantwortung. Das Ergebnis? Flotte Projektumsetzung, starke Identifikation mit dem Projekt, motivierte und glückliche Arbeiter. Und wenn mal etwas schief lief, wurde es im Team offen und ehrlich behandelt.

Philip notierte während eines Projekts in Sri Lanka den folgenden Satz in sein Tagebuch: „So wie hier möchte ich immer arbeiten!“, und Michis Fazit nach weiteren erfolgreichen Projekten war ähnlich. In der realen Arbeitswelt wurden die beiden jedoch schnell auf den Boden der Tatsachen geholt.

Beflügelt von diesem Wunsch beendeten beide ihr Bauingenieurstudium in Karlsruhe. Philip startete als Tragwerksplaner durch und Michi als Bauleiter. Beide merkten schnell, dass Bauprojekte in der Industrie auf eine andere Art und Weise komplex sind als im Dschungel Sri Lankas: Unterschiedliche Interessen müssen berücksichtigt werden und durch Leistungsphasen und zweiseitige Verträge bleibt kaum Raum für Kreativität. Michi wechselte in ein Architekturbüro, da er sich mehr Interdisziplinarität wünschte. Philip zog es nach Barcelona, wo er derzeit seine Doktorarbeit über Machine Learning im Bauwesen schreibt.

Die Themen Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit bei der Arbeit ließen Philip nicht los. Er begann, sein Wissen mit Hilfe von Büchern und Podcasts zu vertiefen. Zum damaligen Zeitpunkt fiel ihm auf, dass die Perspektive der Bauinge­nieurbranche zumindest in der Podcast-Szene noch gar nicht vertreten war. Kurzerhand entschloss er, selbst einen Podcast auf die Beine zu stellen. Und wer würde sich als Gesprächspartner besser eignen als sein Bruder?

Was ist seitdem passiert?

Innerhalb eines Jahres hat sich Baustelle Bauwesen zu einem Sprachrohr für innovative Stimmen des Bauingenieurwesens entwickelt und erreicht wöchentlich bis zu 1 000 Hörer*innen.

Interviewt wurden Hochschulprofes­sor*innen, bekannte Ingenieur*innen und Pionier*innen der Baubranche. Zu den bisherigen Gästen gehören beispielsweise Annette Bögle von der HCU Hamburg, Mike Schlaich von schlaich bergerman partner, Christine Lemaitre von der DGNB, Nicolas Janberg von Structurae, Barbara Nilkens vom Ingenieurinnenbund, die Architects4Future u. v. m.

Zusätzlich zu den Hauptepisoden bringen Michi und Philip im 2-Wochen-Takt eine Kurz-Episode über faszinierende Bauwerke heraus.

Worum geht es den Kalkbrenners?

Bauingenieur*innen lernen im Studium überwiegend, wie Normen angewendet werden. Sie werden also darauf vorbereitet, die Ideen von Architekten*innen anhand der entsprechenden Normen umsetzbar zu machen. Geschichtlich gesehen war dies nicht immer so. Der Bauingenieur Ove Arup beispielsweise löste sich vom klassischen Berechnen, wie man Las­ten sicher in den Baugrund leitet. Was daraus wurde? Er revolutionierte den Betonbau. Dies wurde möglich durch kreative und interdisziplinäre Team­arbeit. Mit ihren bunt gemischten Gäs­ten debattieren sie deshalb über Gleichberechtigung, Bautechnikgeschichte, Baupionier*innen, Kreativität, den Berufsalltag, Ingenieurbaukunst, New Work, Studium und Lehre und einiges mehr. Die Kalkbrenners haben es sich zum Ziel gesetzt, ein Kollektiv aus Gleichgesinnten zu inspirieren, um gemeinsam etwas in der Baubranche zu bewegen. Alle Interviews werden via Videocall geführt: das Internet ersetzt das Tonstudio. Alle Beteiligten nehmen ihre Spur lokal auf und senden sie Philip zu. Der mischt die Episoden dann ab und gibt ihnen den letzten Schliff. Danach werden sie upgeloadet und Social-Media-Postings sowie Blogeinträge kreiert. Die beiden übernehmen die komplette Produktion ohne Geld damit zu verdienen – bisher lehnten sie alle Werbekunden ab. So können sie unabhängig bleiben und ihre eigenen Ziele ansteuern: interdisziplinäre Kooperation, ein größeres Umweltbewusstsein, eine stärkere Identifikation mit dem Projekt. So wollen Philip & Michi die Zukunft des Bauwesens sehen.

www.baustelle-bauwesen.de

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