Alles unter einem Dach

adidas „HalfTime“, Herzogenaurach

Wenn man in Herzogenaurach auf den adidas Campus geht, kann man dieses Gebäude mit seiner ungewöhnlich großen Dachkonstruk-tion nicht übersehen. Die Idee dazu kam durch die erste Zusammenarbeit von Knippers Helbig mit dem Architekturbüro COBE aus Kopenhagen zustande.

Der Titel war bereits im Wettbewerbsvorschlag geboren: All in. „Es waren drei, vier Meetings im Kopenhagener Büro von COBE, an denen wir intensiv mit den Energieberatern von Transsolar an dem Wettbewerb zusammengearbeitet haben,“ ­beginnt Boris Peter, geschäftsführender Gesellschafter des Ingenieurbüros Knippers Helbig. Wie sammelt man die unterschiedlichen Nutzer von MitarbeiterInnen und BesucherInnen in einem Gebäude, in dem man gemeinsam essen, Konferenzen abhalten und die Marke an sich präsentieren kann? Ulrich Pohl, zuständiger Projektleiter von COBE formuliert die Ausgangslage: „Der Campus von adidas in Herzogenaurach ist im Grunde ein Park mit eingestellten Solitären. Ein solches Gebäude galt es auch für das ‚HalfTime‘ zu entwickeln. Bei uns entstand einen Pavillon in der Landschaft.“ Die Antwort lag in einer markanten Dachstruktur unter der sich die unterschiedlichen Funktionen miteinander kombinieren und vereinbaren lassen. Flexibilität war ein zweiter Aspekt für das Konzept, das nach einem einphasigen internationalen Wettbewerb und einem direkten Verhandlungsverfahren mit dem Bauherrn, der adidas, überzeugte.

Eine Dachkonstruktion, die klar ausgerichtet ist

„Aus Sicht der Tragwerksplanung dachten wir natürlich zuerst an ein Dach aus Stahl oder Holz. In der Diskussion des Wettbewerbs und im Austausch mit den ArchitektInnen, wo es um eine monolithische Erscheinung, Robustheit und industrielle Themen ging, kamen wir dann zu dem Ansatz, hohe, aber möglichst schlanke Stahlbetonträger einzusetzen,“ erinnert sich Boris Peter und Ulrich Pohl ergänzt: „Das Gebäude ist in seiner Fläche sehr tief. Wichtig war uns ein lichtdurchflutetes, schwebendes Dach über allen Funktionen.“ Die markante Grundform wird durch die klare Längsrichtung des Dachtragwerks in Nord-Süd-Richtung betont und durch die gleiche Ausrichtung der Außenwände und sichtbar lastabtragenden Bauteile im Gebäudeinneren unterstützt. Betrachtet man das Gebäude aus Nord- bzw. Südrichtung wirkt es, durch die Fens­terelemente, sehr offen und aus Ost- und Westrichtung, durch die Wandscheiben, geschlossen.

Gemeinsame Konkretisierung einer Entwurfsidee

Im Entwurfsprozess wurde eine Vielzahl an möglichen Trägerformen untersucht, immer mit dem Fokus, Gestaltung und Multifunktionalität (Belichtung, Entwässerung, TGA Führung) des Dachs in Einklang zu bringen. Im Laufe des Prozesses entwickelten die beteiligten PlanerInnen V-förmige Träger. Mit rechtwinkligen Trägerprofilen hätte der Glasanteil zwischen den Trägern im Dach bei 80 % gelegen. Durch die Grundlagenentwicklung mit allen Fachbeteiligten – COBE und ClMap waren als Arbeitsgemeinschaft die verantwortlichen Generalplanerin – wurden verschiedene Dachprofile auf Schall, Licht, Statik, Entwässerung, etc. analysiert und bewertet.

„Besonders war, dass ab der Entwurfsplanung die Baufirma bereits dazukam. Das ist untypisch für die deutsche Planungskultur, in der Planung und Ausführung in der Regel klar getrennt sind“, spricht Boris Peter ein weiteres Thema der zielführenden Zusammenarbeit an. Die ausführende Firma hatte eine andere Perspektive auf das Projekt als der Bauherr und die PlanerInnen. Boris Peter erinnert sich an die Diskussionen über die Form der Träger: „Die Baufirma schlug aus Kostengründen den Einsatz von T-Trägern vor. Das hätte allerdings den architektonischen Gedanken der hellen Dachkonstruktion ad absurdum geführt. Trotzdem hat es dem Prozess geholfen, dass die Firma sehr früh im Prozess beteiligt war.“

Auch die Entscheidung zwischen Ortbeton und Betonfertigteilen war eine gemeinsame, wie Ulrich Pohl beschreibt: „Für uns war das Dach erstmal in Ortbeton angedacht gewesen. Erst im Prozess mit dem Bauunternehmen und dem Tragwerksplaner kamen wir zu der Lösung, mit Fertigteilelementen zu bauen. Mit der Vorfertigung lässt sich eine sehr hochwertige Betonqualität und Detailausbildung erreichen.“

Zwei nahezu unabhängige Tragwerke

Die Explosionszeichnung (S. 37, rechts) verdeutlicht es sehr gut: Es gibt einmal das Tragwerk der äußeren Struktur und dann das Tragwerk der inneren Struktur. „Das innere Gebäude funktioniert als klassische Stahlbeton-Skelettkonstruktion“, wie uns Jan Mittelstädt, das Projekt leitender Ingenieur bei Knippers Helbig, erläutert. „Die vorgespannten Hauptträger im Gebäudeinneren verlaufen im 90 °-Winkel zur Längsausrichtung des Gebäudes und auf diesen Trägern werden die Nebenträger, sogenannte ­V-Träger, aufgelegt.“ Aus der Geometrie des Grundrisses ergeben sich Gebäudeecken, an denen es keine Auflagerung für die in Längsrichtung verlaufenden V-Träger des Gebäudes gibt. Hierzu wurde ein System aus bis zu 6 m über die Hauptträger des Gebäudes auskragenden V-Trägern entwickelt. Mittels Querträgern am Gebäudeabschluss wurden die sogenannten Schotten als Verbindung der auskragenden zu den gestützten V-Trägern genutzt. Hierdurch wurden freie Gebäudeecken geschaffen, die sowohl Transparenz in der Fassade ermöglichen als auch die Leichtigkeit der Konstruktion verdeutlichen. Die Stützen der inneren Struktur sollen den Raumfluss nicht unterbrechen und sind aus diesem Grund in die tragenden Wandscheiben des äußeren Ringtragwerks integriert.

Das äußere Dachtragwerk, das sogenanntes Ringtragwerk, liegt auf den Wandscheiben auf, die in Längsrichtung ausgerichtet und die am Boden biegesteif eingespannt sind. Der Ring funktioniert statisch wie eine Gitterroststruktur. Die Träger des Ringtragwerks sind biegesteif miteinander verbunden und leiten die Lasten zu den Wandauflagern. Hier werden die Lasten stets über ein Kräftepaar in die Wandscheiben eingeleitet: einmal über die Ringträger, die in Wandrichtung auf­lagern und über diese auskragen, dann über ein Kräfte­paar von parallel zueinander versetzten Wandscheiben. Hier lagern die Ringträger jeweils am Anfang der einen und dem Ende der anderen Wandscheibe auf und kragen senkrecht zu diesen aus. Damit lassen sich Auskragungen von bis zu 9 m realisieren. Die senkrecht zu diesen Trägern liegenden Querträger sind hierarchisch abgetrennt und ergeben eine Gitterstruktur. „Am Ende war dies ein ausgeklügeltes System, weil die parallelverlaufenden Wandscheiben so positioniert werden mussten, dass ein kreuzender Träger wieder auf beiden Seiten aufliegen konnte. Gemeinsam mit den ArchitektInnen haben wir jede Ecke analysiert und die statischen Notwendigkeiten mit den funktionalen Abhängigkeiten, wie beispielsweise den Sichtbeziehungen von innen nach außen und der Nutzung, abgeglichen.“, fasst Jan Mittelstädt zusammen.

Hierarchie von Haupt- und Nebenträgern

Die Nebenträger (V-Träger) unterstützen die Ausrichtung des Gebäudes in Längsrichtung und schaffen eine einheitliche Untersicht, da die Hauptträger eine geringere Höhe haben als die Nebenträger des Dachs.

Die Montageabfolge der Fertigbauteile war eine Herausforderung: Die höheren V-Träger wurden auf den Hauptträgern aufgelagert und die lineare Ausrichtung in der Untersicht wurde über ein Zwischenstück unterhalb des Hauptträgers gelöst. „An den Stellen, an denen der Nebenträger über den Hauptträger auskragt, muss das Zwischenstück tragen und bekommt eine sehr hohe Druckkraft zugewiesen. Das Biegemoment der Auskragung wird damit über ein Kräftepaar um den Hauptträger herumgeführt. Solche Punkte sind für uns Tragwerksplaner natürlich besonders spannend“, gibt Jan Mittelstädt gerne zu.

Darüber hinaus sind Wintergärten und Innenhöfe in die Dachstruktur eingeschnitten und es gibt einen Knick, der das Dachtragwerk in der Eingangszone des Gebäudes über 2 m anhebt und damit den Eingang betont.

Ein starker Eindruck, der bleibt

„Das alles vereinende Dach ist weit mehr als eine reine Außenhülle. Es ist schlank, aber doch sehr beherrschend durch seine Höhe. Wir wollten ihm über den Designanspruch der Marke „adidas“ hinaus eine starke Struktur geben, um so eine Atmosphäre zu schaffen, die die besondere Kultur des Unternehmens widerspiegelt.“, resümiert Ulrich Pohl.

Aus Sicht des Tragwerksplaners meint Jan Mittelstädt: „Der Ring ist für sich, als eigene Konstruktion, besonders und funktioniert statisch zunächst nur im geschlossenen Endzustand. Unter Belastung des Rings stellt sich ein Verformungszustand ein, der gerade am Übergang zu den angrenzenden Fassadenelementen besonders zu beachten war. Hierzu wurde gemeinsam mit den Fassadenplanern von Knippers Helbig die entsprechende Detailausbildung entwickelt. Am Ende des Montageprozesses wurde der Ring noch gestützt, während die Fassade schon montiert war. Der Moment, in dem die Stützung des Ringtragwerks gelöst wurde, war ein besonderer: Die Verformungen der Wandscheiben und der daran angeschlossenen Fassade entsprachen sehr genau den prognostizierten Werten.“

Boris Peter bemerkt abschließend: „Die Anfangsidee war so stark, dass sie das Projekt bis zum Ende hin getragen hat. Trotz aller geometrischen Formen, die auch diskutiert wurden, wurde die Idee sehr konsequent verfolgt. Man ist sich immer auf Augenhöhe begegnet, man hat sich immer ausgetauscht und abgewogen, was der Grundidee am nächsten ist.“⇥M.S.

Die ausdrucksstarke Konstruktion für das Dach des adidas „HalfTime“ mit Mitarbeiterrestaurant, Konferenzzentrum und Showroom überzeugt durch den effizienten Materialeinsatz der hohen, aber sehr schlanken Stahlbetonfertigteile, die das Traggerüst des Dachs bilden. Die von außen wie ein Trägerrost wirkende Struktur entpuppt sich im Inneren als lineares Tragwerk – ein spannendes Wechselspiel

⇥DBZ Heftpartnerin Agnes Weilandt,

⇥Bollinger + Grohmann

Baudaten

Objekt: adidas HalfTime

Standort: Herzogenaurach

Typologie: Hochbau, Fertigteilbau, Veranstaltungsbebäude

Bauherr und Nutzer: adidas, wwww.adidas-group.com

Tragwerksplanung: Knippers Helbig GmbH,

www.knippershelbig.com

Generalplanung: ARGE COBE CIMap

Architektur: COBE Kopenhagen, www.cobe.dk

Mitarbeiter (Team): Caroline Nagel, Clement Bue Maali,  Dan Stubbergaard, , Gina Perier, Greta Tiedje, Javier Barriuso Domingo, Karoline Liedtke, Kasper Larsen, Laura Diestel, Magda Bykowska, Maria Aufegger, Marianne Filtenborg, Matilda Andersson,, Milan Milenkovski, Morten Andersen, Morten Emil Engel, Navid Christensen, Nika Koraca, Ole Storjohann, Rasmus Hjortshøj, Rosa Bui,  Ulrich Pohl, Yannick Courtins

Bauleitung / Generalunternehmen: Max Bögl Bauservice GmbH & Co. KG, www.max-boegl.de

Künstlerische Oberleitung: ARGE COBE ClMap

Bauzeit: 2016 – 2018

Fachplaner 

TGA-Planung: FACT GmbH, www.fact-gmbh.com

Lichtplanung: Bartenbach GmbH, www.bartenbach.com

Akustikplanung: PMI Ingenieure GmbH, www.pmi-ing.de

Bauphysik: PMI Ingenieure GmbH

Energieberatung: Transsolar (Wettbewerb),

www.transsolar.com

Brandschutzplanung: CLMAP GmbH

Weitere Fachplanung: Fassadenplaner Knipper Helbig GmbH

Küchenplanung: Soda Project&Design,

www.cateringmatch.com/soda-projectunddesign

Außenanlagen: COBE

Nutzfläche gesamt: 9 800 m²

Brutto-Grundfläche: 15 500 m²

Brutto-Rauminhalt: 98 700 m³

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