Das gute Modell
Zeitnahe zum Semesterstart erscheint zweimal im Jahr das DBZ Sonderheft „Der Entwurf“ für junge Architekten. In der April-Ausgabe 2017 geht es um das Thema Modellbau.
Es existiert. Man sieht es ab und an, weiß aber im ersten Moment nicht woran das liegt. Was sind die Anzeichen, ein Übliches, von einem Besseren zu unterscheiden? Wie erstellt man ein gutes Modell?
Das primäre Bewusstsein beim Modellbau muss darüber bestehen, aus welchem Grund das Modell gebaut wird. Soll etwas skizziert, modelliert oder etwa präsentiert werden? Es ergeben sich drei Modellarten: das Ideenmodell, das Arbeitsmodell und das Präsentationsmodell.
Das erste zeigt einen Gedanken. Es ist schnell und zerbrechlich. Es ist reizvoll und neu. Sein Material ist alltäglich. Man kann es nicht planen. Es entsteht intuitiv; wie eine Skizze eben. Das zweite, das Arbeitsmodell, führt die Idee fort. Es verändert sich dauernd. Mal ist es gut, mal ist es schlecht. Es treibt einen an. Sein Material ist einfach zu bearbeiten. Und das dritte, das Präsentationsmodell; es entsteht am Ende des Entwurfsprozesses, stellt das Ergebnis vor. Sein Material ist hochwertig, seine Fertigung aufwändig. Kritisch sei allerdings hinzugefügt: “Geschönte Modelle herzustellen (...) ist Sache des Ehrgeizlings, der nur die Augen des Betrachters täuschen und die Aufmerksamkeit von der rechten Anordnung der zu prüfenden Teile ablenken will“ 1 - das wusste schon Leon Battista Alberti, einer der ersten ´Modellbauer´.
Die drei erwähnten Arten dienen also einem bestimmten Zweck und erreichen ein unterschiedliches Publikum. Davon abhängig ist selbsterklärend auch, wie das Vokabular des Modells - Material, Kreativität, Form, etc.- eingesetzt werden kann. Materialien verlangen ihre eigene Bauart, sie sind unterschiedlich schnell und einfach oder umständlich und mühsam zu bearbeiten. Der Grad, der eigenen kreativen Leistung nimmt im Prozess vom Ideenmodell zum Präsentationsmodell ebenfalls stets ab. Die spannendsten Formen, zugleich aber auch interpretationsoffensten Modelle, entstehen im frühen Stadium des Entwurfs.
Nicht nur zu wissen für wen das Modell gebaut werden soll, sondern auch ordentliche Zeichnungen, womöglich Werkpläne, Vorlagen und Stücklisten sind Teil einer wertvollen Vorbereitung.
Mit der Festlegung des Maßstabs entscheidet sich die geeignete -ja, vielleicht zulässige- Detaillierung. Zu viel davon vernebelt den Blick. Das Wesentliche -Proportion, Form und Raum- ist nicht mehr wahrnehmbar. So versteht man zumindest die Rolle des Details im Modell seit der klassischen Moderne. Beispielhaft dafür sei Mies van der Rohes gläsernes Modell vom Hochhaus Friedrichstraße, 1922, angeführt, welches eher versucht städtebauliche Utopien auszudrücken, als eine Simulation des zeitnah zukünftig Erbauten erkennen zu lassen.
Vor dem eigentlichen Beginn des Bauens müssen noch einige Fragen geklärt sein. Wie sind meine Ressourcen? Wie viel Zeit habe ich? Was darf es kosten? Welche Technik, Fähigkeiten, Werkzeuge, Maschinen habe ich zur Verfügung? Wer kann mir helfen? Wen kann ich um Rat fragen? Welches Material möchte ich verwenden? Es lohnt sich andere Meinungen einzuholen. Denn das Wissen über Bauarten, Bearbeitungsmöglichkeiten, Materialien etc. sind unerschöpflich. Im Laufe der Zeit verändern sie sich auch. Wo einst das präzise Ausschneiden von Hand nötig war, ersetzen heute digital unterstütze Maschinen den Zuschnitt. Denke man nur an CNC-Bearbeitungszentren, Lasercutmaschinen, Schneidplotter, 3d Drucker… Neueste Bauweisen an der Universtität Stuttgart und anderen Hochschulen, gestatten es sogar Drohnen als Werkzeuge einzusetzen. Ob die jüngsten Entwicklungen immer nötig sind, ist eine andere Frage. Wahr ist jedoch, dass sich der gezielte Einsatz von Maschinen sehr wohl am guten Modell erleben lässt.
Abgesehen vom Einsatz von Maschinen ist auch die Welt der Materialien außerordentlich. Um Peter Zumthor, übrigens ein begeisterter Modellbauer, zu Wort kommen zu lassen: „Materialien klingen zusammen und kommen zum Strahlen, und in dieser Materialkomposition entsteht etwas Einmaliges. Materialien sind unendlich.“ 2 Wie er scheinbar offensichtlich hinzufügt, ändert sich zudem die Ausstrahlung eines Materials, je nach Bearbeitung: wird es gesägt, geschliffen, gebohrt, gespalten oder poliert, so wechselt zugleich auch seine sinnliche Strahlkraft.
Auf dem weiteren Weg zum guten Modell ist es nötig, sich einen Plan zu machen. Abläufe werden durchdacht, der jeweilige Zeitaufwand und mögliche Risiken eingeschätzt. Unerprobte Teilaspekte müssen simuliert werden. Funktioniert diese spezielle Verbindung? Ja - Gut. Vertragen sich die Materialien technisch miteinander? Nein - Materialwechsel. Ist die Klebung dauerhaft? Nein - anderer Klebstoff. Verschmutzen oder verfärben sich die Werkstoffe gegenseitig? Ja - Trennmittel. Hält die Schalung? Nein - Verstärken. Entstehen Bläschen? Ja - Rütteln. Stimmen die Mischverhältnisse? Nein - mehr Härter. Gefällt die Oberfläche? Nein - abschleifen. Immer noch nicht - Polieren. Und so weiter und so fort.
Man muss neugierig und gleichermaßen diszipliniert sein. Experimentieren und manchmal monotone Aufgaben erfüllen. Der Reiz liegt wohl darin, dem Material oder der Technik, das Maximale zu entlocken. Vergessen darf man dabei jedoch nicht, wie die einzelnen Schritte sich am Ende zu einem Ganzen zusammenfügen. Wer in Ruhe vorgeht, verschiedene Prozesse präzise und parallel bearbeitet, Teile seriell herstellt, die Vorgänge beobachtet, versteht und verbessert, sauber und sicher arbeitet, und Entscheidungen mutig trifft, der hat schon zur Hälfte gewonnen.
Diese einfachen Regeln bestanden wohl schon, als sich der Begriff „Modell“ Anfang des 2. Jahrtausends bei den Italienern entwickelte. Sie waren es auch, die das erste nachgewiesene Modell 1355 zum Bau des Florentiner Doms Santa Maria del Fiore entstehen ließen. Erste belegte städtebauliche Modelle entstanden im Übrigen Anfang des 20. Jahrhunderts und wurden zum Beispiel im Entwurf der Idealstadt Germania von den Nationalsozialisten als Ausdrucksmittel machtpolitischen Gestaltungswillen missbraucht. Die spezielle Perspektive erschien ihnen wohl genau richtig für ihre Zwecke, die Stadt als leicht formbare Masse misszuverstehen.
Das zeigt auf, Modelle werden unterschiedlich interpretiert. Intuition und Gedankenkraft bestimmen das Urteil gleichermaßen. Denn analog zum Lesen und Verstehen von Malerei, Zeichnung, Fotografie, Grafik, Bildhauerei oder Architektur lässt sich ein Modell - man kann es geradezu eine Plastik oder Skulptur nennen - divers deuten. Grund dafür ist unter anderem, dass Abstraktion ein fundamentaler Bestandteil des Modells ist.
Was die Lehre des Modellbaus betrifft erscheint es wohl sinnvoll, ihn wieder und wieder neu erfinden zu suchen. Nach Ansgar Oswald, dem Autor bekannter Modellbauliteratur, „geht [es] in erster Linie darum, das Gestalten als eigentlich künstlerischen Zeugungsakt eines Modells zu entdecken.“ 3 Vorstellbar ist es zum Beispiel, ein Objekt aus unterschiedlichsten Materialien nachzubauen und sich somit eine große Kenntnis an Werkstoffen und Methoden des Vorgehens anzulegen. Voraussetzung dafür ist natürlich neben der Leidenschaft und dem Interesse, dass bereits erstellte Modelle gut dokumentiert sind. Fotografien, des Prozesses und des Ergebnisses und die Archivierung der Herstellungsweise sind eine gute Strategie dabei.
"Schlicht und einfach“4, so Leon Battista Alberti, soll das Modell sein. Ob damit nun der sparsame Gebrauch unterschiedlicher Materialien gemeint ist, oder dass die Vereinfachung des Entwurfs in Form eines Modells ihn greifbarer und dadurch aussagekräftiger macht, entspricht gleichermaßen der Wahrheit.