Bildungscampus Freiham, München

Gemeinsam statt Gegeneinander

Laut einer Statistik der Landeshauptstadt München vom September 2021 lernen aktuell rund 111500 Schüler/innen an insgesamt 264 öffentlichen Schulen, die privaten Träger noch nicht mit eingerechnet. Bei 1,5 Millionen Einwohnern eine überschaubare Schülerzahl. Trotzdem muss weiter gebaut werden, denn München wächst. So ist seit dem Schuljahr 2019/2020 das bislang größte Schulbauprojekt, der Bildungscampus in Freiham, in Betrieb. 3000 Schüler/innen werden hier lernen, während um sie herum ein neues Stadtviertel entsteht.

In der Größe einer Kleinstadt formt sich im Münchner Westen ein neuer Stadtteil auf der grünen Wiese. Bis ins Jahr 2040 werden auf 140 ha über 25000 Menschen leben und 7500 arbeiten. Da man aus den Fehlern früherer Stadtentwicklungsprojekte gelernt hat, bilden nicht die Stadtteilzentren den Ankerpunkt für die neuen Bewohner, sondern die neuen Schulbauten markieren den Auftakt zum Quartier. Der Bedarf ist groß, weshalb 2015 ein zweiphasiger Wettbewerb für den größten Bildungscampus der Stadt ausgelobt wurde, den schürmann dettinger architekten, München, für sich entscheiden konnten. Auch für die im Bildungsbau erfahrenen ArchitektInnen war das zu bespielende Volumen eine Herausforderung. Innerhalb von vier Jahren sollte der Bildungscampus auf ca. 4,5 ha Fläche entstehen: mit einer fünfzügigen Grundschule, einem Sonderpädagogischen Förder- und Kompetenzzentrum mit 19 Klassen und Doppel-Sporthalle, einer fünfzügigen Realschule und einem sechszügigen Gymnasium. Alles nach dem Lernhausprinzip der Landeshauptstadt München. Dazu noch das Herzstück des Areals, die sogenannte Campus-Mitte, die neben einer Mensa, Versammlungsstätte und Bibliothek für alle Schulen noch einen Kreativbereich sowie die genannte Doppel-Sporthalle für die Grund- und Förderschule beherbergt.
 
Ort der Sozialisation
„Unsere Aufgabe als ArchitektIinnen ist es, eine Heimat für 3000 Schüler zu schaffen, einen Ort der Identität und der Aneignung. Keine einfache Angelegenheit in einem Kontext, der im Moment noch aus Brachflächen und Baustellen besteht. Ein Schulgebäude ist aber auch ein Zeichen der Relevanz von Bildung in unserer Gesellschaft. Ein Ort, um Wissen anzuwenden und einzuordnen, aber auch eine Stätte der Sozialisation und damit auch ein Abbild der Gesellschaft“, bringt Felix Schürmann das übergeordnete Konzept auf den Punkt. Eine große Herausforderung in Zeiten einer sich entsolidarisierenden Gesellschaft, welcher der Common Sense, Respekt und Toleranz verloren gehen. Als Abbild einer pluralistischen Gesellschaft und individueller Teilhabe am Ganzen ordnet sich die Struktur aus Gebäudefingern zu einem offenen grünen Campus als gemeinsamer Mitte an. So entstehen verschieden codierte Räume der Gemeinschaft, die individuellen Rückzug ermöglichen und zugleich die verschiedenen Nutzungsebenen miteinander verbinden. Die sonst übliche Trennung der Schularten und damit auch der Bildungsstandards und der Zukunftschancen löst sich über die Serie gleicher Volumen auf. Was andere als Einfallslosigkeit betiteln würden, ist hier mit Absicht als demokratisches Prinzip eingesetzt. Die Grenzen zwischen den Schularten verschwimmen, es ist nicht ersichtlich, ob man sich in der Realschule oder dem Gymnasialzweig befindet, die Baukörper unterscheiden sich nur in Details. Die einzige Ausnahme macht die Campus-Mitte, die gemeinsam mit Auer Weber Architekten umgesetzt wurde. Die Transparenz der Architektur ist ein Zeichen für die gemeinschaftliche Nutzung im Inneren. Das fördert den Austausch der Schüler/innen untereinander und öffnet den Schulcampus zum umliegenden Quartier.
 
Eigenengagement im Lernen
Das Münchner Lernhausmodell ist eine Möglichkeit, das selbstverantwortete Lernen zu fördern. Dafür ist ein System spezifischer Lernorte nötig. Felix Schürmann beschreibt diese Orte als Räume, in denen sich gesellschaftliches Verhalten entwickeln kann, atmosphärisch aufgeladene Orte, die nicht nur über eine zugewiesene räumliche Struktur funktionieren. Im Bildungscampus ist die Aneignung von Raum das verbindende Element. Entlang einer langen Magistrale, die sich durch alle Gebäudeteile und Stockwerke zieht, docken die verschiedenen Lernhäuser der Stufen und Schulsysteme an. Nicht in den Randlagen der Räume, sondern durch deren Mitten hindurch. Das schafft Verbindung und Verbundenheit. Die Sichtbarkeit macht sogar vor den Naturwissenschaften nicht halt. Erstmals wird in München die Idee der offenen Lernlandschaft auf die MINT-Fächer übertragen. Im Bildungscampus Freiham lernen die Schüler und Schülerinnen in einem vielfältig verknüpften Netz von Orten und Räumen. Diese können zudem in großer Flexibilität schnell auf die unterschiedlichen situativen Anforderungen reagieren.
 
Strukturelle Ordnung
Bei einem Auftragsvolumen von 245 Mio. €, 38500 m² Nutzfläche und einer Bauzeit von zwei Jahren war es notwendig, schon zu Beginn des Projekts eine Strategie für die Umsetzung festzulegen. Auf der planerischen Seite war dies die Harmonisierung des bautechnischen Konzepts. Von Wiederholungen in der Anordnung von Räumen und Regeldetails bis zur Definition der Schnittstellen zwischen den Gewerken. Für die Optimierung der Bauabläufe wurde die Lean Management Methode eingesetzt. Die Methode, die ihren Ursprung in der Effizienzsteigerung der Automobilindustrie hat, wird inzwischen vielfach für die Umsetzung komplexer Bauabläufe eingesetzt. Die Idealvorstellung der Bauausführung wird als visuelle Kommunikationsstruktur aufgesetzt, die Prozesse und Strukturen transparent offenlegt und zugleich die Beteiligten in die Verantwortung nimmt. Initiiert von der Landeshauptstadt München als Auftraggeber, wurde die Umsetzung des Last Planner Modells durch die Objektüberwachung von Wenzel + Wenzel koordiniert. Projektleiter Christian Brunner ist von den Vorteilen überzeugt: „Im Vordergrund stand die Optimierung der wertschöpfenden Prozesse in Form von Meilensteinen für das Projekt und deren Zielerreichung. In täglichen Besprechungen wurden diese auf ihre Machbarkeit und den Fortschritt überprüft. Das erfordert eine hohe Disziplin von allen Beteiligten, bringt dennoch auf lange Sicht durch eine andere Kommunikation und die kollektive Selbstverpflichtung eine Reihe von Vorteilen mit sich.“
 
Miteinander statt Gegeneinander
Beim Bildungscampus kam das Last Planner System zum Einsatz. Die Meilensteine des Projekts werden in einzelne Phasen heruntergebrochen und für eine jeweils vierwöchige Vorschau tagesgenau mit dem Einsatz von Tätigkeiten und Ressourcen durchgeplant. In Ergänzung zur digitalen Planung des Gebäudes wurde eine analoge Visualisierung mit Leistungskarten auf Übersichtstafeln gewählt, die jeden Morgen von der Bauleitung und den ausführenden Unternehmen überprüft und bei Bedarf angepasst wurde. Für die Projekt- und Bauleitung des Bauherrn, für die Lean-Manager und die bis zu 40 Poliere gelang so im wöchentlichen Treffen durch eine tagesaktuelle Analyse eine systematische und dennoch flexible Steuerung der Bauprozesse während der Ausführungsphase. Dabei konnten Verbesserungspotenziale identifiziert und in zukünftige Schritte integriert werden. „Bei der Erreichung des gemeinsam gesetzten Ziels ist der persönliche Kontakt unabdingbar. Das Zwischenmenschliche entscheidet über das notwendige Verständnis für Probleme und deren unbürokratische Lösung“, ergänzt Christian Brunner. Was den Kreis zu den räumlichen Orten der Sozialisation wieder schließt.
 
 
Eva Maria Herrmann, München

Baudaten
Objekt: Bildungscampus Freiham, Neubau Grund- und Förderschule, Gymnasium und Realschule sowie einer Campusmitte mit Zweifachsporthalle und Mensa
Standort: Helmut-Schmidt-Allee 41-45, Hildegard-Hamm-Brücher-Straße 3-5, München
Typologie: Bildungsbau
Bauherrin: Landeshauptstadt München, Referat für Bildung und Sport, Baureferat (Projektleitung)
Nutzer: Referat für Bildung und Sport München
Architektur: Hauptauftragnehmer und Wettbewerb: schürmann dettinger architekten, München, www.schuermann-dettinger.de in Zusammenarbeit mit Auer Weber Architekten, München, www.auer-weber.de für die Planung der Campusmitte in den Leistungsphasen 2-5
Team Bildungscampus Schulen, schürmann dettinger architekten: Ellen Dettinger, Felix Schürmann, Dirk Bauer (Projektleitung), Eileen Kühne (stellv.Projektleitung), Teresa Pacher, Sina Rup, Stefanie Lenerz, Nuria Portela, Victoria Modrego, Anna Schulte, Susanna Liedgens, Matthias Röckers, Jennifer Sebena, Anna Bumeder, Martina Stubenhofer, Tobias Pretscher, Viktoriia Khokhlova, Maximilian Blume, Kaspar Dettinger, Patrick Fromme
Bauleitung: Objektüberwachung Wenzel + Wenzel, München, www.wenzel-wenzel.com
Projektsteuerung: DU Diederichs Projektmanagement, München, www.du-dietrichs.de
Bauzeit: März 2017-August 2019
 
Fachplaner
Tragwerksplanung: Sailer Stepan und Partner, München, www.ssp-muc.com; Ingenieurbüro Krone, Berlin
Planung Technische Ausrüstung (HKLS): Obermeyer Planen + Beraten, München, www.obermeyer-group.com
Fassadentechnik: IB R+R Fuchs Ingenieurbüro für Fassadentechnik, München,
www.r-r-fuchs.de
Landschaftsarchitektur: Keller Damm Kollegen, München, www.keller-damm-kollegen.com
Brandschutzplaner: mhd Brandschutz Architekten und Ingenieure, Ulm,
www.mhd-brandschutz.de
Elektroplanung: Ingenieurbüro Knab, München, www.knab.net
Thermische Bauphysik, Wärmeschutz, Akustik: Müller-BBM, Planegg, www.muellerbbm.de
 
Projektdaten
Grundstücksgröße: ca. 45000 m² Campusfläche
Nutzfläche gesamt: 36274 m²
Technikfläche + Verkehrsfläche: 19797 m²
Brutto-Grundfläche: 62732 m²
Brutto-Rauminhalt: 265460 m³
 
Baukosten (nach DIN 276)
Gesamt brutto 245 Mio. € (genehmigte Projektkosten)
 
 

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