Kurzes Vergnügen im ICC
Die Berliner Festspiele nahmen ihr 70. Jubiläum zum Anlass, das leerstehende Internationale Congress Centrum in Berlin zu bespielen. Wir nutzten die Gelegenheit für einen Streifzug durch das Innere des Gebäudes.
Text: Ina Lülfsmann / DBZ
Für wenige Tage war es wieder geöffnet: das ICC in Berlin
Foto: Ina Lülfsmann / DBZ
Das Internationale Congress Centrum (ICC) ist zum Leben erwacht, zumindest für kurze Zeit. Während zehn Tagen im Oktober 2021 herrschte unter dem Titel „The Sun Machine Is Coming Down“ buntes Treiben in dem gigantischen High-Tech-Gebäude. Die Berliner Festspiele zelebrierten hier mit einem außergewöhnlichen Kunstfestival ihr 70-jähriges Bestehen. Aber die Aufmerksamkeit der VeranstalterInnen lag nicht allein auf dem Jubiläum, wie Intendant Thomas Oberender zur Eröffnung preisgab: Dass das ICC wieder zugänglich gemacht wird, stand ebenso im Mittelpunkt des Geschehens. Er verdeutlichte in seiner Rede, dass sich Berlin keinen Leerstand leisten kann, insbesondere nicht von so bedeutenden Gebäuden der Architekturgeschichte wie dem ICC.
Mitte der 1960er-Jahre gewannen die jungen ArchitektInnen Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler den Wettbewerb zum Bau eines Kongresszentrums auf dem Messegelände im Berliner Westen, das sie ein Jahrzehnt später (1975-79) bauten. Eine insgesamt nicht nur gelungene, sondern überraschende räumliche Organisation des ICC sorgte damals wie heute für Faszination.
links: Der große Saal mit 5 000 Sitzplätzen
Foto: Ina Lülfsmann / DBZ
Was tun mit der Maschine?
2014 schloss die Messe Berlin das ICC auf unbestimmte Zeit. Denn obwohl das Haus voll ausgelastet war, machten die BetreiberInnen jedes Jahr Verluste mit dem futuristischen Gebäude; es war schlicht zu teuer im Betrieb. Hinzu kamen Schadstofffunde, die eine Sanierung erzwangen. Ein Jahr zuvor, 2013, führte das Land Berlin bereits eine Ausschreibung zur Entwicklung von Nutzungs-, Sanierungs- und Finanzierungskonzepten durch. Sowohl dieser Startschuss für eine Weiternutzung als auch private Initiativen zur kulturellen Bespielung des Gebäudes verliefen im Sand. Dennoch stellte es das Landesdenkmalamt Berlin 2019 unter Denkmalschutz. Im gleichen Jahr lobte die Senatsverwaltung erneut einen Wettbewerb für Investoren- und Umsetzungskonsortien aus. Auch dieser bisher ohne folgende Maßnahmen.
Nun, nach sieben Jahren Leerstand hieß es: „The Sun Machine Is Coming Down“ und alle Interessierten konnten das „Raumschiff“ endlich einmal wieder von innen erleben, erkunden und durchwandern. Sie liefen durch die erstaunlich gut erhaltenen Räume, über zahlreiche Treppen, Rolltreppen und Plattformen. Man staunte über den überall verlegten gemusterten Teppich, die orangen Wandfliesen und die zahlreichen integrierten Aschenbecher und fühlte sich wie in einer Zeitmaschine zurück in die 70er-Jahre. Orientierung bot nach wie vor das Lichtleitsystem, das der Künstler Frank Oehring in den 1960er-Jahren für das ICC entwickelt hat – ebenfalls ein Charakteristikum der Entstehungszeit, in der die Leuchtröhrenkunst aufkam.
Das originale Lichtleitsystem von Frank Oehring wurde für die Berliner Festspiele wieder angeschaltet
Foto: Ina Lülfsmann / DBZ
Kunst als Heilung
1970 veröffentlichte David Bowie den Song „Memory of a Free Festival“. Eine Zeile daraus – „The Sun Machine Is Coming Down“ gab den Berliner Festspielen 2021 ihren Namen. Das Lied spiegelt für Intendant Thomas Oberender Zuversicht, die wir in diesen Zeiten der Pandemie, aber auch der ungewissen baulichen und kulturellen Zukunft, brauchen. Auch die Kunstsammlerin Julia Stoschek, die mit Medienkunst aus ihrer Galerie im größten Saal vertreten war, sah die Erfordernis nach Kunst als Heilung, wie sie es formulierte, und nach dem Glauben an die Widerstandskraft in so schwierigen Zeiten. Beides vermittele das besondere Veranstaltungsformat in dem besonderen Gebäude, so Stoschek. Ob das ICC diese Hoffnungen erfüllen kann, bleibt fragwürdig. Sicher ist und das zeigen die Festspiele, dass eine weitere Forderung der VeranstalterInnen realisierbar ist: Die riesigen leeren Flächen sind nutzbar und können den akuten Raummangel in der Stadt abmildern. Sei es für Wohnen, Kultur, Gewerbe oder Bildung – ein Konzept, das verschiedene Nutzungen und NutzerInnen zusammenbringt, das das Haus rund um die Uhr bespielt und zugänglich macht, wäre denkbar und wünschenswert. Sicherlich wird es nicht einfach, das Gebäude denkmalgerecht umzunutzen, zumal die meisten Räume ohne Tageslicht auskommen müssen. Auch wird es mit seinen hohen Betriebskosten keine großen finanziellen Gewinne einbringen, aber das tut es auch im ungenutzten Zustand nicht. Neben Kunst- und Veranstaltungsräumen wären hier eine Bibliothek denkbar, Hochschul- und Proberäume, auch Gastronomie oder ein Bürgerhaus. Eine kleine Stadt in der Stadt, die mit ihren vielen Zwischenräumen ungezwungenes und niederschwelliges soziales Miteinander ermöglicht. Denn die großzügigen Flure werden in jedem Fall zentraler Bestandteil des ICC bleiben müssen. Also: Die leeren Flächen dürfen nicht weiter dem Verfall ausgesetzt, sondern müssen langfristig genutzt werden und im besten Fall öffentlich zugänglich sein. Bleibt zu hoffen, dass die EntscheidungsträgerInnen der Stadt und der Messe den Appell von Oberender und Co hören.
Informelle Sitzecke auf einer der zahlreichen Plattformen zwischen den Sälen
Foto: Ina Lülfsmann / DBZ