Flächenluxusliner: Das Internationale Congress Centrum Berlin (ICC) wird neu gedacht

Das ICC soll eine neue Nutzung bekommen. Nur welche?

Zahlen? Zahlen: 313 m lang, 89 m breit, 39,7 m hoch. 80 Säle und Räume mit 20 bis über 3 000 Sitzplätzen. Letztere finden sich in Saal 2, der damit geeignet wäre, den chinesischen Volkskongress zu beherbergen. Und weil es kein Parlament auf der Erde gibt, das größer wäre, kann sich jeder selbst überlegen, was oder wer in Saal 1 unterzubringen wäre: 5 000 Plätze. Aber weiter: Das Internationale Congress Centrum Berlin (ICC Berlin), von dem hier die Rede ist und das auf dem Messegelände der Stadt im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf liegt und das jahrelang eines der größten Kongresshäuser der Welt war, verfügt über eine Fäche von 200 000 m² BGF. Das ist eine Fläche von – ich mag den Vergleich eigentlich nicht, er wird aber gleich sehr anschaulich – 28 Fußballfeldern. Und von denen werden nur gut vier bespielt! Was macht man auf den restlichen 24?

Spätestens hier geht sie los. Die Diskussion um den Fortbestand eines Gebäudes, das ikonischer kaum denkbar ist und das tatsächlich in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiern kann. Wenn man in Feierlaune wäre! Wäre da nicht der Leerstand und immer wiederkehrende, behelfsmäßige Zwischennutzung von Teilflächen von Teilen in den letzten Jahren. Eine Zeit des Stillstands, der in Berlin gerne (ungerne?) mit Abwarten verbracht wird. Oder mit Gutachten, mit Studien, Wettbewerben, Presseattacken und Bürgerinitiativen, Kongressen und Solidaritätsnoten. Asbest!? Klar, ist irgendwo auch verbaut, aber anders als im Palast der Republik, der drei Jahre zuvor im Osten der noch geteilten Stadt fertiggestellt worden war. Dort war der Brandschutz des Stahltragwerks mittels Spritzasbest vorgenommen worden, beim ICC ist es das geheimnisvolle Material „Kafko“, das asbestähnliche Eigenschaften haben soll, dabei aber nicht im Verdacht steht, krebserregend zu wirken. Also kein dringender Sanierungsbedarf? Erst einmal warten. Oder auch schon Abrissszenarien durchrechnen lassen oder Sanierungskosten in den Raum stellen, die alles in Zahlen fassen (z. B. 200 Mio. €), aber wenig darüber aussagen, was denn eine Zukunft des ICC sein könnte. Keine Spielhallen, kein Bordell, so der Senat. Hilft das weiter?

Ende des vergangenen Jahres war es dann wieder einmal soweit, die Stadt suchte Investoren. Und Ideen. Im Rahmen eines „Interessenbekundungsverfahrens“ wurden „Interessierte zur Abgabe ihrer Nutzungsideen für ein Grundstück aufgefordert“. Durchführende Abteilung dieses Verfahrens war die BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH, die im März 2019 das Ergebnis präsentierte. Und damit in Deckung geht bis heute. Die BIM – telefonisch nicht erreichbar – hat das Verfahren offiziell beendet, das Ergebnis war Wochen später der lokalen Presse zu entnehmen.

Sehr allgemein hatte die BIM den Rahmen für Interessensbekunden so umschrieben: „Die Interessenten für das ICC sollten zur Stärkung des Kongressmarktes in der Hauptstadt innerhalb ihres zu entwerfenden Nutzungskonzeptes flexibel nutzbare Kongressflächen für bis zu 8 000 Personen vorsehen. Für weitere Flächen konnten sie zusätzliche und ergänzende Nutzungen entwickeln. Ausgeschlossen sind dabei Nutzungen wie ein Bordell, eine Spielbank oder vergleichbare Zwecke. Die zusätzlichen Nutzungen dürfen der Akquisition von Großkongressen nicht entgegenstehen. Aufgrund der festgestellten Asbest- und Schadstofffunde in dem Gebäude ist eine Schadstoffsanierung des ICC erforderlich, die den eigentlichen Umbau- und Sanierungsarbeiten vorausgehen soll. An diesen Arbeiten können sich die Investoren ebenfalls beteiligen.“ Können sich beteiligen … Ausverkauf oder Notverkauf?

13 Interessenten hatten Angebote eingereicht, acht davon skizzierten anschaulich, was sie aus dem ICC machen wollen. Zum Beispiel eine Art Biosphäre mit Kongressbetrieb (Planungsbüro Neuner & Boeving, Berlin), oder eine Erlebniswelt rund um das Thema Mobilität, mit Teststrecken für neue Verkehrstechnologien inklusive Ausstellung zum Thema. Oder ein „Zentrum für zeitgenössische Kultur“ oder ein Forum für „Zeitgenössische Internationale Beziehungen“, was immer das anderes sein sollte, als ein Kongresszentrum. Auch gibt es Vorschläge für ein Zentrum für Start-ups, Vorschläge für eine Zwischennutzung, ähnlich der im Palast der Republik. Viele der Vorschläge sehen den Abriss des Parkhauses vor, alle stellen weitere Bauten auf dem Gelände ab. Kongresszentrum ja, aber irgendwie anders. Und mit Hotel, 4-Sterne aufwärts.

Schon im Juni sollten die zuständigen Senatsverwaltungen für Finanzen, Kultur, Wirtschaft und Stadtentwicklung Konzeptverfahren für das ICC ausarbeiten, um besser entscheiden zu können, welches der vor- oder in Schubläden liegenden Konzepte der Senat für das ICC haben möchte. Und zu welchen Konditionen der liegende Riese einem Investor übergeben wird. Von den Interessenbekundern würden alle die Immobilie kaufen wollen, sicherlich für den symbolischen Euro. Die Inhaberin gibt sich hier offen, bevorzugt aber bislang die Erbbaupacht-Variante.

Geplant wurde der Flächenluxusliner nach Plänen der Berliner Architekten Ralf Schüler (1930-2011) und Ursulina Schüler-Witte, gebaut wurde er in vier Jahren, eröffnet am 2. April 1979. Gekostet hatte der Bau damals gut 900 Mio. Mark, heute sind das etwa 1,1 Mrd. €. Gerechnet hat er sich immer, auch wenn, wie die Architektin nicht müde wird zu sagen, die Behauptung, „dass ICC sei nur zu 10 % vermietbar, ist völliger Unsinn.“ Tatsächlich bezieht die Messe diese Zahl auf die Gesamtfläche, die als solche gar nicht zu mieten ist: Ein Kongresszentrum wie das ICC bietet ja neben den Kongresssälen weitere zugeordnete Räume wie Foyers, Eingangshallen, kurz: Kommunikationsorte, zudem Büros und weitere Serviceeinrichtungen. Diese alle werden anteilig zusammen mit den jeweiligen Sälen vermietet, was schnell eine ganz andere Auslastungszahl ergibt.

Überhaupt die restlichen 24 Felder: Wer tatsächlich einmal die Gelegenheit hatte, das ICC von innen besucht zu haben, wird sich an die Binnenlandschaft nachhaltig erinnern. Wie kaum noch in einem anderen Kongresszentrum, das diesen Namen überhaupt verdient, steht soviel Fläche für informelle Begegnung zur Verfügung. Für ein fröhliches Zusammenrotten wie ein bewusstes Absondern, für diskrete Gespräche und lautes Feiern. Und auch das: Ein Kongresszentrum dieser Größe spült regelmäßig Geld in die Kassen der Kommune, rund 100 Mio. € jährlich sollen es gewesen sein. Geld, das am Ende den Haushalten zu gute kommt. Warum also nicht die wunderbare Aluminiumfassade reinigen? Warum nicht die Technik auf neuesten Stand bringen? Die vorbeirauschende Autobahn deckeln und das Zentrum an die Stadt anschließen? Warum also nicht einfach wieder ein ICC?! Die Stadt hat es nun in der Hand. Denkmalschutz ist ein erster Schritt, Gespräche mit der Architektin und den Ingenieuren ein zweiter. Ein dritter die schnellere Anbindung wie überhaupt die Anbindung der ICC-Insel an die Reststadt. Aber bitte keine Biosphäre oder andere, das schöne Monster entstellende Zu-, Um- oder Abbauten. Be. K.

www.messe-berlin.de, www.bim-berlin.de
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