„levelup“, Nürnberg
Einleitung
„levelup“ haben die Student:innen der Hochschule Rosenheim ihr Projekt genannt, das sie als Wettbewerbsbeitrag beim internationalen Wettbewerb „Solar Decathlon Europe 21/22“ im Juni 2022 präsentieren werden. „levelup“ ist ein modulares System zur Aufstockung und Sanierung von Wohngebäuden aus den 1950er- bis 1970er-Jahren. Wie die anderen studentischen Teams auch haben die Rosenheimer:innen mit Unterstützung von Mitarbeiter:innen und Professor:innen, u. a. Andreas Betz und Jochen Stopper, die Aufgabenstellung des Wettbewerbs – „Nachverdichtung in Städten“ – mit ihrem Entwurf interpretiert. Es gilt, Vorschläge zu erarbeiten, wie eine energetische Sanierung und Erweiterung von Wohnbestandsbauten im städtischen Kontext gelingen kann, um damit dem größten Potenzial in der (urbanen) Energiewende ein Best-Praxis-Beispiel zu liefern. Exemplarisch wurde das System an einem Beispielgebäude des Siedlungswerks Nürnberg als Dachaufbau in Holzmodulbauweise und mit elementierten Holz-Sanierungsfassaden entwerferisch angewendet. Das seriell und modular angelegte Holzbauprojekt ist in seiner Art auch auf andere Gebäude anwendbar und könnte nach Schätzungen des Teams ca. 1,1 Mio. neue Wohnungen in deutschen Städten liefern, ohne weitere Freiflächen zu versiegeln.
Ein voll funktionsfähiger Prototyp – die House Demonstration Unit (HDU)
Level up auf dem SDE-Campus in Wuppertal
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Die Anforderungen an die Wettbewerbsbeiträge sind extrem hoch: Die HDU muss – im Maßstab 1 : 1 aufgebaut – den realen Anforderungen standhalten. Normen, bautechnische Vorschriften und anderes sind einzuhalten, müssen allerdings im Reallabor noch übertroffen werden. Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit im urbanen Raum stehen mittlerweile im Fokus, die solare Energieerzeugung ist zur Selbstverständlichkeit geworden. „Design – Build – Operate“ sind die grundsätzlichen Anforderungen; die ersten beiden wurden aktuell erledigt, nun geht es daran, die Praxistauglichkeit und Leistungsfähigkeit der Konzepte real nachzuweisen.
„levelup“ zielt auf die Dachflächen der Wohnbauten aus den genannten drei Jahrzehnten ab. Hier sei, so das Projektteam, das größte Flächenpotenzial vorhanden. Die zweigeschossigen Aufbauten sind in sich, aber eben auch untereinander modular geplant. Die externe Erschließung über Fahrstühle kann eine bis mehrere Einheiten versorgen. Eine statische Tragfähigkeit oder Ertüchtigung des Bestands ist vorausgesetzt.
Den Student:innen war wichtig, dass soziales Miteinander und Nachbarschaft über die Außenflächen wie Terrassen oder Gewächshäuser ermöglicht wird. Die Kriterien einer barrierefreien Wohnung nach DIN 18040-2 sollten nicht bloß erfüllt, sie sollten übertroffen werden. Die Wahl der Materialien, ihre Fügung zu Bauteilen und die Frage des Reuse/Recycling stand an erster Stelle.
Living / Küche
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Aufgeteilt ist die Wohneinheit in Wohnen/Arbeiten, mit Bad und Schlafraum. Darüber folgt ein Geschoss mit Gewächshaus und Terrasse sowie die benötigte Gebäudetechnik. Dachfläche und Außenwände erhalten PV-Paneele. Die Student:innen haben zudem die Möblierung – Einzel- und Einbaumöbel – entworfen und ganz dem Geist ihres Haus gewidmet: zweckmäßig gestaltet und in der Materialwahl wie Fügetechnik nachhaltig. So besteht beispielsweise die Duschwanne aus recyceltem PET, die Möbel aus zertifizierter Spanplatte aus Rest- und Recyclingholz mit überwiegend biologischer Stärke statt Leim.
Trockenbau einmal anders gedacht
Man kann ohne Trockenbau Häuser bewohnbar machen, in ihnen arbeiten oder einfach nur sein. Aber Trockenbau erleichtert im wahrsten Sinne des Wortes auch das Bauen, das Zurückbauen und tatsächlich: das Haus selbst auch. Zwar ist das Eigengewicht nicht die zentrale Aufgabenstellung im Projekt „levelup“, es spielt für die Module, die einmal in großer Menge auf Bestandsgebäude gehoben werden sollen, dennoch eine entscheidende Rolle.
Aber Trockenbau mit Standard wäre in einem solchen Forschungsprojekt, dass eine Optimierung vieler Bauprozesse anstrebt, nicht angemessen gewesen. Der Trockenbau – auf einer Holzständerunterkonstruktion aufgebracht, die wegen der zahlreichen Fügelinien und Durchführungsöffnungen CNC-gefertigt ist – sollte reversibel sein, u. a. weil hinter ihm die komplette Haustechnik untergebracht ist.
Bad
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Dem Experimentiergedanken folgend kamen für die raumseitige Bekleidung der Holztafelbauwände Lehmbauplatten zum Einsatz. Ziel ist es, eine Alternative zu Gipsplatten zu untersuchen, auch vor dem Hintergrund der zukünftigen Rohstoffverknappung beim Gips durch den Rückgang des REA-Gipses aus der Rauchgasentschwefelung. Gleichzeitig wurde eine hohe Speichermasse der nichtbrennbaren Wandoberflächen sowie ein erhöhter Schallschutz angestrebt. Die feuchtigkeitspuffernde Wirkung der Lehmbauplatten ist ebenfalls sehr gut – wenn auch bei einem Gebäude mit Lüftungsanlage von untergeordneter Bedeutung.
Zur Erhöhung der thermischer Masse sind die Massivholzwände ohne Installationsebene doppelt beplankt, der Boden 3-fach. Im Bad wurde die Holzständerkonstruktion wegen der zahlreichen Durchführungsöffnungen in Furnierschichtholz ausgebildet, hier wurden Resysta Platten (60 % Reishülsen, 22 % Steinsalze und ca. 18 % Mineralöl) für Wände und Boden verwendet. Neben der Materialauswahl spielte die schon genannte Reversibilität eine zentrale Rolle. Verschraubungen oder gar Verklebung kamen nicht infrage. Aber silikonfreie Fugen im Bad?
Bad mit Trockenbauelementen
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Die Lösung ist – im Nachhinein gesehen – so einfach wie überzeugend: Sämtliche Platten wurden mit einem doppelten greifenden Dicht-ring eingefasst, dort, wo Wasserdruck möglich ist, helfen breite Bänder aus Teichfolie vor tiefem Feuchteeintrag. Alle Platten im Bad sind mechanisch über ein Klick-System auf der Unterkonstruktion befestigt, sodass bei Schäden segmentweise erneuert werden kann. Auch eine Wieder- oder Weiterverwertung ist damit gewährleistet, was mit Blick auf den tausendfachen Einsatz der Platten ein beachtliches Volumen darstellt.
Fazit Trockenbau
Auch wenn auf den ersten Blick nicht sofort deutlich: Das Thema Trockenbau spielt beim Ausbau des „levelup“-Moduls eine große Rolle. Serielle Vorfertigung, einfache Planung und Ausführung, Gewichts- und damit Energie- und Materialreduktion, sortenreine, leicht trennbare Bauteile, einfache Revision und übersichtlicher Unterhalt, alles das unterstützt das insgesamt modular gedachte Projekt der Aufstockungswohneinheiten. Dabei wird im Trockenbau zwar mit anderen Materialien (Lehm statt Gips) experimentiert; der wesentliche, neue Ansatz ist aber das Weiterdenken der Systeme hinsichtlich noch einfacherer Veränder- und Demontierbarkeit. Es geht nicht nur um die Fertigung der Module und deren Aufbringung auf dem Bestandsgebäude, sondern auch darum, diese in sich umgestalten und anpassen zu können und letztendlich, sie auch einfach wieder herunter zu bekommen. Dass der auf leichte Montage/Demontage geplante Trockenbau – hier mit Lehm- und Reishülsenplatten – gut ins Designkonzept des „levelup“ insgesamt passt, macht ihn zur logischen Wahl. Dass er hier einmal weitergedacht auf eine breitere Bühne gehoben wird, macht ihn – hoffentlich – vorbildlich. Be. K.
Zukunftsweisende Vision für den Leichtbau unter dem besonderen Fokus von Rückbaufähigkeit und Rezyklierbarkeit. Das Projekt „levelup“ ist ein experimenteller Beitrag zur städtischen Nachverdichtung mit innovativen Werkstoffen und zukunftsweisender Haustechnik als nachhaltiger Ansatz für den Holz- und Trockenbau.«
DBZ Heftpartner Prof. Andreas Betz, Prof. Jochen Pfau, Prof. Jochen Stopper, TH Rosenheim
Projektdaten
Objekt: levelup | ROS
Standort: Wuppertal/Rosenheim
Typologie: Holzmodulwohnungsbau
Bauherrin: TH Rosenheim
Nutzerin: TH Rosenheim. Das Gebäude wird nach dem Wettbewerb als Kindertagesstätte und Familienbüro an der TH Rosenheim dauerhaft genutzt.
Projektteam studentisch: Giulia Bettini, Nadja Pollack, Marinus Limbrunner, Julia Paternoster, Julia Bachmaier, Sebastian Obermaier, Michael Hobmaier, Sabrina Sehnal, Jakob Werner, Florian Weides, Michael Rizzi, Lukas Steiner, Patricia Leitenbacher, Matthias Rummelsberger
Mitarbeiter:innen und Professor:innen der TH Rosenheim: Andreas Boschert, Yona Schmälzle (beide Projektleitung), Markus Wirnsberger, Prof. Andreas Betz, Prof. Dr. Jochen Stopper, Prof. Martin Kühfuß, Prof. Gabriel Weber, Prof. Mathias Wambsganß, Prof. Dr. Frank Buttinger, Prof. Dr. Gerhard Friedsam, Prof. Dr. Harald Krause, Prof. Erwin Friedl, Prof. Dr. Michael Krödel, Prof. Gerd Beneken, Prof. Dr. Uli Spindler, Prof. Arthur Schankula, Prof. Dr. Sandra Krommes, Prof. Mike Zehner, Prof. Dr. Brigitte Kölzer, Prof. Ulrich Grimminger, Prof. Dr. Jochen Pfau
Bauleitung: Giulia Bettini, Matthias Rummelsberger, Marinus Limbrunner und Yona Schmälzle
Fertigstellung: 06 | 2022
Wettbewerbsgrundstück: 324 m²
Nettogrundlfäche Wohnen: 120 m²
Fachplanung
Tragwerksplanung: Prof. Ulrich Grimminger, Andreas Laböck
Haustechnikplanung: Studiengang Energie und Gebäudetechnik (EGT)
Bauphysik: Studiengang EGT
Brandschutz + Holzkonstruktion: Studiengang Holzbau und Ausbau
Innenausbau: Studiengänge Innenausbau und Innenarchitektur
Nachhaltigkeitskonzept: Studiengänge Innenausbau, Innenarchitektur und Architektur
Lichtplanung: Studiengang Innenarchitektur
Energiewerte
Energiestandard: Über dem KfW 55-Standard
Primärenergiebedarf: Q‘‘P = 35,4 kWh/(m²a)
Endenergiebedarf Heizung: Q“H = 43,1 kWh/(m²a)
Endenergiebedarf Warmwasser: Q“TW = 19,3 kWh/(m²a)