Ørsted Gardens, Frederiksberg/DK
Die Fassade eines Wohnungsbaus aus den 1960erJahren bei Kopenhagen musste saniert werden. Die EigentümerInnen des Gebäudes nutzten die Gelegenheit, aus der Fassadensanierung einen Fassadenumbau zu machen. Damit lösten sie nicht nur bauphysikalische Probleme.
Text: Ina Lülfsmann / DBZ
Weil die alten Betonlaubengänge eines Geschosswohnungsbaus im dänischen Frederiksberg mit der Zeit durch Regenwasser beschädigt worden waren, musste die Fassade saniert werden – möglichst so, dass das Feuchtigkeitsproblem auch in Zukunft nicht wiederkehrt. Anstatt die Laubengänge mit Fenstern zu schließen, schlug das junge Büro Tegnestuen Lokal eine komplett neue Fassade vor. Damit reparierten sie den Bestand aus den 1960er-Jahren und gaben ihm ein neues Gesicht der 2020er-Jahre.
Vor dem Umbau: Das Gebäude aus den 1960er-Jahren entsprach der Ästhetik seiner Zeit. Der Anlass für die neue Fassade waren aber keine gestalterischen, sondern witterungsbedingte Gründe
Foto: Tegnestuen LOKAL
Historismus und Moderne
Frederiksberg ist eine Enklave im Großraum Kopenhagen. Als Anfang des 20. Jahrhunderts alle benachbarten Gemeinden der dänischen Hauptstadt zugeführt wurden, blieb Frederiksberg eigenständig. Die Kommune steckte viel Mühe in die Pflege ihrer Grünanlagen und der historistischen Ziegelbauten. In einer der besten Lagen von Frederiksberg liegt der Ørstedsvej, in direkter Nähe zum Kopenhagener Zentrum. Hier befindet sich eben jener Sechziger-Jahre-Bau, dem die EigentümerInnen im Zuge der Sanierung eine größere Geschossfläche spendierten. Als Kind seiner Zeit präsentierte er den Passanten über Jahrzehnte eine ebenso modernistische wie anonyme Fassade. Auch aufgrund der Tankstelle, die sich im Erdgeschoss befand, stach das Haus aus seiner Umgebung heraus. Als die Tankstelle jedoch schloss und ihre Räume an eine Supermarktkette verkaufte, ergab sich die Gelegenheit für eine Aufwertung des Gesamtensembles. In erster Linie musste die Straßenfassade erneuert werden. Hier befanden sich offene Laubengänge mit Betonbrüstungen. Bei Regen kam es immer wieder zu Feuchteeinträgen, sodass der Beton mit jedem Winter mehr Schaden nahm. Die EigentümerInnengemeinschaft veranstaltete einen kleinen Konzeptwettbewerb, um Ideen für den Umgang mit der Bestandsfassade zu sammeln.
Die neue Fassade fügt sich auf ganz eigene Weise in die Umgebung aus historistischen Ziegelbauten
Foto: Hampus Berndtson
Erweiterter Laubengang
Das 2015 gegründete Kopenhagener Architekturbüro Tegnestuen Lokal von Christopher Carlsen und Morten Bang beteiligte sich an dem Ideenwettbewerb. Für die beiden Architekten stand fest: „Die Eigentümer haben wenig Geld zur Verfügung, das wird nur ein kleiner Job und wir wissen nicht, ob sich überhaupt ein Auftrag draus ergibt. Also lasst uns was Verrücktes ausprobieren!“, wie Christopher Carlsen erklärt. Sie schlugen vor, die alte Betonbrüstung der Laubengänge zu entfernen und an ihrer Stelle das Haus durch eine Struktur aus versetzten Kuben, die sich in den Straßenraum schiebt, zu erweitern. Die Idee entstand, weil die Architekten auf der einen Seite zwar die bauphysikalischen Aspekte der Aufgabe sahen, auf der anderen Seite aber auch die kommunikativen Anforderungen. Carlsen erläutert: „Uns störte vor allem die Erschließungssituation des Ursprungsbaus. Bei Regen huschten die Leute schnell in ihre Wohnungen und es gab kaum die Möglichkeit, die Nachbarn zu treffen, geschweige denn Platz zum Verweilen auf dem schmalen Laubengang.“ Also entwarfen sie eine Fassade, die zusätzlichen Raum schafft: Sie erweiterten den Laubengang um kleine Balkon- und Beetflächen in den Straßenraum hinein. Von außen betrachtet ergibt die sägezahnartige Flächenerweiterung den Eindruck einer plastischen Struktur, die das Spiel von Privatheit und Öffentlichkeit nicht direkt ablesbar macht. Die Erweiterungsflächen sind mit Fenstern zum Straßenraum schließbar, so können die BewohnerInnen diese auch auch im Frühjahr und Herbst nutzen. Wer unter freiem Himmel sein will, tritt auf den Balkon hinaus, der zu jeder Wohnung auf der Gebäuderückseite vorhanden ist.
Die neu gewonnenen Flächen werden von vielen BewohnerInnen als Erweiterung des Wohnraums genutzt
Foto: Hampus Berndtson
Für die Architekten wurde es noch einmal spannend, als das Projekt zur Abstimmung bei der EigentümerInnenversammlung stand, wie Christopher Carlsen erzählt: „Alle 45 Bewohner mussten dem Projekt zustimmen, das war nicht ganz einfach. Viele waren zwar enthusiastisch, aber einzelne fragten sich, ob sich der Aufwand lohnt.“ Schließlich überzeugte sie aber, dass die neue Fassade gleich für mehrere Verbesserungen sorgen würde: Neben dem Witterungsschutgz bietet sie zusätzlichen Raum und Möglichkeiten des Zusammenseins und der zufälligen Begegnungen. Die größere Fläche steigert zudem den Wert des Gebäudes, was auch ein Argument für den neuen Eigentümer des Erdgeschosses war, der einen Teil der Kos-ten des vergleichsweise aufwendigen Umbaus übernahm.
Aufgefächerte Kuben erzeugen einen neuen Rhythmus im Straßenraum. Sie lassen sich mit geschlossener Glasfront als Wintergarten nutzen und mit offenen Fenstern als Balkon
Foto: Hampus Berndtson
Im Februar 2020 wurde die Fassade nach sechsmonatiger Bauzeit fertiggestellt. Die BewohnerInnen nutzen seitdem die neu gewonnenen Flächen wie ein zweites Wohnzimmer. Im Sommer stehen viele Wohnungstüren offen, sodass der Laubengang eine nutzbare Schwelle zwischen drinnen und draußen bildet, zwischen gemeinsamem und privatem Wohnraum. Weil die Wohnungen schon immer über Laubengänge erschlossen wurden, waren auch vor dem Umbau oft die Gardinen vor den Fenstern zugezogen, um neugierige Blicke auszusperren und weil die Räume dahinter nicht zwingend Tageslicht benötigen. So hatte die zusätzliche Verschattung durch die neue Fassade kaum Auswirkungen auf die Innenräume. Vielmehr dient der Anbau nun als thermische Pufferzone, welche die Wärmeverluste im Winter minimiert.
Nach dem Fassadenumbau erzeugen aufgefächerte Kuben einen neuen Rhythmus im Straßenraum. Sie lassen sich mit geschlossener Glasfront als Wintergärten nutzen und mit offenen Fenstern als Balkone
Foto: Hampus Berndtson
Dreieckige Minigärten
Von außen betrachtet erklärte sich der Ursprungsbau aus der autogerechten Stadtplanung: lange Fassadenbänder, schnell mit dem Auge zu erfassen, eine Tankstelle im Erdgeschoss. „Wir betrachteten die alte Fassade und wollten das Gegenteil machen. Wir sind nicht anti-modern, aber dieses kalte und minimalistische Gebäude fanden wir unangemessen“, erläutert Christopher Carlsen die gestalterische Idee. „Es ist ein langes Gebäude, wir wollten es gliedern, dem Straßenraum einen Rhythmus geben und zeigen, dass hinter jedem Dreieck Menschen wohnen.“ Mit den Dreiecken sind die Kuben gemeint, die neue Fassade visuell darstellen und die vor dem Laubengang liegen. Je Geschoss versetzt, bilden sie einen Rhythmus aus dreieckigen Innen- und Außenflächen für abwechselnd Balkone und Beete. Auf den außenliegenden Flächen wachsen Pflanzen, die an Holzlamellen des schräg darüber liegenden Kubus emporranken. Für das Bepflanzungskonzept beauftragte Tegnestuen Lokal die Gärtnerei BUUS anlægsgartner. Damit die Pflanzen nicht nach einem Jahr vertrocknet sind, pflanzte er zum Test viele verschiedene Arten. Nach einiger Zeit war zu sehen, welche Pflanzen mit den Gegebenheiten zurechtkommen. Zusätzlich befreit ein automatisches Bewässerungssystem die BewohnerInnen von der Gießverantwortung, sodass die Beete auch nach über einem Jahr noch grün sind.
Der neue Holzboden im Laubengang erzeugt eine Gemütlichkeit, die die Straßenansicht kaum erwarten lässt.
Foto: Hampus Berndtson
Die Architekten mussten keine Änderungen an den Wohnungsgrundrissen vornehmen. Neu ist der Laubengang mit Balkonen und kleinen Beetflächen, die sich sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen abwechseln
Foto: Hampus Berndtson
Durch die versetzten Körper entstehen dreieckige Beetflächen. Die Pflanzen wachsen an den Holzlamellen in die Höhe und ergänzen die Materialcollage aus Holz, Stahl und Glas.
Foto: Hampus Berndtson
Stahl, Holz und Ziegel
Für die Detailplanung arbeiteten die Architekten mit dem Ingenieurbüro Cowi zusammen. Dabei wurde schnell klar, dass für die neue Fassade nichts an der Statik des Gebäudes verändert werden muss. Der Stahlbetonträger zwischen Erdgeschoss und den Obergeschossen war bereits so dimensioniert, dass er die zusätzlichen Lasten der neuen Fassade aufnehmen konnte. Für die Auskragung wurde ein Stahlwinkel an dem alten Stahlbetonträger befestigt, auf dem ein weiterer Stahlträger für die Lastverteilung der neuen Fassade sorgt. Die Fassade steift über durchgehende Eckstützen in den Obergeschossen aus, die horizontal miteinander verbunden sind. Dieser Rahmen ist zusätzlich an den alten Stahlbetondecken der Laubengänge befestigt. Damit Balkone und Laubengang eine optische Einheit bilden, planten die Architekten einen einheitlichen Holzbodenbelag. Im Laubengang wurde dieser auf dem alten Stahlbeton montiert.
Das Erdgeschoss sollte sich visuell von den Obergeschossen unterscheiden, um die verschiedenen Nutzungen zu betonen. Mit dem Umbau bekam es eine Ziegelfassade und schließt damit optisch an das Material der umgebenden Häuser an. Einzig der Eingang des Gebäudes ist noch von der ursprünglichen Straßenfassade aus den Sechzigerjahren geblieben. Er verrät, dass das Gebäude mehr Zeitschichten besitzt, als die neue Fassade vermuten lässt.
Für die neue Fassade waren keine Änderungen der Statik erforderlich. Ein ausreichend dimensionierter Stahlbetonträger, hinter der Ziegelfassade, zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss, nimmt auch die neuen Lasten auf
Foto: Hampus Berndtson
Für die neue Fassade waren keine Änderungen der Statik erforderlich. Ein überdimensionierter Stahlbetonträger, hinter der Ziegelfassade, zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss nimmt auch die neuen Lasten auf.
Foto: Hampus Berndtson
Anschluss Auskragung, Detail, M 1 : 25
1 Holzbohle 22 mm
2 Abdichtung zwischen Beton und UNP-Profil
3 Absturzsicherung
4 Bodenaufbau:
Substrat
Drainplatte
Abdichtung
Stahlplatte
Stahlwinkel 280 x 100 mm
Stahlträger
5 Stahlprofil UNP 280 mm
6 Stahlprofil 60 x 27 mm
7 Metallplatte 8 mm
8 Regenfallrohr
9 Ziegelmauerwerk
10 Dämmung Mineralwolle 175 mm
Anschluss Laubengang, Detail, M 1 : 12,5
1 Laubengang Bestand
2 Deckenverkleidung, Hutprofil 25 mm
3 Holzbohlen 22 mm
4 Abdichtung zwischen Beton und UNP-Profil
5 Stahlprofil UNP 280 mm
6 Abdichtung
7 Stahlplatte
8 Stahlwinkel 50 x 50 mm
9 Stahlträger
Entfernung der Betonbrüstungen
Tegnestuen LOKAL
Christopher Carlsen, Morten Bang
www.tegnestuenlokal.dk
Foto: Tegnestuen LOKAL
Baudaten
Objekt: Ørsted Gardens
Standort: H. C. Ørstedsvej 25-27, 1879 Frederiksberg/DK
Typologie: Wohnungsbau
Bauherr: 872 E/F H. C. Ørstedsvej 25-27, Salling Group
Nutzer: WohnungseigentümerInnen, Netto (Tochtergesellschaft der Salling Group)
Architekt:
Tegnestuen LOKAL, Kopenhagen/DK,
www.tegnestuenlokal.dk
Mitarbeiter (Team):
Christopher Carlsen, Morten Bang
Beratung: Smemek, Skjern/DK,
www.smemek.dk; CEJ Ejendomsadministration, Kopenhagen/DK,
wwwcej.dk; Henneby Nielsen, Odense/DK, www.henneby.dk
Generalunternehmer:
Amstrup & Baggesen, Odense/DK,
www.amstrup-baggesen.dk
Bauzeit: August 2019 – Februar 2020
Tragwerksplaner: COWI, Kongens Lyngby/DK, www.cowi.com
Landschaftsplanung: BUUS anlægsgartner, Brabrand/DK,
www.buus-ag.dk
Projektdaten
Grundstücksgröße: 2 215 m²
Nutzfläche: 3 384 m² (Bestand) + 285 m² (Neue Balkone)
Nutzfläche gesamt: 3 669 m²
Hersteller
Fenster, Fassade:
Alumentdk, www.alumentdk.dk
Decke: Rockpanel, www.rockpanel.de
Stahlbau:
Give Stål, www.givesteel.com;
Smemek, www.smemek.dk
Der Bestand, durch anonym-homogene Laubengänge charakterisiert, wird vollständig aufgebrochen und neu gestaltet. Die Fassade hat mit der alten nichts mehr zu tun, sie spielt mit Privatheit und Öffentlichkeit, wird zum Ort des Austauschs. Es gelingt, nur mit der Veränderung des vormaligen Laubengangs, eine Aufwertung des gesamten Gebäudes von einem ‚hässlichen Entlein‘ zu einem spannenden Wohnungsbau. Der ungeliebte Ort wird zum wichtigsten Argument für die Wohnung.«
DBZ HeftpartnerInnen Schellhorn & Heese, Michendorf