Überirdisch für die Kunst unterirdisch Städel-Erweiterung, Frankfurt a. M.
„Natürlich gehen die Menschen nicht gerne unter die Erde … aber es ist so, wie mein Partner Till Schneider es beschrieben hat: Es ist nicht genial, dass wir unter die Erde gegangen sind, es ist toll, wie wir das mit der Kuppel gemacht haben. Darauf sind wir stolz“ (M. Schumacher in DBZ 02 2012)
Stolz sind die Architekten auf ihre Arbeit am Städel Museum, und wer sich bereits auf der Baustelle und gar während der Aufbauarbeiten der Museumsleute im Neubau hat bewegen dürfen, der wird das verstehen können. Andere sind ebenfalls stolz, denn die Realisierung der Erweiterung des Städel Museums hing nicht an einem großen Geldbeutel, dem eines Kunstsammlers oder der Stiftung eines Automobilkonzerns beispielsweise. Nein, das Museum am südlichen Mainufer war immer schon eine feste Institution der bürgerlichen Stadtgesellschaft, und ist es mit dem Erweiterungsbau mehr denn je. Diese steuerte etliche Millionen zur Bausumme von insgesamt 52 Mio. € bei (Neubau und Altbausanierung); teils waren das große Einzelspenden, teils kleinere Summen. So beispielsweise der Erlös einer Versteigerung der Frankfurter Schillerschule, bei der 1200 SchülerInnen selbst gemalte Bilder zum Kauf anboten. Oder man erwarb gelbe Gummistiefel – Markenzeichen der Städel-Bürgerkampagne. Das Ergebnis dieser und vieler weiterer Aktionen darf dann auch stolz machen.
Institutsgründung bis Erweiterung heute
1816 wurde in Frankfurt am Main das Städelsche Kunstinstitut aus dem Nachlass des im Jahr zuvor verstorbenen Frankfurter Bankiers und Gewürzhändlers Johann Friedrich Städel ins Leben gerufen. Ab 1878 fand die Sammlung in einem nach Plänen von Oskar Sommer fertig gestellten Museumsneubau am südlichen Mainufer ihren ersten, repräsentativen Ort. 1899 wurde der für das heutige Wohl und Wehe des Städel so wichtige „Städelsche Museums-Verein“ gegründet. Der jetzt so genannte Mainflügel wurde 1921 um den Gartenflügel erweitert, 1990 entstand ein weiterer Anbau zur Holbeinstraße nach Plänen des Architekten Gustav Peichl. Und nun die unterirdische Erweiterung, die man sicher im Zusammenhang mit der Überlassung von 600 Werken aus der Sammlung Deutsche Bank und der Übergabe von 220 Fotografien aus der DZ BANK Sammlung im Jahr 2008 im Zusammenhang sehen kann. Im Jahr zuvor gab es einen geladenen Architekten-Wettbewerb, der im Februar 2008 vom Frankfurter Büro schneider+schumacher gewonnen wurde. Beteiligt hatten sich zudem Diller Scofidio + Renfro, Gigon/Guyer, Jabornegg & Pálffy, Kuehn Malvezzi, SANAA, UNStudio und Wandel Hoefer Lorch + Hirsch Müller.
Der Gartenhallenentwurf
Der Blick auf die Entwürfe der Mitbewerber im Wettbewerb 2007/2008 zeigt im Wesentlichen die zwei Varianten, wie die geforderten 3000 m² Erweiterungsflächen im oder auf oder neben dem Bestand möglich sind: als oberirdische Hinzufügung (Garten, Flügeldach oder -zwischenräume), oder als unterirdische Ergänzung (mit schneider+schumacher wählten letztere SANAA und Wandel Hoefer Lorch + Hirsch Müller). Heute erscheint die „Kellerlösung“ (so jedenfalls schrieben manche Kritiker nach der Präsentation) die logische Variante. Nicht bloß, weil damit die Blickbezüge des dreiseitig gefassten Gartenraumes unangetastet bleiben (vor allem zwischen Städel und Städelschule vis-à-vis). Sondern auch, weil mit der akzentuierten Aufwölbung der von 195 Glasaugen im Raster gelöcherten Gartendecke tatsächlich Architektur oberirdisch realisiert wurde. Der von den Architekten auch „Blub“ genannte Hügel im Zentrum der Grünfläche lenkt mindestens so viel Aufmerksamkeit auf den Ort, wie jedes noch so spektakuläre Zeichen das hätte machen können; nur wesentlich subtiler. Im eigentlich Leeren der Rasenfläche wirkt die gut zwei Meter hohe Kuppe, als wäre sie das Ergebnis einer Aufhängung des Ganzen an einem unsichtbaren wie zugleich enorm starken Faden, der die Erdkruste vom Rest leicht abgehoben hat. Oder, um mit den Worten der Architekten zu sprechen, es handelt sich hier „um ein Versprechen auf etwas, was sich da unten befindet und was auch nach draußen strebt, den Kontakt sucht.“ (Till Schneider in o. g. Interview).
Diese Perspektive auf den Hubbel beschreibt nur das eine, das Konvexe. Wer innen steht in der großen Ausstellungshalle, dem offenbart sich zudem das andere, das Konkave. Und das wirkt orientierend: Die verwirrende Landschaft der auf einer Fläche von 53 x 48 m eingestellten 15 Kunstboxen, die, beinahe raumhoch, weitere Durchblicke nicht erlauben, wird über die sich zum Zentrum hin kontinuierlich aufwölbende Decke geordnet. Wer sich im Kunstrausch verlaufen hat, sollte loslassen und sich der orientierenden Gravitationskraft des Deckenraumes aussetzen.
Erschließung
Auch die Erschließung des Gartenpavillons war wettbewerbsentscheidend, ist sie doch so einfach wie funktional richtig. Durch das Öffnen der beiden Bogenfelder rechts und links des Aufgangs im Hauptfoyer gelangt der Besucher nun über schmale Treppen hinab auf das Niveau des Alten Foyers. Von hier aus führt eine dem Ort angemessen massige wie zugleich noble Treppenskulptur hinab auf das Niveau des Erweiterungsbaus. Der in der Länge eng wirkende Querschnitt der ersten Treppen rechts und links, die Atmosphäre von Unentschiedenheit und Restfläche im ehemaligen Foyer mit Vorraum bereiten die Besucher mittels Spannungsaufbau auf das Licht- und Raum- und Kunsterlebnis vor, das sich ihnen am Ende ihrer Reise bietet. Die neue und wie selbstverständlich jetzt vorhandene Achse vom Foyer in den Garten hinab hat keine Vorgeschichte, die beiden nun geöffneten Bögen hatten bis dahin rein dekorativen Charakter.
Gartenhallen/Konstruktion/Licht etc.
Die neuen Gartenhallen werden zusammen mit den Depot- und Technikflächen von einem im Erdreich liegenden quaderförmigen Stahlbetonkörper gebildet, der in etwa die Abmessungen 76 x 55 Meter, bei einer Raumhöhe von 6 bis 8 Metern hat. Seine frei geformte, von 195 begehbaren „Augen“ perforierte Decke ermöglicht es, die Ausstellungsflächen natürlich zu belichten. Die frei geformte Deckenschale ist in einem mittleren Bereich von ca. 26 x 26 Metern bis zu 2,20 Meter nach oben gewölbt. Der umlaufende, horizontale Deckenbereich steift diese Wölbung aus. Die Dicke dieser Stahlbeton-/Spannbetonkonstruktion variiert von 35 bis ca. 60 cm. Die Deckenschale ruht auf nur zwölf Innenstützen und den umlaufenden Stahlbetonaußenwänden. Die Gründung erfolgt auf einer tragenden Bodenplatte (h = 40 cm), die im Bereich der Stützen verstärkt ist. Auf Grund der Tiefe des Neubaus und des hohen Grundwasserstandes wird der Bau durch Betonzugpfähle (sowie Erdsonden für Erwärmung und Kühlung) gegen mögliches Aufschwimmen gesichert. Alle außen liegenden Betonkonstruktionen sind als weiße Wanne ausgebildet, die um eine schwarze Abdichtung ergänzt wurde.
Das modulare Wandsystem innen ermöglicht eine völlig flexible Ausstellungsarchitektur innerhalb der Gartenhallen. Die Wände der Boxen enthalten die für Klimatisierung und Kunstsicherung notwendigen Techniken.
Die fest eingebauten Oberlichter wurden so in die Decke eingefügt, dass sich das Tageslicht diffus nach unten und auf den Öffnungsrand ausbreiten kann; damit wird ihre Blendwirkung aufgelöst zugunsten einer homogenen Gesamtbelichtung. In den einbruchgesicherten Glasöffnungen befindet sich ein Verschattungssystem, welches direkte Sonneneinstrahlung verhindert und die Möglichkeit bietet, das Tageslicht vollständig auszublenden. Zwischen den transluzenten Screens liegt ein Ring von LEDs, der für eine ausreichende Helligkeit zu jeder Tageszeit und Witterungslage sorgt. Dass die Oberlichter einzeln oder in Gruppen komplett geschlossen werden können, möchten die Kuratoren nutzen, um punktuell entweder lichtempfindliche Kunst zeigen zu können, oder beispielsweise Videos.
Wärme-/Kälteerzeugung
Die Wärme- und Kälteerzeugung erfolgt mittels Erdpendelspeicher und nachgeschalteter Wärmepumpe. Mit dem Erdpendelspeicher können saisonale Schwankungen des Energiebedarfes ausgeglichen werden. Im Weiteren kann mit der Wärmepumpe ein Teil der Beheizung und Kühlung des Museumsgebäudes mit erneuerbarer Energie erfolgen. Zur Wärme- und Kälteverteilung dienen der Fußboden und die Betondecke. Die Lüftungsanlage ist mit einer hocheffizienten Wärmerückgewinnung ausgerüstet. Die Luftansaugung erfolgt über ein Erdregister, das die Luft im Sommer und Winter vorkonditioniert. Hierdurch kann ein für den Museumsbetrieb optimales Raumklima mit minimalem Energieaufwand erzeugt werden.
Altbausanierung
Im Zuge der Bauarbeiten, welche die Erschließung und Anbindung über den Main- und Gartenflügel beinhalten, wurden zeitgleich seit Langem vorhandene Mängel in den beiden Altbauflügeln beseitigt. Das gesamte Haus wurde barrierefrei erschlossen, zusätzliche Fluchttreppen und -wege eingerichtet und umfangreiche Brandschutzmaßnahmen getroffen. Die Einrichtung und Hängung der Sammlungen, die Raumaufteilung im historischen Altbau sowie das Beleuchtungskonzept der Galerieräume wurden umfassend modernisiert und an die Anforderungen eines modernen Museumsbetriebs im 21. Jahrhunderts angepasst. Zusätzlich wurden besucherorientierte Infrastrukturangebote wie eine neue Museumsbuchhandlung mit Shop und Café und die Städelbibliothek neu eingerichtet beziehungsweise umfassend saniert.
Die Neueröffnung des Gartenflügels mit der Präsentation der „Kunst der Moderne“ (1800-1945) stand am Beginn von drei großen Sammlungseröffnungen des Städel Museums und bot ab 17. November 2011 einen konzentrierten Überblick über die Entwicklung der europäischen Malerei- und Skulpturgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert.
Mit der daran anschließenden Neueröffnung des Mainflügels präsentierte sich auch die Sammlung der „Alten Meister“ (bis 1800) ab Mitte Dezember 2011 in neuem Glanz. Die neue Sammlungspräsentation beleuchtet jetzt zentrale Aspekte und Etappen der europäischen Malereigeschichte zwischen 1300 und 1800 und überrascht – ebenso wie die „Kunst der Moderne“ – mit gewichtigen Neuzugängen innerhalb der Städel-Sammlung. Der Erweiterungsbau wurde dem Publikum erstmals am 25. und 26. Februar 2012 im Rahmen von Tagen der offenen Tür präsentiert.
„Die räumlichen Qualitäten sind sehr unterschiedlich“
„Ob man sich im Mainflügel, dem Gartenflügel, dem Peichlbau oder in den Gartenhallen befindet, die jeweils erfahrbaren räumlichen Qualitäten sind sehr unterschiedlich. Diese Unterschiedlichkeit arbeitet einer Gleichmacherei entgegen. Wir haben hier ein Zusammenspiel hinbekommen zwischen dem, was ausgestellt wird und dem Raum, in dem die Kunst gezeigt wird. Das macht das Städel so spannend. Im Gegensatz zum Louvre, in dem man unendlich durch ähnliche Räume hindurch läuft, hat man hier sehr differenzierte Raumlogiken. “ (schneider+schumacher in dem o. g. Interview)
Tatsächlich, so sehr auch die Gartenhallen als Einzelbau etwas Einmaliges sind, die Bauaufgabe Erweiterung gewinnt eindeutig im Kontext. Das, was die Architekten als zeitgenössischen Gegenpol zum historischen Bestand sensibel wie selbstbewusst und fast schon mit zwingender Logik erfunden haben, wäre ohne die Oberlichtersäle in klassischem Rot und Blau oben, wäre ohne die Alten Meister dort, wäre ohne den postmodernen Anbau von Peichl nur halb so wertvoll. Das „Dorf für die Kunst“ unten, mit seiner Piazza und seinen Postoncini, seinen schmalen Gassen und überraschenden Aus- und Durchblicken, den engen Höfen und immer dem Anschein von wirklichem Himmel darüber, konzentriert viele der Raumthemen, die sich im Städel Museum insgesamt finden lassen. Dass man dieses Dorf ohne weiteres in etwas ganz anderes umbauen kann – eine große Halle vielleicht, in welcher ausschließlich Skulpturen zu sehen wären – widerspricht dem nicht, im Gegenteil. Be. K.