Der Wert des öffentlichen Raums
Die Macherinnen dieses Buches haben ein Anliegen, welches über das hinausgeht, was das Buch zu sein scheint. Es scheint (nur) eine Dokumentation von öffentlichen Plätzen in Italien zu sein: Das Buch katalogisiert 35 städtische Orte, sortiert nach zehn Typologien, die die Herausgeberinnen, Maria Claudia Clemente und Francesco Isidori vom italienischen Architekturbüro Labics, dafür herausgearbeitet haben: Portico, Loggia, Covered Square, Urban Courtyard, Gallery, Steps, Urban Terrace, Bridge, City Room und Frame.
Jeder Ort wird mit feinen Plänen (leider ohne Maßstabsangabe), ganz- oder sogar doppelseitigen Fotos und einem einordnenden Text zur Entstehung vorgestellt – ein ganzseitiger Lageplan sowie eine detaillierte Axonometrie verschaffen einen guten Überblick. Grundriss, Schnitt und Ansicht in sehr großem Maßstab zeigen unter anderem Bodenbeläge und Fassadengestaltung. So kann sich die Leserin zum Beispiel in den Mercato del Pesce di Rialto in Venedig hineindenken oder in den Palazzo mit Piazza del Municipio in Ferrara, ohne jemals dort gewesen zu sein.
Das eigentliche Anliegen der Macherinnen, das wird in der knappen theoretischen Einleitung deutlich, ist aber nicht, allein die Schönheit italienischer Plätze hervorzuheben. Viel mehr sorgen sie sich um heutige Städte und ihre öffentlichen Räume, die aus ihrer Sicht aufgrund des starken Wachstums an Qualität verlieren. Das liege unter anderem auch daran, dass die Rolle von öffentlichen Akteuren bei der städtischen Transformation immer kleiner wird. Der größte Verlierer der zunehmenden Privatisierung sei der öffentliche Raum. Die italienischen Beispiele nutzten die beiden Autorinnen also, um den Ursprung der „städtischen Krise“, wie sie es nennen, zu ergründen, indem sie analysieren, was diese Orte so einmalig und schön macht.
Diese Beispiele eint, dass sie Architektur und städtischen Freiraum auf besondere Weise miteinander verbinden. Die Gebäude sind nicht losgelöst vom öffentlichen Raum und umgekehrt, sie gehen eine zwingende Verbindung ein. Wer sich die Mühe macht, den englischen Vortext zu lesen – und das ist sehr empfohlen – wird mit geschärftem Blick für die Details der Zwischenräume, Plätze und Straßen durch die Stadt und an die eigene Arbeit gehen. Der Essay des Architekturhistorikers Marco Biraghi am Ende des Buches geht vertiefend auf den öffentlichen Raums an sich ein und macht deutlich, dass er historisch betrachtet nicht aus Orten bestand, die „allen gehören“, sondern zu denen jede und jeder ihren und seinen Teil beitragen sollte. In diesem Sinne ist „The Architecture of Public Space“ zwar ein wahres Schmuckstück von Buch, aber auch eine Mahnung an alle Planerinnen, Entwerfer und Bürgerinnen, den Wert des öffentlichen Raums als gemeinschaftlichen Ort nicht aus den Augen zu verlieren. IL