Freizeit gestalten
DBZ-Heftpartner Auer Weber, München/Stuttgart
Work-Life-Balance, streikendes Zugpersonal, 4-Tage-Woche – wir diskutieren viel über die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Was ist zu viel, was zu wenig? Unbestritten ist, wir haben deutlich mehr Freizeit als alle Generationen vor uns. In dieser Zeit gehen wir in Konzerthäuser, ziehen im Schwimmbad unsere Bahnen, setzen uns in den Park und lesen ein Buch – alles Orte, die es zu gestalten gilt.
Markus Hennig, Julia Schmid und Felix Wiemken,Auer Weber, Stuttgart/München
Foto: Auer Weber
Oft ist ein regelrechter Freizeit-Druck zu verspüren, auch auf öffentliche Räume und Ausflugsziele: der Bedarf der Gesellschaft nach Erholung scheint immens. Je mehr sich unser Leben zeitlich und räumlich verdichtet, desto stärker wächst das Verlangen, den Alltag hinter sich zu lassen. Dennoch wird auch die Freizeit zunehmend verdichtet, wir wollen mehr in kürzerer Zeit erleben. Unser Mobilitätsradius wird größer, Städter pendeln in die umliegende Natur, Bewohnerinnen des ländlichen Raums zum Konzert in die urbanen Zentren, Suburbia pendelt sowohl als auch. Wieviel Mobilität darf unsere Freizeit in Anspruch nehmen? Kann auch unsere Freizeitgestaltung Teil der 15-Minuten-Stadt sein?
Freizeitbauten sind Attraktoren. Sporthallen, Skate-Plätze, Parkanlagen oder Berghütten; alle diese Orte sind Anziehungspunkte und wichtige Bausteine für räumliche Gefüge, da sie Orte der Gemeinschaft formulieren und Kommunikation konzentrieren. Vielleicht haben sich die Aktivitäten über die Jahrhunderte verändert – lustwandelte man früher eher durch den Park, trifft man sich heute dort zum Fußballspielen – die Aufgaben im räumlichen Kontext haben sich nicht geändert: Menschen zusammenbringen, sehen und gesehen werden. Und Gemeinschaft konstituieren.
Der Begriff „Freizeit“ ist untrennbar mit der Definition von „Arbeit“ verbunden; ohne diesen Gegenpol könnte er nicht existieren. Gegenstand der öffentlichen Wahrnehmung wurde die Freizeit im Zuge der Arbeiterbewegung Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Pflege von Körper und Geist wurde zunehmend zur Pflicht jedes Einzelnen, es wurde aber auch zunehmend zur Aufgabe des Staates, sich um die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in Form von Freizeitbauten zu kümmern.
Freizeitbauten werfen somit auch immer soziale Fragen auf: Wie viel soziale Teilhabe will sich unsere Gesellschaft leisten? Wem gewährt man Zugang (in Form von Eintrittspreisen, Öffnungszeiten, Standortwahl, öffentliche Anbindung etc.)? Sollen Freizeitbauten weiterhin ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft erfüllen, müssen sie für alle Teile der Bevölkerung erschwinglich und niederschwellig gedacht, geplant und gebaut werden. Sie können Teil einer Förderpolitik gegen Ausgrenzung und für gesellschaftliche Teilhabe sein, ein Steuerungselement für Integration und Chancengleichheit – und sind somit hochpolitisch! Ohne diese Orte werden wir die anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen und die damit verbundenen Anforderungen nicht moderieren können: den demografischen Wandel und die damit einhergehenden Vereinsamungstendenzen, Integration, soziale Ungleichheit und den klimagerechten Umbau unserer bestehenden Räume.
Wie fließen all diese Überlegungen in die Umsetzung eines Projekts mit ein? Planen an sich ist ein demokratischer Prozess – im Idealfall kommen Menschen zusammen, begeistern sich, streiten sich, reiben sich, um die bestmögliche Lösung zu realisieren.
Gelingt dieser Prozess, ist am Ende mehr möglich als zuvor gedacht – aus einem primären Zweckbau kann ein zusätzliches Angebot entstehen, das weit über die ursprüngliche Aufgabe hinausgeht. Dieser Mehrwert ist es, der uns bei jedem Projekt aufs Neue begeistert und motiviert. Wir wollen programmatisch mitreden, beraten, aber auch zuhören und gemeinsam entwickeln.
Vielleicht bleibt aber unser wahrscheinlich wichtigster Impuls ein nahezu sinnlicher: Raum gestalten, für Menschen, für die wohl schönsten Stunden des Tages!