Die Kreise erweitern

Die TU Berlin möchte ihren Campus neu organisieren – und nutzt dies als Gelegenheit, die Forschung und Lehre ihrer Institute auch der Öffentlichkeit nahe zu bringen. So soll der zentrale neue Pavillon nicht nur die umfangreiche mineralogische Sammlung der TU beherbergen, sondern selbst auch zum Showcase des neuen Denkens und Handelns in Architektur, Bauingenieurswesen, Landschafts- und Städteplanung werden. Es geht um Partizipation, interdisziplinäre Problemlösungen und nicht zuletzt auch um Materialkreisläufe sowie das Ressourcenschürfen in der Stadt.

Der Campus der TU Berlin am Standort Charlottenburg ist eine Ansammlung von Institutsgebäuden ganz unterschiedlicher Epochen: Das Hauptgebäude im Stil der Neorenaissance wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und nur teilweise wiederaufgebaut. Ein schmuckloser Verwaltungsbau von Kurt Dübbers aus den 1960er-Jahren bildet heute dessen Frontfassade. Entlang der Straße des 17. Juni und rund um den Ernst-Reuter-Platz gruppieren sich weitere Institutsgebäude, teils aus dem 19. Jahrhundert, teils aus der Nachkriegszeit, wie die Architekturfakultät von Bernhard Hermkes und Hans Scharoun, und teils Ergänzungen neueren Datums ohne eigenen Charakter. Wer nicht an der TU studiert, ist sich oft jedoch gar nicht bewusst, dass die TU nicht nur entlang der Magistrale existiert, sondern auf der Rückseite des Hauptgebäudes auch über einen – mehr oder weniger – grünen Campus verfügt, der ursprünglich von der Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher in der 1950er-Jahren gestaltet wurde und heute unter Denkmalschutz steht. Eine Qualität, die es wieder zu entdecken gilt – und die längst schon ein zeitgemäßes Update verträgt.

Förderung des Tourismus

„Die ursprüngliche Idee war, den Innenraum des Campus zu sanieren und für mehr Aufenthaltsqualität zu sorgen“, sagt Eike Roswag-Klinge, der am Natural Building Lab an der TU lehrt und mit seinem Büro ZRS Architekten an der Umsetzung des neuen Pavillons beteiligt ist. „Allerdings ist das Geld für solche Vorhaben notorisch knapp und es war zunächst nicht klar, ob die TU die Finanzierung gestemmt bekommt.“ Dann fand die Verwaltung jedoch heraus, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz eine Förderung für die „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) vergibt. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf beantragte diese Förderung, um das Gebiet touristisch besser zu erschließen und übertrug die Bauherrnschaft an die TU. Damit gab sie ihr die Freiheit, das Projekt nach den eigenen Vorstellungen umzusetzen.

Schon diesen Prozess kann man als experimentell begreifen: „Von Hochschulseite war uns schnell klar, dass wir keinen geladenen Wettbewerb mit seinen standardisierten Verfahren ausloben wollten, sondern den gesamten Prozess als Teil der Forschung und Lehre an der TU begreifen möchten“, erinnert sich Eike Roswag-Klinge. Entlang und abseits der Hertzallee, der zentralen Erschließung des rückwärtigen Campus, sollte ein Netz aus „Wissenspfaden“ entstehen, die zu sogenannten „Wissensbojen“ mit Infos zur Universität, deren Geschichte, ihrer Lehre und Forschung führen. Eine App ergänzt das Angebot und soll den geschätzten 20 000 bis 25 000 Besuchern pro Jahr zur eigenständigen Orientierung auf dem Campus dienen. Im Zentrum steht jedoch der Wissenspavillon, der als Fokuspunkt des Wegesys-tems, zentraler Ausstellungsort, Veranstaltungs- und Experimentierfläche für verschiedene Akteure von TU Berlin und UDK gedacht ist. Und nicht zuletzt auch von Touristinnen und Touristen frequentiert werden soll, die sich hier über das aktuelle Treiben auf und rund um den Campus informieren können.

Partizipation statt Wettbewerb

„Um uns vom Ausschreibungsverfahren entfernen und dennoch eine begleitende Qualitätskontrolle gewährleisten zu können, hat sich die Universität dazu entschlossen, einen Fachbeirat einzuberufen, der regelmäßig im Austausch und kritischen Dialog mit den Studierenden stand“, sagt Eike Roswag-Klinge. Damit dieser möglichst viele Perspektiven der unterschiedlichen Nutzergruppen einnehmen kann, wurden Expertinnen und Experten aus der Architektur, Landschafts- und Städteplanung in das Gremium geladen, aber auch Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft. Ziel sei es gewesen, gemeinsam mit ihnen und den Studierenden einen integrativen Entwurf für das Gebäude und den umliegenden Campus in einem offenen Planungsprozess zu generieren.

Es floss also von Beginn an nicht nur viel Aufwand in die eigentliche Planung, sondern auch in die Ausgestaltung neuer Prozesse: „Der Pavillon, das stand schon früh fest, sollte ein Showcase des kreislaufgerechten Bauens werden“, sagt Sina Jansen, die den Pavillon seit 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschung und Lehre begleitet und im Rahmen des Projekts unterrichtet hat und die heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin das Natural Building Labs die Planung von universitärer Seite aus begleitet. „Beim Tragwerk, bei den Außenwänden, Decken und Böden soll in erster Linie Altholz zur Anwendung kommen. Außerdem soll der Pavillon ohne moderne Klima- und Lüftungstechnik auskommen.“ Ein solches Gebäude sei für die meisten kein Standard, sie mitzunehmen bei der Planung und Entwicklung sei ein wichtiger Faktor für die spätere Akzeptanz, Nutzung und Pflege des Gebäudes.

Studierende als Planende

Bei Null fingen das studentische Projektbüro und der Fachbeirat allerdings nicht an: „Bereits seit 2019 wurden in der Lehre zu verschiedenen Teilfragen des Projekts Visionen und Ideen an verschiedenen Insituten entwickelt. Diese galt es nun gewinnbringend zu verschmelzen und in Bezug zu einander zu setzen“, erinnert sich Sina Jansen. „Deshalb haben wir in einem ersten Entwurfsstudio die zahlreichen Vorarbeiten aus den Fakultäten Bauingenieurwesen, Architektur und Landschaftsarchitektur gesichtet, bewertet und erkundet, wie sie in ein Gesamtkonzept eingebunden werden können. Daraus ist der Vorentwurf des studentischen Projektbüros entstanden.“ Neben der Durchwegung des Campus, dem Fokus auf das Kreislaufgerechte Bauen und dem Low-tech-Ansatz verpflichteten sich die Teilnehmenden damit auch, die Versiegelung der Fläche so gering wie möglich zu halten. Der Pavillon sollte aufgeständert werden, anstatt mit einem raumgreifenden Betonfundament große Teile des Campus zu versiegeln und zusätzlich hohe CO₂-Emissionen zu erzeugen. Außerdem wurde eine primäre Nutzung des Pavillons als Ausstellungsfläche für die Mineralogische Sammlung der TU beschlossen und die sekundäre als Versammlungs- und Experimentierort für TU und die benachbarte Universität der Künste. Zudem sollte der Bau als Reallabor organisiert werden, dessen Dokumentation und wissenschaftliche Begleitung später zur einer weiteren Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen genutzt werden kann.

„Von hier aus wurden die Einzelthemen für das weitere Projekt mit in den Seminarplan aufgenommen und so im Rahmen der Lehre unterschiedliche Lösungsansätze für die auftauchenden Fragestellungen entwickelt“, erzählt Sina Jansen. Die Ergebnisse dieser Entwurfs- und ­Modellarbeiten stellten die Studierenden regelmäßig dem Fachbeirat vor. „Dabei war es zunächst gar nicht so einfach, die Expertinnen und Experten aus ihrer vermeintlichen Jury-Rolle ­herauszuholen.“ Denn statt nur zu urteilen, sollten sie den Prozess mit ihrer Erfahrung, mit Tipps und Anregungen für die Weiterentwicklung von Lösungen, die noch hinter ihrem Potenzial zurückbleiben, anregen. „So wollten wir erreichen, dass wir gemeinsam zukunftsweisende Lösungen in die Umsetzung bringen, anstelle  – wie sonst üblich – verschiedene Lösungen kompetativ nebeneinander her zu entwickeln“, erklärt Sina Jansen. Schließlich betreten beim Thema Kreislaufwirtschaft alle Akteure und Akteurinnen gemeinsam unbekanntes Terrain, für das neue Lösungsansätze erst noch ausgehandelt und entwickelt werden müssen.

Im Austausch mit dem Fachbeirat

Die Seminar- und Workshopthemen umspannten das ganze Planungsspektrum – vom Entwurf des Tragwerks mit Recyclingmaterial über verschiedene städtebauliche Ansätze bis hin zu Grundrissen und der Oberflächengestaltung. Das Feedback der Expertinnen und Experten war dabei jedoch keine direkte Handlungsanweisung, sondern wurde wieder im Team diskutiert, das weitere Vorgehen im Team entschieden. Das war einerseits eine pädagogische Maßnahme, durch welche die Studierenden lernen, sich eigenen Mängeln im Entwurf zu stellen und zu verbessern. „Andererseits ist es für uns auch zentral, dass eine neue Art des Bauens mit einer neuen Art der Entwicklung und Vermittlung einhergeht“, sagt Sina Jansen. Das Teilen und Weitergeben von Wissen sei für Nutzende wie Planende gleichermaßen eine Schlüsselqualifikation, um eine kreislauffähige Bauwirtschaft zu unterstützen und letztlich auch zu etablieren.

Im Prozess kristallisierte sich jedoch heraus, dass die große Runde bei Detailfragen nicht vorankam. Deshalb haben sich Expertenteams gebildet, die anhand der gemeinschaftlich gefundenen Grundsätze Einzelthemen wie Konstruktion, Setzung oder Gestaltung weiter vorantrieben. Gerade dem Tragwerk kam hierbei eine besondere Rolle zu: Wie kann ein großer Raum stützenfrei überspannt werden, wenn als Material nur solches aus noch unbekannten Quellen mit unbekannten Eigenschaften zur Verfügung stehen? In zahlreichen Skizzen und immer größer werdenden Modellen erprobten die Studierenden deshalb additive Tragwerke, die sich auch ohne lange Balken realisieren lassen. Und griffen dabei auch auf den Fundus der TU zurück. „Für die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft ist es gar nicht immer sinnvoll, das Rad neu erfinden zu wollen. Oft reicht es schon aus, neue Bezüge und Verwendungen für alt bekannte Techniken, Konstruk­tionen und Materialien herzustellen“, sagt Eike Roswag-Klinge, der mit dem Natural Building Lab und im eigenen Betrieb bereits seit Langem zum Thema forscht. Die Frage ist nicht: Welche Konstruktion ist überall gleich einsetzbar, sondern welche Konstruktion eignet sich an einem konkreten Ort für einen bestimmten Zweck – unter Einberechnung des spezifischen CO₂-Abdrucks sowie der grauen Energie, die in Schürfung, Aufarbeitung und Transport bereits benutzter Materialien zusammenkommen.

Mehr Material als gedacht

„Was das Thema Material angeht, haben wir positive Erfahrungen sammeln können“, berichtet Sina Jansen. „In sechs Abbruchhäusern quer durch alle Altersklassen der vergangenen 100 Jahre haben wir nur einmal das Holz aus dem Dachstuhl nicht verwenden können, weil es mit Flammschutz belastet war – deutlich seltener also, als wir vorab angenommen haben.“ Dadurch gerate auch das Argument derjenigen ins Wanken, die gleichwertiges Wiederverwendung von Baustoffen generell für abwegig halt, weil der Bestand zu sehr mit Schad- und Fremdstoffen belastet sei.

„Natürlich ist das händische Entfernen von Schrauben und Nägeln zu kosten- und zeitintensiv, um für reguläre Bauvorhaben infrage zu kommen. Aber in nur einem dreiviertel Jahr rund 600 verwertbare Balken sammeln und fast vollständig aufbereiten zu können, werten wir durchaus als Nachweis der Machbarkeit“, sagt Sina Jansen. Zumal die Quellen bislang in erster Linie aus dem Freundes- und Bekanntenkreis zugetragen wurden. Eine Melde- und Dokumentationspflicht bei Abrissvorhaben würde vieles erleichtern. „In der Regel sind wir auf sehr verständige Eigentümer, Generalübernehmer und Bauleiter getroffen, denen es selbst in der Seele weh tat, wie viel gutes Material sie bei einem zerstörenden Abriss vernichtet hätten“, so Sina Jansen. Für den gesamten Pavillon reiche das Material noch immer nicht, Hinweise auf Abrisshäuser sind weiterhin willkommen.

Derzeit scheuen Eigentümer und Entsorger meist noch die Mühen und Kosten, die mit einem zerstörungsfreien Rückbau einhergehen. Abbruchrecycling bedeutet dann, dass das Gebäude als Ganzes zerstört und erst im Anschluss für die thermische Verwertung oder die Verwendung als Schüttung im Straßenbau sortiert wird. Mit diesem Downcycling wird die Bauwende jedoch nicht gelingen. „Deshalb entwickeln wir in dem begleitenden Reallabor „B(e) Ware“ gemeinsam mit dem Bauingenieurwesen ein Verfahren, bei dem Expertinnen und Experten die möglichen Recyclingquellen vor Ort begutachten, damit Menge und Qualität bereits vor dem Abbruch geschätzt werden kann. Das hilft allen Beteiligten, effiziente und wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen und einen Beitrag zum Ressourcenschutz zu leisten“, sagt Sina Jansen. Eine Beprobung im Labor ersetze diese Begutachtung jedoch nicht, schließlich will niemand den Verarbeitern und späteren Nutzern ein gesundheitliches Risiko durch möglicherweise belastetes Material aussetzen.

Rückbaustelle als Lager

Ein weiteres Problem des Bauens im Kreislauf lös­te das Projektteam indes auf kreative Weise: Für die Zwischenlagerung des ‚geschürften‘ Holzes nutzten sie zunächst das Areal des Campus selbst, in dem sie eine Tribüne sowie Sitzgelegenheiten daraus bauten. Diese ‚Rückbaustelle‘ nutzten sie noch einmal dazu, über das Projekt und seinen Fortschritt zu informieren. „Inzwischen haben wir die Rückbaustelle jedoch wieder abgebaut, da immer mehr Material hinzu kam und wir über das Reallabor „B(e) Ware“ eine Fläche des Senats zwischen nutzen können.“

Heute ist das Projekt soweit gediehen, dass es in die konkrete Umsetzungsplanung geht. Und hier kommt ZRS Architekten ins Spiel. „Bis zu diesem Punkt waren die Risiken, die sich aus dem Reallabor ergeben, durch die Forschung abgesichert. Doch bei der Umsetzung von der Theorie in der Praxis braucht es dann verantwortliche Planerinnen und Planer, die notwendige Abgleichungen mit der Realität vornehmen“, sagt Eike Roswag-Klinge. So musste ZRS zum Beispiel schon die Repositionierung des Pavillons entlang der Hertzallee anstelle des Hauptgebäudes vornehmen, da die zuständige Behörde die ursprüngliche Idee bei genauerer Betrachtung als nicht im Einklang mit dem Denkmalschutz befand, auch wenn andere Einlassungen im Rahmen der Workshops die Ausrichtung am Hauptgebäude als Möglichkeit zuließen. „Aber bis zur genauen Prüfung kann eben niemand vorhersagen, was am Ende dabei rauskommt“, ergänzt Sina Jansen. Nicht anders verhalte es sich eben auch mit dem Einstieg in das kreislaufgerechte Bauen selbst: Bis man es nicht gemeinsam auf allen Ebenen des Bauprozesses ausprobiert hat, kann eben niemand genau vorhersehen, was dazu nötig ist. Mit dem Pavillon der TU lernt immerhin eine Generation von Absolventinnen und Absolventen hautnah, was alles dazugehört. Und am Ende kommen dann vielleicht auch die Touristen.

Jan Ahrenberg/DBZ

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