Die roten Fäden entknotet


Hermann Czech ist ein schwieriger Mensch, und zugleich ein sehr sympathisch, empathisch offener. Dass das so ist, hat er möglicherweise seinen Wiener Wurzeln zu verdanken, auch seinem Verwurzeltsein in dieser abgelegenen, wie immer überraschend präsenten (jedenfalls in jedem akademischen Diskurs) Metropole.
Warum ich nun den Architekten, den zu treffen und zu sprechen ich vor Jahren das Glück hatte, immer noch und vor allem mit seinem „Kleinen Café“ verbinde, liegt einerseits an der ausführ­lichen Rezeption dieser Arbeit, die, so Dietmar Steiner, damals Direktor des Az W, „stellvertretend für alle Wiener Architekturneurosen“ sei. Anderer­seits liegt es an Czechs Zurückhaltung seinem eigenen Werk gegenüber, das er finden lassen will und niemandem aufdrängt: „Architektur ist nicht das Leben, Architektur ist Hintergrund.“
Nun hat sich Maximilian Müller dankenswerter Weise aufgemacht, das intensive Nachdenken Hermann Czechs auf dessen Werk zurückzubinden – ein Nachdenken übrigens, das auch ein anstrengendes und zugleich sehr anregendes, kritisches Analysieren bestehender und wenig hinterfragter Architektenübungen war und noch ist. Der Autor bedient sich dabei des dialektischen Prinzips „These/Antithese/Synthese“, einem Prinzip, dem auch der Architekt im eigenen Denken nahesteht. Und wirklich erscheint der Untersuchungsaufbau „These/Antithese“ bezogen auf die Heterogenität und Widersprüchlichkeit im ­gebauten wie auch schriftlichen Werk als ziel­führend. Die Diskussionen zu seinen Arbeiten ­zwischen den Begriffspaaren Übermut/Unterschätzung, Konsumtion/Produktion, Kunstwerk/Gebrauchsgegenstand, Manierismus/Partizipation, Subjektivität/Objektivität und Alt/Neu (was letzteres an die Analoge Architektur von Miroslav Šik erinnert) ergeben immer wieder sich fein kreuzende, miteinander verknüpfte (rote) Fäden, die allerdings spätestens im mit „Resümee“ bezeichneten Schlusskapitel noch einmal entknotet und auf wesentliche Aspekte reduziert werden: das Ambivalente als natürliche Grundhaltung des Architekten, Pragmatismus, Kunst als Korrektiv, Individualität (wenn sie angemessen ist!) und Alles Bauen ist Umbau.
So theoretisch und mit bestem Grundwissen für ein anderes Verständnis gestärkt, sollten wir die grundsätzliche Monografie von Eva Kuss (2018) noch einmal aus dem Regal ziehen und neu zu lesen beginnen. Und/oder nach Wien reisen, nicht bloß ins Kleine Café, aber auch! Be. K.
Maximilian Müller, Hermann Czech und die Dialektik der Architektur (=Bd. 7 Wiener Schriften zur Kunstgeschichte und Denkmalpflege, hrsg. v. N. Caviezel, R. Stalla), Deutscher Kunstverlag, Berlin 2024, 184 S., 102 Farbabb.34, 90 €, ISBN 978-3-422-80225-4
x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 09/2024

Menschen

„Die 30?000?€ Preisgeld“, so Hermann Czech, „kann ich für mein Büro gut brauchen.“ Gut gebrauchen kann er auch, dass man ihn nicht ständig als „Kaffeehaus- und Apfelstrudelarchitekten“...

mehr

Nachlese

Der neue Hintergrund ist da

Der soeben erschienene Hintergrund 41 bietet eine vertiefende Nachlese zum 16. Wiener Architektur Kongress, der sich im Rahmen der Ausstellung „Architektur beginnt im Kopf. The Making of...

mehr

Wofür stehen Sie, Herr Kaufmann?

Univ. Prof. DI Hermann Kaufmann mit seinem STANDPUNKT zum Heftthema HOLZ "... die Menschen finden Holz sympathisch und angenehm und nicht zuletzt schön!" Standpunkt zum Heftthema HOLZ Univ....

mehr

Architektur beginnt im Kopf

16. Wiener Architektur Kongress am 22. November 2008, Wien

Im Rahmen der Ausstellung „Architektur beginnt im Kopf. The Making of Architecture“ geht am 22. November 2008 der 16. Wiener Architektur Kongress mit Vorträgen nationaler und internationaler...

mehr

Labor Stadt

Deutscher Werkbundtag zur Zukunft des Wohnens in der Stadt vom 19. bis 21. Juni 2009, München

Gerade in den Städten werden gesellschaftliche Veränderungen sofort spürbar. Wohnen in der Stadt ist ein unmittelbarer Spiegel des sozialen Miteinanders sowie seiner politischen Grundbedingungen....

mehr