Digitale Bildhauerei

Jonathan Banz und Nikolai von Rosen arbeiten als Duo an der Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur. Die Zusammenarbeit entstand im Rahmen der gemeinsamen künstlerischen Forschung an der ETH Zürich und schlägt sich inzwischen in mehreren Wettbewerben und Projekten nieder. Wir haben mit ihnen über ihre Arbeiten „Schulbaum“ an der Grundschule Augus­tenfeld in Dachau und die „Kunsthaltestelle LEIZA“ am Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz gesprochen. Beide Arbeiten eint das Material Beton,  aber auch die sorgfältige, feinfühlige Arbeitsweise zwischen digitaler und analoger Welt.

Wie sieht euer Arbeitsprozess aus? Ist er abhängig von der spezifischen Arbeit oder ist der jeweils vergleichbar?

Nikolai von Rosen: Unser bildhauerisches Grundmaterial sind zumeist reale Dinge. Diese Objekte nehmen wir so informationsgetreu wie möglich auf, bevor wir sie digital weiterverarbeiten. Und am Ende werden sie wieder zu physischen Objekten. Beton, worüber wir hier ja sprechen wollen, ist dabei für uns interessant, weil sich die Informationen detailgetreu übertragen lassen.

Jonathan Banz: Wir arbeiten oft mit Photogrammetrie bzw. Structure from Motion. Dabei nimmt man Fotos aus verschiedenen Perspektiven auf, rechnet sie am Computer zusammen und erzeugt so ein digitales Abbild eines realen Objekts oder einer realen Situation. Das ermöglicht es uns, im weiteren Prozess unterschiedliche Anforderungen und Ideen miteinander zu verbinden. Beim Schulbaum war es uns wichtig, dass er tatsächlich Las­ten trägt und Teil der Architektur wird. Bei der Kunsthaltestelle ging es uns darum, eine Arbeit zu machen, die den Sinn des Ortes erfasst und seine Eigenheit sichtbar macht.

Wie funktioniert die Photogrammetrie? Sind das ganz viele Bilder, die ihr zusammensetzt, oder ist das eine präzise dreidimensionale Aufnahme?

JB: Das sind ganz viele einzelne Fotos.

Und die fügt man dann zu einer einzigen Aufnahme zusammen?

JB: Das passiert mit Computerprogrammen – früher wurde es von Hand gemacht. Das Verfahren ist schon lange bekannt und wurde im 19. Jahrhundert entwickelt, um mithilfe von Fotos Distanzen zu messen. Dafür suchte man auf mindestens zwei Fotos gemeinsame Punkte, also Punkte, die auf beiden Fotos sichtbar sind. So ließ sich die „Tiefe im Raum” schätzen. Mit der Digitalisierung wurde es dann möglich, große Mengen an Fotos gleichzeitig zu verarbeiten und abzugleichen. Das Ergebnis sind unter anderem sogenannte ‚Depth-Maps‘, mit denen sich Objekte oder Räume digital rekonstruieren lassen. Das ist für uns deshalb interessant, weil das sozusagen ein Hinweis darauf ist, dass wir die Welt so entdecken können oder könnten, wie sie ist.

Die angesprochenen Informationen sind für euch also nur mit digitalen Methoden zu verarbeiten?

NvR: Ja, richtig. Wir suchen immer noch nach einem Begriff dafür. Manchmal nennen wir das „digitale Bildhauerei“. Der Computer als Werkzeug ist dabei allerdings kein Selbstzweck. Es ist nicht so, dass wir unbedingt mit dem Computer arbeiten wollen. Es geht um die Verhältnismäßigkeit, für welche Idee oder Fragestellung man welches Mittel einsetzt.

JB: Und welches Material. Beim Schulbaum war Beton das Material, das statisch vorgegeben war. Für die Kunsthaltestelle schien er uns kontextuell passend. Aktuell arbeiten wir jedoch an einem neuen Projekt, bei dem wir keinen Beton einsetzen. Wir sind keine Verfechter des Betons. Das Material ergibt sich.

Welche Vorteile bietet euch Beton für die Arbeit?

NvR: Wir können die bildhauerischen Informationen bis in den Millimeterbereich in den Beton hinein übertragen. Daneben ist es ein Baustoff, der viele Grundbedingungen vereint: Er ist feuerfest, kann statisch aktiviert werden und ist witterungsbeständig und strapazierfähig. Unsere Objekte sind – wie in Dachau der Schulbaum – Teil der Architektur oder stehen im öffentlichen Raum. Sie müssen statisch tragen oder werden von Kindern bespielt. Deshalb müssen sie diese unterschiedlichen Qualitäten gewährleisten. Künst­lerisch ist für uns spannend, dass Beton ein allgegenwärtiges Material ist. Beton wird oft trivial verwendet und das zu ändern, reizt uns.

Könnt ihr den Prozess beschreiben, mit dem ihr zu einer Form kommt?

NvR: Wir suchen lange nach den passenden Objekten, wie zum Beispiel nach dem richtigen Baum für den Schulbaum. Gefunden haben wir einen kleinen Spitzahorn im Berliner Stadtraum. Die Venus-Skulptur für die Kunsthaltestelle steht in einem Museum in Toulouse. Diese Objekte nehmen wir mit Hilfe von digitalen Vermessungstechniken auf. Und verarbeiten sie im Computer weiter und passen sie auf die Kontexte an. Ein Vorteil des Computers besteht darin, dass wir Objekte, die wir aus der Wirklichkeit herauslösen, transformieren können. Der Ahorn hat in der Realität vielleicht nur 15 cm Durchmesser, als tragende Säule in der Schule haben wir ihn dann auf die Vorgaben der Statik skaliert. Der Venuskopf, der eigentlich nur etwas größer ist als ein normaler Kopf, ist jetzt über 4 m groß.

JB: Die eigentliche Umsetzung hin zur Baustelle findet dann durch unterschiedliche Techniken statt. Das kann entweder durch Fräsung sein, es kann aber auch durch den 3D-Druck von Matrizen erfolgen. Je nach Budget und Produktionsmethode kann die 3D-Auflösung höher oder niedriger gewählt werden.

Der Schulbaum ist mit Hilfe einer gefrästen Matrize entstanden. Für die Kunsthaltestelle gab es eine mehrschichtige Form. Wie kam es dazu?

JB: Grundsätzlich bestimmen die Idee und der Ort, aber natürlich auch die Form, welches Herstellungsverfahren angewendet wird. Bei letzterem hängt es dann einerseits von der Größe und Geometrie und andererseits von der Detailgenauigkeit beziehungsweise der Oberflächenstruktur ab. Bestimmte Formen lassen sich nicht fräsen, weil man mit dem Fräskopf nicht überall hinkommt – insbesondere bei komplexen Hinterschneidungen stößt die Frästechnik an ihre Grenzen. Solche Formen werden dann beispielsweise aus Sand gedruckt. So ergeben sich auch das Matrizenmaterial und dessen Geometrie beziehungsweise die Matrizen-Aufteilung. Die Schalung muss am Ende entfernt werden können. Zudem muss bei Kunst am Bau das Budget strikt eingehalten werden. Beim Schulbaum war daher die Fräszeit ein entscheidender Faktor für den Detaillierungsgrad – wir haben so nur die sichtbaren Teile gefräst.

Ein weiterer Unterschied zwischen Schulbaum und Kunsthaltestelle ist, dass der Schulbaum in einem Rutsch gegossen werden konnte, die Kunsthaltestelle nicht. Woran lag das?

NvR: Die Baufirma in Dachau hat den Schulbaum mit demselben Beton wie die anderen Stützen gegossen. Die Kunsthaltestelle war im Betonguss aufwändiger, weil sie durch die Unterschneidung einen höheren Reflexionsgrad brauchte. Es musste gewährleistet sein, dass der Beton wirklich in alle Hohlräume hineinläuft. Deshalb gab es vorher viele Tests hinsichtlich der Zusammensetzung des Betons, aber auch hinsichtlich der Wärmeproduktion während der Aushärtung. So wurde dann ein mit relativ wenig Zement versetzter, möglichst flüssiger Beton bis ungefähr zur Hälfte verwendet. Um den Schalungsdruck der Gesamtform nicht zu stark zu erhöhen, wurde dann darüber mit Beton abnehmender Viskosität gegossen. Oder mit den Worten unseres wunderbaren Betontechnologen Stefan Bley: „Bis zur Nase flüssig wie Honig“ gießen, danach konventionell.

Ihr wisst natürlich auch um die schlechte CO2-Bilanz von Beton. Inwiefern spielt das bei eurer Arbeit eine Rolle?

JB: Ich finde es gut, dass Beton als Baustoff unter Druck gerät – es ist wichtig, dass gerade problematische Materialien reguliert werden und wir als Gesellschaft bestimmte Anforderungen an ihre Produktion stellen. Bauen hat immer auch schlechte Auswirkungen auf die Umwelt. Diese gilt es zu minimieren. Es geht um Verantwortung und das ist keine Frage der politischen Ausrichtung. Beton wird oft an Stellen verwendet, wo er möglicherweise überflüssig ist, weil es Alternativen gäbe. Manchmal ist er aber auch unumgänglich oder hat eine bessere Gesamtbilanz. Entscheidend ist dabei auch die Lebensdauer eines Bauwerks. Die CO₂-Bilanz hängt direkt damit zusammen. Die gesamten Emissionen über diesen Zeitraum zu berechnen, ist nicht immer einfach, weil sie stark mit dem Entwurf zusammenhängen. Wenn das Gebäude von der Gesellschaft angenommen wird, steht es eventuell auch länger, was sich positiv auf die Bilanz auswirkt. Hier tun sich wiederum andere Fragen auf. Natürlich versuchen wir auch, Material gezielt zu reduzieren – wie zum Beispiel bei der Kunsthaltestelle. Das erkennt man an der Geometrie. Gerade die Rückseite haben wir im Laufe des Prozesses immer wieder angepasst und verkleinert bzw. geschärft. Und wir haben intensiv diskutiert, welche Art von Beton wir verwenden – ob Recyclingmaterial möglich ist, welche Zusammensetzung für diese Form funktioniert und eben, ob eine Anpassung der Form den Einsatz eines anderen Betons ermöglichen würde. Welche Zuschläge sind sinnvoll? Welche Farben oder Pigmente – und bleibt dadurch das Relief erhalten? Kann man mit Fasern die Stahlarmierung reduzieren? All das haben wir mit unseren Betontechnologen, Statikerinnen und Bauleuten sorgfältig erörtert. Schlussendlich geht es aber nicht um das Material selbst, sondern um den gesamten Beitrag.

NvR: Vor einigen Jahren hat eine Studie gezeigt, dass mittlerweile die von Menschen gemachte Masse die Biomasse auf der Erde übersteigt. Das häufigste Material dabei ist Stahlbeton. Das Anthropozän wird also am greifbarsten durch das Material Beton repräsentiert. Dieser Beton wird oftmals verkleidet oder ohne eine weiterreichende bildhauerische Absicht eingesetzt. Er trägt zwar immer die Informationen der Schalungen in sich, aber auch das ist meist zufällig. Uns macht es große Freude, dort möglichst präzise Informationen, mitunter auch von lebendigen Dingen, hineinzubringen: Bäume, Gesichter und da fällt uns noch vieles mehr ein. Dieses zum Leben erwecken des Betons motiviert uns.

Mit Nikolai von Rosen und Jonathan Banz sprach DBZ-Redakteur Hartmut Raendchen am 21.1.2025

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